Demokratie Klimakrise
Freiheit in Zeiten der Klimakatastrophe
Schnell Auto fahren und Fleischessen – das ist es nicht, was unsere Freiheit kennzeichnet. Warum wir als Gemeinschaft angesichts der Klimakrise einen neuen Freiheitsbegriff brauchen.
Wir gehen auf eine unerkannte Katastrophe zu, wenn wir nicht umsteuern – und ambitionierte Klimaziele nicht nur setzen, sondern auch erreichen. Und das möglichst schnell. So weit, so bekannt. Wenn Freiheit – nach Hannah Arendt – der Sinn aller demokratischer Politik sein soll, braucht es im Licht der Klimakatastrophe dringend eine Neukonfiguration des Freiheitsbegriffs und damit eine neue Zielvorstellung von demokratischer Politik. Denn wie oft wird mit dem Verweis auf „Freiheit“! (und zwar meine!) ein entschiedenes Vorgehen gegen die Klimakatastrophe erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht. Millionen Tonnen CO₂-Einsparung durch ein Tempolimit? Nein – „Freiheit“! Pflanzliche Produkte statt Rindersteak? Nein – „Freiheit“! Eventuell mal kürzer oder kälter duschen, um Energie zu sparen? Niemals – „Freiheit“!
Dabei ist das Problem in Deutschland inzwischen weitgehend anerkannt; nur eine vernachlässigbare Minderheit zweifelt ernsthaft noch den menschengemachten Klimawandel an. Jeder weiß: Uns bleibt nahezu keine Zeit mehr, den fossilen Energien für immer den Rücken zu kehren, wenn wir kommenden Generationen einen Planeten überlassen wollen, auf dem sie ein wenigstens einigermaßen gutes Leben verbringen können. Es ist DER Verdienst der gesamten Klimabewegung in den vergangenen Jahren, dass der allergrößte Teil unserer Gesellschaft dieses Problem als die zentrale Menschheitsherausforderung akzeptiert hat. Das Bundesverfassungsgerichtsurteil von 2021 verankert diese Anerkennung auch institutionell, indem es die Bundesregierung auffordert, Klimaschutz zu priorisieren, da andernfalls zukünftig „jegliche Freiheit potenziell betroffen“ ist.
Klimawandel: Das Irgendwann ist jetzt
Als unverbundenes, singuläres Individuum scheinen der Klimawandel und seine Folgen kognitiv verstanden zu werden, jedoch nicht wirklich greifbar bzw. fühlbar zu sein. Sie sind nur auf kollektiver Ebene und nur mehrgenerational zu begreifen. Wer ausschließlich in seiner überschaubaren Alltagsblase bleibt, hat die besten Voraussetzungen, den schrittweisen Verlust seiner Freiheit durch die Folgen des Klimawandels gar nicht erst mitzubekommen. Trotzdem ahnen die allermeisten, dass es da um mehr geht als um unsere Mobilität (Auto, Flugzeug) und unsere Heizung (Gas- und Kohleverstromung). Der Klimawandel überspült nicht nur Inseln, sondern unterspült langsam aber sicher viele gesellschaftlichen Strukturen und deren zugrunde liegenden Werte und Gewissheiten mit. Total verständlich, dass wir da nicht hinschauen wollen. Wenigstens nicht permanent. Die ganze Menschheit hat Jahrhunderte in ebendiese Strukturen investiert (Waldrodung, Überfischung, Kohleabbau, etc.), die uns irgendwann vor die Füße fallen. Dieses irgendwann ist jetzt. Pech gehabt.
Lies hier alle bisherigen Beiträge von Anselm Renn im Campact-Blog!
Es gibt immer noch einen Teil in uns und einen Teil in unserer Gesellschaft, der das Ausmaß der notwendigen Veränderung noch nicht wahrnehmen will. Der Berg ist viel zu hoch für uns und für die meisten Menschen (mich eingeschlossen) geht es viel zu schnell. Jener Teil von uns versucht permanent seine Phantomfreiheiten zu verteidigen (Fliegen, Fleisch essen, (schnell) Auto fahren oder etwa die „Freiheit“ Kohle zu fördern), um sich davon abzulenken, dass wir wirklich auf dem Holzweg sind.
Tief im Inneren wissen wir, dass dieser Rückzugskampf langfristig nicht zu gewinnen ist. Und letztlich nur einen Abklatsch einer Freiheit herstellt, die jederzeit an der Realität (in ihrer offensichtlichsten Ausprägung in Form von gehäuften Extremwetterereignissen) zerplatzen kann.
Individuelle Freiheit als Ausrede
Wir müssen uns also als Erstes dieses Freiheitsbegriffs entledigen, der uns als Ausrede dient, die Welt uns untertan zu machen. Der uns allein, unverbunden, zurücklässt auf einem lebensfeindlichen Planeten. Zweitens müssen wir begreifen, dass wir gar nicht (mehr) frei sind – angesichts der Klimabedrohung, aber einander frei machen können!
Und zwar jede*r an seine*r Stelle! Am besten mit dem, was er*sie am besten kann. Jede*r den eigenen Mitteln und Möglichkeiten angemessen. Demokratie heißt nicht: Macht alle das, was ich gut finde. Demokratie heißt: Lasst uns gemeinsam über die Richtung einig werden. Dann soll jede*r helfen, das Ziel zu erreichen! Ich bin froh für jede*n, der sich auf die Straße klebt! Ich bin froh für jede*n, der in seiner Kommune die Klimawende von unten via Bürgerentscheid voranbringt. Ich bin froh über jeden Klimabürgerrat, der Politik, Bürger*innen, Verwaltung und Wirtschaft zusammenbringt. Ich bin für jede*n Klimapolitiker*in froh, die den Ernst der Lage begriffen hat und für jede Klimademo, die noch mehr Menschen in die Bewegung bringt. Ich bin froh, wenn jede tut, was sie kann für das Klima, auch wenn es nur fünf Minuten pro Woche sind. Wenn man freitags beschließt zur Arbeit zu laufen oder Öffis zu fahren, statt den SUV zu nehmen. Wir tun das zusammen! Ich bin froh, dass wir den Hambi hatten und Lützerath haben, die mehr als nur große Symbole des Wandels sind. Es sind Zukunftslabore, Nexus einer Verbundenheitsgesellschaft von denen regelmäßig Erneuerungsimpulse ausgehen, Ideen wie wir in diesem Jahrhundert zusammenleben können.
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Deswegen sollten wir uns schleunigst einen Freiheitsbegriff suchen, der uns aus der Vereinzelung hin in diese Art von Verbindung führt, hin zu einer nachhaltigen Freiheit, die uns im Zusammenschluss unterschiedlich sein lässt. Damit wäre der Weg frei für eine offene Demokratie, die statt auf Abgrenzung und Hierarchie auf Beziehung und Augenhöhe setzt.