Demokratie
Was die Politik von Julian Nagelsmann lernen kann
Es gibt einen starken Zusammenhang zwischen der Fußball-Nationalmannschaft der Männer und der gesamtgesellschaftlichen Stimmung im Land. Welchen Impuls hat die Nationalelf der Gesellschaft gegeben und was kann vielleicht sogar die Demokratie von ihr lernen?
Es war kurz nach dem Spiel am Freitag; Spanien hatte 2:1 gegen Deutschland gewonnen. Die Stimmung ist am Boden. Da hörte ich plötzlich etwas Ungewöhnliches vom Fußball-Bundestrainer der Männer Julian Nagelsmann, das meine Aufmerksamkeit nochmal Richtung Bildschirm lenkte. Er stand da, zu Tränen gerührt, weil er wusste, dass die Männer-Nationalmannschaft und er trotz der Niederlage viel richtig gemacht hatten.
Er spürte die Millionen Fans hinter sich (höchste Einschaltquote seit dem WM-Finale 2014) und fing an, noch mit belegter Stimme, uns alle um einen Gefallen zu bitten: Wir Deutschen sollten uns weniger von der Tristesse und den Problemen im Land lähmen lassen – sondern aus der Vereinzelung zusammenkommen, einander unterstützen. Fast alle würden von Problemen in Deutschland, aber fast keiner von Lösungen sprechen. Da hatte er meine Aufmerksamkeit – woher kam das denn? Das waren authentische Worte, die Kraft hatten. Er machte noch weiter: Frei nach Nagelsmann sollen wir mehr Gemeinschaft und mehr Zuversicht wagen und weniger Energie in Selbstdarstellung und Problemfixiertheit stecken. So hätte die Mannschaft die verloren gegangene Verbindung mit den Menschen in diesem Land wiederherstellen können. Und er hoffe, dass das auch in anderen, wichtigeren Teilen der Gesellschaft funktionieren könnte.
Das kommt hier nicht annähernd so stark rüber wie im Interview nach dem Spiel oder auf der Pressekonferenz, als er das Ganze in ein wenig anderen Worten wiederholte. Aber irgendwie trafen seine Worte etwas in mir. Hast Du das auch gespürt?
Gute Fußball-Ergebnisse heben die Stimmung im Land
Und ich fragte mich erst einmal warum. Da begriff ich zum ersten Mal so wirklich, was ich eigentlich nie anerkannt habe: Die Nationalmannschaft und das kulturelle Selbstverständnis großer Teile von Deutschland – vielleicht kann man auch „die deutsche Seele“ sagen, und deswegen auch irgendwie meine – sind eng miteinander verwoben.
Und das von Anfang an. Die Nachkriegszeit in Deutschland endete praktisch mit dem Gewinn der Weltmeisterschaft 1954 in Bern. Der Ausspruch des damaligen Nationaltrainers Sepp Herberger „Wir sind wieder wer“ prägte das neue Selbstvertrauen einer ganzen Nation. Kein Regierungschef verlor nach einer erfolgreichen Weltmeisterschaft die anschließenden Wahlen. Und so ging es immer weiter. Wenn die Nationalmannschaft in großen Turnieren weit kam, konnte alles andere gar nicht so schlecht sein.
Emotional und authentisch
Klar: Jetzt keine Überhöhung und keine Muster suchen, wo es keine gibt. Aber lasst uns das dennoch mal ernst nehmen. Es gibt einen starken Zusammenhang zwischen der Nationalmannschaft und der gesamtgesellschaftlichen Stimmung im Land, der nicht von der Hand zu weisen ist. Die Nationalmannschaft ist etwas, worauf sich viele irgendwie noch immer einigen können.
Wenn die Politik sich etwas abschauen kann, dann nicht nur, was Nagelsmann sagte: mehr über Lösungen als über Probleme reden und begreifen, dass man gemeinsam besser ist. Sondern auch ganz sicher die Art und Weise, wie Nagelsmann auftritt. Kompetent und emotional verfügbar – experimentierfreudig und bodenständig zugleich.
Er bricht mit seinem Auftreten als „ganzer Mensch“ mit allen seinen Vorgängern, die sich viel kontrollierter und damit auch viel oberflächlicher zeigten. Nagelsmann hat das schon intuitiv begriffen: Es braucht diese Tiefe, die Authentizität, die Echtheit im Umgang, sonst wäre alles, was er vermitteln will und fachlich mitbringt, nicht viel wert.
Genau diese Kompetenz, diese Art und Weise zu sprechen, würde ich nur zu gerne auch in der Politik erleben. Hoffentlich bemerken viele da draußen – egal in welcher Branche – dass dies der Weg ist, um mitzureißen. So stellt man Nähe und Vertrauen her, weckt Begeisterung, auch wenn man im Viertelfinale rausfliegt. Das ist dann fast nebensächlich.