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Kranke Tiere, getäuschte Verbraucher, ruinierte Bauern – wer vom Leid der Tiere profitiert

Für sein Buch "Das Schweinesystem" hat Matthias Wolfschmidt zahlreiche Betriebe besucht, mit Wissenschaftlern, Bauern und Tierärzten gesprochen. Er kommt zu einem bedrückenden Schluss: in der Tierhaltung gehören Krankheit und Leid zum System. Im Interview erklärt er, wer von diesem Leid profitiert – und mit welchen Maßnahmen die Politik reagieren muss.

Für sein Buch „Das Schweinesystem“ hat Matthias Wolfschmidt zahlreiche Betriebe besucht, mit Wissenschaftlern, Bauern und Tierärzten gesprochen. Er kommt zu einem bedrückenden Schluss: in der Tierhaltung gehören Krankheit und Leid zum System. Im Interview erklärt er, wer von diesem Leid profitiert – und mit welchen Maßnahmen die Politik reagieren muss.

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Zitat von Matthias Wolfschmidt, foodwatch zu Megaställen. Grafik: Sascha Collet/Campact (CC)

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Herr Wolfschmidt, in ihrem Buch sprechen Sie darüber, dass die heutige Tierhaltung Tiere systematisch krank macht. Schweine, Hühner und Kühe leiden unter sogenannten Produktionskrankheiten. Was meinen Sie damit?

Matthias Wolfschmidt: Die Tiere erkranken, wenn ihre körpereigenen Anpassungsfähigkeiten an die Umweltbedingungen überfordert sind. Faktoren wie Haltung, Fütterung, Betreuung, Hygiene, Stallklima spielen ebenso eine Rolle wie Leistungsanforderungen und Genetik. Milchkühe leiden regelmäßig unter Lahmheit, Fruchtbarkeits- und Stoffwechselstörungen sowie Euterentzündungen. Schweine leiden unter chronischen Gelenkerkrankungen und Organveränderungen. Bei Hühnern kommt es zu Gelenkerkrankungen, Fußballenveränderungen und Brustbeinschäden, bei Legehennen außerdem zu Knochenbrüchen und Eileiterentzündungen.

Sie zitieren erschreckende Studien, wonach etwa große Teile der Tiere an Entzündungen, Atemwegserkrankungen oder Fehlverhalten leiden. Warum tun die Tierhalter und Bauern so wenig dagegen?

Es ist auffällig, dass das Ausmaß der Krankheiten von Betrieb zu Betrieb – teils erheblich – variiert. Dabei spielt es, anders als viele glauben, weniger eine Rolle, ob die Tiere in einem kleinen, vielleicht sogar ökologisch wirtschaftenden Betrieb leben oder in einem großen. Entscheidend für die Gesundhaltung der Tiere ist das optimale Zusammenspiel einer Vielzahl von Faktoren, vom richtigen Futter über Belüftung und Stallhygiene bis zu Besatzdichte und Ausstattung. Nur wenn der landwirtschaftliche Betrieb als gesamter „Organismus“ wirklich gut funktioniert, gelingt es dem Tierhalter, die Tiere bestmöglich vor Krankheiten und Verhaltensstörungen zu bewahren. Der Aufwand auf Seiten der Bauern für optimale Tiergesundheit ist erheblich. Doch angesichts des massiven Kostendrucks vor allem der übermächtigen Handelskonzerne ist es geradezu ein Glücksfall, wenn alles klappt. Die Tierhalter werden einfach nicht für hohe Tiergesundheit bezahlt. Und weil unsere Nutztiere selbst mit teils massiven Erkrankungen noch ‚funktionieren‘, also hohe Leistungen erbringen, wird – auch von vielen Bauern und besonders von ihren Funktionären – behauptet, es könne ja nicht so schlimm sein.

Wer profitiert eigentlich von diesem System?

Das System bürdet nicht nur den Tieren millionenfach vermeidbare Krankheiten und Verhaltensstörungen auf, es treibt zugleich immer mehr Landwirte in den Ruin und täuscht die Verbraucher. Denn ihnen werden vordergründig billige Produkte untergejubelt, die regelmäßig von krank gemachten Tieren stammen. Verbraucher sind also nur Schein-Profiteure einer Tierqual-Ökonomie, die einzig und allein den Gewinnerwartungen immer größer werdender Akteure im Einzelhandel und bei den Verarbeitern der tierischen Produkte nutzt. Wäre “Krankheit” eine deklarationspflichtige Zutat, das Verhalten dieser Marktakteure würde sich schlagartig ändern – denn die scheinbar heile Welt der Super- und Biomärkte bräche in sich zusammen.

Aus der Politik und vom Einzelhandel ist oft zu hören, dass es billiges Fleisch, Milch und Eier gibt, weil die Kunden danach verlangen. Liegt die Verantwortung für das systematische Leid der Tiere also letztlich bei uns Verbrauchern und unseren Kaufentscheidungen?

Solange es billige Lebensmittel aus der Tierqual-Produktion zu kaufen gibt und damit die Kunden in die Läden gelockt werden, werden teurere Produkte mit garantierter Tiergesundheit Nischenangebote bleiben. Die “Wahlfreiheit” durch freiwillige Siegel, wie von der Bundesregierung angekündigt, ist Humbug. Ebenso die von den Grünen geforderte Kennzeichnung von Haltungsformen bei Fleisch, bei der übrigens Tiergesundheit überhaupt keine Rolle spielt. Solche Modelle erhalten letztlich das System. Beliebt bei Politikern sind sie, weil man den Verbrauchern die Verantwortung zuschieben und vom eigenen Versagen ablenken kann. Der Überfluss an Milch, Fleisch und Eiern in der EU erlaubt es Verarbeitern und Handel, die Erzeugerpreise nach Belieben zu drücken. Diese Akteure haben kein Interesse daran, dass sich etwas substanziell am System ändert.

Welche konkreten Forderungen haben Sie an die Politik?

Das Thema Tierhaltung ist hochgradig emotionalisiert. Was fehlt, sind die Fakten. Deswegen muss endlich eine betriebsgenaue Erfassung der Tiergesundheit anhand objektiver Gesundheits-Indikatoren in allen Betrieben vorgeschrieben werden. Das nötige Wissen ist da, die Datenerfassung und -verarbeitung kein Problem. Auf dieser Grundlage lassen sich Best-Practice-Betriebe identifizieren und Benchmarking-Verfahren etablieren. Schlechte Betriebe müssen sich verbessern – oder die Tierhaltung sein lassen. Die Bauern müssen für Tiergesundheit angemessen entlohnt und die nötigen Preise von den Verbrauchern bezahlt werden. Tierische Lebensmittel und Zutaten von nachweislich gesund gehaltenen Tieren müssen der Mindeststandard werden. Punkt.

Willst auch Du, dass die Politik sich endlich bewegt?

Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) hat mit einem Gesetzesentwurf den Anfang gemacht – jetzt darf Agrarminister Schmidt (CSU) das Thema nicht verschleppen. Gemeinsam zeigen wir ihm: es ist Zeit für eine breite Debatte über Tierhaltung. 


Zur Person


Zitat von Matthias Wolfschmidt, foodwatch zu Megaställen. Grafik: Sascha Collet/Campact (CC)Matthias Wolfschmidt, Jahrgang 1965, ist approbierter Tierarzt und Master of Science in Pharmaceutical Medicine (Universität Witten-Herdecke). Ab 1995 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundestag, zuletzt in der Enquete Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“. Seit 2002 ist er bei foodwatch für Strategie & Kampagnen zuständig, seit 2005 stellvertretender Geschäftsführer.

„Das Schweinesystem. Wie Tiere gequält, Bauern in den Ruin getrieben und Verbraucher getäuscht werden“ erschien 2016 bei S.FISCHER.

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Autor*innen

Katrin Beushausen kam von der Bühne zur Politik: Nach dem Studium der Theaterwissenschaft arbeitete sie als Pressereferentin und Dramaturgin, lehrte und promovierte zum Verhältnis von Theater und Öffentlichkeit. Sie organisierte kreativen Protest gegen Uni-Sparpläne und stritt bei 350.org gegen klimaschädliche Investitionen. Seit 2016 ist sie Campact Campaignerin. Alle Beiträge

3 Kommentare

Kommentare sind geschlossen
  1. Ich meine 2017 naturlich …und das die von den Grunen(also auch von mir) geforderte Kennzeichnug finde ich ein segr gutes Instrument um die Bevolkerung fur dieses Thema zu sensibilisieren.Ohne eine Bewusstseinsveranderung der Bevolkerung zumTierleid aber auch zum Klimawandel wird dieTransformation der Gesselschaft nicht gelingen.

  2. Du hast ja recht, und das was hier Formuliert ist wurde ich ir auch wunschen.Ich habe aber mitbekommen wieschwieriges ist alleine die Kennzeichnungspflicht von Haltungsformen bei Fleisch durchzusetzen,dass ich mir kaum vorstellen kann das ein noch grisserer Schritt in die richtige Richtung moglich sein kann und wenn dann ist er nur mit der Hilfe der Grunen fur mich zu bewerkstelligen.Ich unterzeichne gerne den Apell.Es ist Zeit furr eine breite Debatte uber Tierhaltung stimmt!Da sind die Grunen die einzigen die diese Debatte mal entlich anfangen.mir sind leine Schritte lieber alsgar keine und wenn es Cgancen gibt grosse Hurden zu schaffen dann seit ihr mir meiner Unterstutzung sicher….wir-haben-es-satt demo Berlin 21.01.16 🙂

  3. Es ist höchste Zeit, dass wir uns ändern und nicht nur an unser Wohl sondern auch an das Wohl der Tiere denken. Sicher ist es auch für uns gesünder Produkte von gesunden Tieren ohne Tierleid zu leben. Außerdem können wir unseren Kindern solch ein System nicht hinterlassen!!!

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