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Die Lügengeschichten der Väterrechtler

Autoritäre Rechte und aggressive Lobbyisten hantieren mit frauenfeindlichen und unwissenschaftlichen Theorien zum Familienrecht. Und finden dennoch immer wieder Gehör – national und international.

Nahaufnahme: Eine männliche Hand bedeckt den Mund eines etwa 3-jährigen Mädchens. Der Mann steht hinter dem Mädchen, es sind aber nur seine Hose, ein Teil des T-Shirts und seine Arme zu sehen.
Symbolbild: Eine männliche Hand bedeckt den Mund eines etwa 3-jährigen Mädchens. Foto: IMAGO / Zoonar

Das Thema elektrisierte die Correctiv-Reporterin Gabriela Keller sofort. Als der Deutschlandfunk (DLF) vor ein paar Wochen das Feature „Die Entfremdungs-Lüge“ ausstrahlte, fühlte sich Keller an ihre eigene Investigativrecherche aus dem Jahr 2023 erinnert: „Väterrechtler auf dem Vormarsch“.

Wichtige Recherche des Deutschlandfunks

Das Recherchekollektiv Correctiv hatte vor zwei Jahren thematisiert, wie die Väterrechtler-Lobby Einfluss in Politik und Justiz geltend macht und so den Gewaltschutz von Frauen und Kindern untergräbt. Jetzt erzählten Heiko Rahms und Stephanie Schmidt für den Deutschlandfunk quasi die Fortsetzungsgeschichte. Sie recherchierten, wie sich radikale Väterrechtler mit autoritären Rechten weltweit vernetzen. Und belegten, dass auch deutsche Gutachter:innen und Vertreter:innen der Justiz auf deren internationalen Seminaren und Konferenzen auftreten.

Im Newsletter von Correctiv erzählte Keller von einem Audiomitschnitt, der ihr zugetragen wurde und den sie nicht wieder aus dem Kopf bekomme. Darin sei zu hören, wie ein kleiner Junge mit Gewalt aus seinem vertrauten Umfeld geholt worden sei und nun beim Vater leben solle, den er kaum kenne. „Der Mann soll zugeschlagen haben, es traf vor allem die Mutter, das Kind kriegte alles mit. Trotzdem sprach das Familiengericht ihm das Kind zu. Auf dem Mitschnitt war zu hören, wie der Junge schrie, minutenlang, er weinte und rief immer wieder: ‚Ich habe Angst.‘“

Frauen verlieren ihre Kinder – trotz häuslicher Gewalt

Rahms und Schmidt schildern in ihrem Feature weitere Beispiele dafür, dass Frauen vor Gericht immer wieder ihre Kinder verlieren – vor allem, wenn sie Hinweise auf häusliche Gewalt vorlegen. Vor Gericht wird dann mit frauenfeindlichen und unwissenschaftlichen Theorien hantiert. Und antifeministische Lobbyist:innen propagieren diese Konzepte systematisch.

Beim DLF wird das nun so formuliert:

Wir stoßen auf eine Bewegung von Ultrakonservativen, die sich mit Väterrechtlern zusammengetan haben, um im Namen des Kindeswohls eine antiliberale Agenda durchzusetzen, auf der Basis einer Pseudowissenschaft.

Aus dem Audio-Feature „Die Entfremdungs-Lüge“ im DLF

Die österreichische Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl sagt, so mache sich der Staat „zum Instrument eines faschistischen, eines rechtsextremen, eines traditionalistischen Männerbilds“.

Von weiteren Beispielen berichtet auch der Soziologe Wolfgang Hammer in seiner Studie „Macht und Kontrolle in familienrechtlichen Verfahren in Deutschland“. In den schlimmsten Fällen wird Müttern sogar das Sorgerecht entzogen und deren Kinder werden ohne deren Zustimmung und unter Protest mit Polizeigewalt den Vätern zugeführt.

„Ein System, nicht erst seit gestern“

Einzelfälle? Mitnichten. Viola Worsch vom Weißen Ring in Thüringen, einer Hilfsorgansation für Kriminalitätsopfer, erklärt, „dass das ein System ist und ein System hat, das es nicht erst seit gestern gibt“. Operiert wird demnach mit Begriffen wie Eltern-Kind-Entfremdung oder Bindungsintoleranz. Der englische Fachbegriff dazu heißt Parental Alienation Syndrome (PAS).

Was ist das „Parental Alienation Syndrome“ (PAS)?

Ein Konzept, welches der US-amerikanischen Kinderpsychiater Richard Alan Gardner 1985 prägte. Im Deutschen wird es als „Eltern-Kind-Entfremdung“ bezeichnet. Gemäß dessen wird Elternteilen – meistens den Müttern – vorgeworfen, mit Falschbehauptungen zu physischer und psychischer Gewalt das andere Elternteil aus dem Umgangs- und Sorgerecht heraushalten zu wollen. Außerdem wird ihnen vorgeworfen, die Ansichten des Kindes über das andere Elternteil (meist den Vater) zu manipulieren und das Kind als „Waffe“ im Prozess zu missbrauchen.

Diese Argumentationen führt vor allem dazu, dass gewaltbetroffenen Kindern und Frauen oftmals nicht geglaubt wird. PAS ist über die Jahre zu einem Kampfbegriff der Väterrechtler-Bewegung geworden.

Das Bundesverfassungsgericht hat PAS 2023 verworfen, das Konzept sei „überkommen“ und „fachwissenschaftlich widerlegt“. Weiter hieß es vom höchsten deutschen Gericht: „Soweit ersichtlich besteht nach derzeitigem Stand der Fachwissenschaft kein empirischer Beleg für eine elterliche Manipulation bei kindlicher Ablehnung des anderen Elternteils oder für die Wirksamkeit einer Herausnahme des Kindes aus dem Haushalt des angeblich manipulierenden Elternteils.“

Klar auf Distanz gegangen war zuvor auch die UN-Sonderberichterstatterin zu Gewalt gegen Frauen, Reem Alsalem, die konkret auch scharfe Kritik an der Praxis deutscher Familiengerichte äußerte.

Warnung zum Internationalen Tag der Familie

Der österreichische „Verein Feministische Alleinerzieherinnen“ (FEM.A) nahm die Recherchen des Deutschlandfunks zum Anlass, die Warnungen zu bekräftigen. Der Verein sieht viele Parallelen zwischen der Lage in Deutschland und Österreich. Die sogenannten Väterrechtler seien „nicht nur eng mit den radikalen, anti-feministischen Väterrechtlern in Deutschland vernetzt, sie sind auch eng mit den österreichischen Parteien am rechten Rand verbunden“, sagte Andrea Czak, geschäftsführende FEM.A-Obfrau, heute in Wien.

Vor dem Internationalen Tag der Familie am morgigen Donnerstag (15. Mai) gab FEM.A auch Wolfgang Hammer ein Podium. Er sagte, dass Familiengerichte sowohl in Deutschland als auch in Österreich nach wie vor auf der Basis von „Mythen“ und „Fake News“ entscheiden würden. Und kritisierte auch unter Bezug auf die Recherchen des Deutschlandfunks, dass ein Großteil der Fortbildungen der Justiz „durch Blödsinn“ dominiert werde, der „hochgefährlich in die Rechte von Kindern und Frauen eingreift“. Hammer empörte sich:

Wenn Staat und Justiz in familienrechtlichen Verfahren zu strukturellen Mittätern werden, anstatt ihre Schutzfunktion wahrzunehmen, wird der Rechtsstaat für die Betroffenen zum Unrechtsstaat.

Soziologe Wolfgang Hammer anlässlich des Internationalen Tags der Familie 2025

Die äußerst aggressive Väterrechtler-Szene reagiert auf solche Kritik regelmäßig mit dem Vorwurf, es handele es sich um „Desinformation“. Auch diesmal beschimpften die Männer-Lobby und ihre Unterstützer:innen den Deutschlandfunk.

Krudes Posting einer DJV-Funktionärin

Auf ihrem dienstlichen LinkedIn-Account kritisierte beispielsweise eine Funktionärin des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), das Feature sei „doch wohl eigentlich nicht journalistischer Standard beim DLF, oder“. Aus zwei Einzelfällen werde „systematisches Vorgehen“ hergeleitet. Ein einzelner Richter werde mit vollem Namen genannt und „so dem Hass mindestens auf Social Media“ preisgegeben: „Ich bin sehr dafür, das Patriarchat zu bekämpfen, aber bitte mit sauberer Berichterstattung.“ Der Deutschlandfunk entgegnete, es werde mehrmals im Stück belegt, dass es sich eben nicht um Einzelfälle handele.

Die DJV-Funktionärin löschte ihre LinkedIn-Postings später. Sie habe sich „eigentlich vorgenommen, auf Social Media keine Kolleg:innen-Schelte zu betreiben, aber manchmal geht es dann doch mit mir durch. So wie in diesem Fall. Später habe ich es bereut und darum wieder gelöscht“.

Pikant an dem Fall: Der Ehemann der DJV-Frau ist Rechtsanwalt. Er hatte in einem Familiengerichtsverfahren einen Vater vertreten. Der Fall bekam unter anderem deshalb mediale Aufmerksamkeit, weil ein Journalist die Mutter bedrohte: Sie solle über ihr „Helfersystem“ auspacken.

„Entsorgte Väter“, „Albtraum Eltern-Kind-Entfremdung“ – mit solchen Schlagworten hält die Väterrechtler-Lobby eine Pseudowissenschaft namens PAS in der Debatte.

KNA stützt sich auf Thesen der Väterrechtler

Erstaunlich in diesem Zusammenhang war auch ein Artikel der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) zum Thema, der wenige Tage nach dem Deutschlandfunk-Feature erschien. Weitgehend unkritisch befasste er sich mit Eltern-Kind-Entfremdung als angeblich zu wenig beachtetem Phänomen und schilderte, dass Kinder immer wieder „durch gezielte Manipulation eines Elternteils plötzlich den Kontakt zum anderen Elternteil verweigern“ würden. Weder der Beschluss des BVerfG noch der Bericht der UN-Sonderberichterstatterin Alsalem sind erwähnt.

Wichtigster Stichwortgeber für den KNA-Text war der Tübinger Biologe Hans-Peter Dürr, den der Text lang zitierte. Er vergleicht Eltern-Kind-Entfremdung mit einem Krebstumor. Sich als „entsorgt“ empfindenden Elternteilen will er mit seinem vermeintlich wissenschaftlichen Instrument „Befundberichte“ an die Hand geben, um bei Jugendämtern oder Gerichten angebliche Kindeswohlgefährdung zu belegen. Als ich im Januar für die „Blätter für deutsche und internationale Politik“ kritisch über Dürr berichtete, drohte dieser juristische Schritte an – ohne Erfolg.

Die KNA-Autorin des Beitrags, die sich 2021 auf Twitter, heute X, gegen das Gendersternchen äußerte („herabwürdigend“ und „Die sprachliche Diskriminierung der Frau hat damit begonnen, dass man ihr abgesprochen hat vom generischen Maskulinum angesprochen zu werden“) ging auf meine Fragen zu ihrem Beitrag über Eltern-Kind-Entfremdung nicht ein. KNA-Chefredakteur Bernward Loheide schrieb, es gehöre zu den journalistischen Standards der Agentur, Quellen kritisch zu prüfen und unterschiedliche Perspektiven zu berücksichtigen. Der Text zitiere die Deutsche Kinderhilfe mit der Einschätzung, von Gewalt betroffene Mütter würden mit Begriffen wie „Eltern-Kind-Entfremdung“ diskreditiert, um ihnen das Sorgerecht zu entziehen. „Wir nehmen ihre Rückmeldung zum Anlass, mit der Autorin darüber zu sprechen, ob diese Perspektive in dem Bericht zu kurz gekommen ist. Auch ihre Zweifel an der Seriosität von Herrn Dürr werden dabei zur Sprache kommen.“

Was die nie enden wollenden „Einzelfälle“ und das ständige Wiederaufkommen von PAS als Argument deutlich zeigen: Die Väterrechtlerlobby leistet ganze Arbeit. Und zwar darin, die Glaubwürdigkeit von Frauen und Kindern, die Opfer häuslicher Gewalt sind, systematisch zu untergraben – und ihr eigene paternalistisches und extremistisches Väterbild zu stärken.

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Autor*innen

Matthias Meisner ist freier Journalist und Buchautor in Berlin und Tirana. Er schreibt als Gast-Autor für den Campact-Blog über Menschenrechte, Geflüchtete und die Bedrohung der Demokratie. Zuletzt erschien 2023 im Herder-Verlag, gemeinsam herausgegeben mit Heike Kleffner, „Staatsgewalt – wie rechtsradikale Netzwerke die Sicherheitsbehörden unterwandern“. Infos unter www.meisnerwerk.de. Alle Beiträge

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