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Du kennst sicherlich diese Diskussion. Jemand kritisiert rechtsextreme Gewalt. Prompt kommt die Antwort: „Aber die Linksextremen sind genauso schlimm!“ Diese Reaktion folgt einem politischen Denkmodell, das sich Hufeisentheorie nennt. Zeit, genauer hinzuschauen.

Was ist die Hufeisentheorie?

Stell Dir ein Hufeisen vor. An beiden Enden befinden sich die politischen Extreme: Rechts- und Linksextremismus.  Die Hufeisentheorie geht davon aus, dass beide Extreme gleich schlecht seien – und mit gleichem Einsatz verfolgt werden müssen. Die Mitte hingegen bleibt offen und vernünftig. So weit, so simpel.

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Die Theorie stammt vom französischen Philosophen Jean-Pierre Faye. Er entwickelte sie in den 1990er Jahren. Seine Grundidee: Extreme berühren sich. Links- und Rechtsradikale ähneln sich in ihren Methoden. Dazwischen liegt die vermeintlich angestrebte Mitte. 

Links böse, rechts böse, Mitte gut?

Aber so simpel ist es nicht. Besonders in der Mitte des Spektrums – allen voran von der CDU – wird diese Vereinfachung jedoch gerne genutzt. Politiker*innen der selbsterklärten Mitte präsentieren sich so als vernünftige Alternative und grenzen sich von beiden Extremen gleichermaßen ab.

In der Vergangenheit hat die CDU mehrfach behauptet, AfD und Linke seien gleich weit weg von ihr und hat eine Zusammenarbeit mit beiden vehement ausgeschlossen. Dabei ist die eine Partei ein rechtsextremer Verdachtsfall und die andere eine Partei des demokratischen Spektrums. 

Interessanterweise diente der CDU die Hufeisen-Metapher in der Vergangenheit nur als Abgrenzung zu dem einen Extrem – denn mit der AfD arbeitete die Bundes-CDU in der jüngeren Vergangenheit sehr wohl zusammen. Außerdem nutzt die CDU die Hufeisentheorie als rhetorisches Mittel, wenn sie „gegen jede Art von Extremismus“ ist. 

Die Hufeisentheorie verschleiert reale Bedrohungen 

Indem die Hufeisentheorie Ungleiches gleichsetzt, verschleiert sie reale Bedrohungen. Schauen wir uns die Realität an: In Deutschland sterben jährlich Menschen durch rechtsextreme Gewalt. Auch der neue Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2024 belegt, dass Rechtsextremismus mit großem Abstand die größte Bedrohung für die Sicherheit in Deutschland darstellt. 

Rechtsextreme Gewalt nimmt massiv zu 

Rechtsextreme Straftaten (wie Volksverhetzung, Sachbeschädigungen oder das Verbreiten von Propagandamitteln) stiegen 2024 um fast 50 Prozent an – auf 37.835 Fälle. Auch die rechtsextreme Gewalt erhöhte sich um 11,6 Prozent auf 1.281 Delikte. Die Amadeu Antonio Stiftung zählt seit der Wiedervereinigung im Jahr 1990 mindestens 221 Todesopfer rechter Gewalt. 

Bei linksextremer Gewalt sieht die Bilanz anders aus. Im Gegensatz zum Rechtsextremismus sind die Zahlen dort deutlich geringer – auch wenn CSU-Innenminister Alexander Dobrindt dies bei der Präsentation des Verfassungsschutzberichtes 2024 in Berlin anders darstellen wollte und die Y-Achsen der Grafiken manipuliert hat. Außerdem dominieren bei linksextremer Gewalt Sachschäden. Zwar brennen Autos und es zerbrechen Scheiben, aber es sterben keine Menschen.

Warum die Gleichsetzung gefährlich ist

Die Hufeisentheorie ignoriert zudem grundlegende Unterschiede zwischen linken Ideen und rechten Ideologien. Linksextremismus kritisiert Strukturen. Er will Kapitalismus, Staat oder Polizei abschaffen. Im Vordergrund steht die soziale Gleichheit und der Kampf für ein gutes Leben für alle! 

Rechtsextremismus hingegen bedroht Menschen direkt. Im Bundestagswahlprogramm 2025 spricht die AfD offen von „Remigration“ und fordert die Massenabschiebungen von Millionen Deutschen mit Migrationshintergrund. Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer definiert Rechtsextremismus durch eine Ideologie der Ungleichheit, also der Idee, dass manche Menschen weniger wert sind, und durch die Akzeptanz von Gewalt. 

Diese Unterscheidung ist wichtig. Sie macht deutlich: Nicht alle Extreme sind gleich.

Rechtsextremismus tötet Menschen

Und doch werden sie in der Praxis häufig gleichgesetzt. Nach jedem rechtsextremen Anschlag folgt die gleiche Rhetorik. „Wir müssen alle Formen des Extremismus bekämpfen.“ Das lenkt ab vom eigentlichen Problem. Rechtsextremismus tötet Menschen. Dagegen hilft keine Relativierung.

Auch bei Protesten zeigt sich das Muster. Friedliche Klimademonstrant*innen werden mit Neonazis gleichgesetzt. Beide Gruppen seien „Extremisten“. Beide würden die Demokratie gefährden; eine absurde Gleichstellung. 

Die Ausgewogenheit der Medien 

Medien verstärken diese Verzerrung oft unwillentlich. Sie wollen ausgewogen berichten. Das ist grundsätzlich richtig. Aber doch oftmals schwierig. Deutlich wird das bei der Klimaberichterstattung: Aus einer falsch verstandenen Neutralität heraus kommen in Medienberichten oftmals noch Skeptiker*innen der Klimakrise zu Wort. 

Echte Ausgewogenheit würde die Verhältnismäßigkeit beachten. Sie würde zeigen: Die Klimakrise ist eine echte Bedrohung – und das ist wissenschaftlicher Konsens. Oder klar sagen, dass Rechtsextremismus die deutlich größere Gefahr ist. 

Hufeisentheorie ist zu oberflächlich

Selbstverständlich lebt Demokratie von Meinungsvielfalt, von kontroversen Debatten und von unterschiedlichen Standpunkten. Die Hufeisentheorie erstickt diese Vielfalt. Denn Politik lässt sich nicht auf ein Hufeisen reduzieren.

Laut der Bildungsstätte Anne Frank habe der Fokus auf „Extremismus“ auch dafür gesorgt, dass Rassismus und Antisemitismus allein an den politischen Rändern verortet werden. Die Mitte spricht sich von solchen Einstellungen frei. Dabei ist Menschenfeindlichkeit auch ein großes Problem der gesellschaftlichen Mitte; die Hufeisentheorie lenkt von Problemen im Inneren ab.

Marcel Solar, Politikwissenschaftler an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, hält die Theorie für zu oberflächlich: „Aus heutiger Sicht ist die Hufeisentheorie ein bisschen überholt, weil sie sehr eindimensional ist“, heißt in einem Beitrag vom Deutschlandfunk. Parteien könnten nicht auf einer einfachen Skala eingeordnet werden.

Demokratie braucht radikale Positionen

Es gibt bessere Wege, Politik zu verstehen. Zum Beispiel mehrdimensionale Modelle. Oder man betrachtet konkrete Inhalte. Was will eine Bewegung erreichen? Mit welchen Mitteln? Gegen wen richtet sie sich? Das sind die entscheidenden Fragen.

Fakt ist: Demokratie braucht manchmal radikale Positionen. Sie stellen den Status quo infrage und treiben Veränderungen voran. Ohne radikale Positionen hätten wir keine Frauenrechte. Keine Arbeitnehmerrechte. Keine Bürgerrechte. All das entstand aus „extremen“ Forderungen heraus.

Demokratisch vs. antidemokratisch  

Hilfreicher als die Hufeisentheorie ist die Unterscheidung zwischen demokratisch und antidemokratisch. Wer die Grundrechte respektiert, gehört zum demokratischen Spektrum. Wer sie ablehnt, steht außerhalb. Mit Rassismus, Hass und Hetze untergraben Rechtsextreme weltweit die Grundpfeiler unseres Zusammenlebens – allen voran die AfD. Ihre rechtsextreme Ausrichtung und zahlreiche Aussagen ihrer Mitglieder sind alles andere als demokratisch. Warum die AfD keine demokratische Partei ist, liest Du hier. 

Endlich konkret werden

In Zeiten multipler Krisen zeigt sich immer wieder: Die Welt ist nicht einfach. Politik schon gar nicht. Wer sie verstehen will, muss bereit sein für Komplexität – und für Widersprüche. 

Wir halten fest: 

  • Politik lässt sich nicht auf simple Formeln reduzieren. Bei falschen Gleichsetzungen sollten wir misstrauisch werden.
  • Nicht alle Extreme sind gleich. Wer Menschen bedroht, ist gefährlicher als diejenigen, die Strukturen kritisieren. Darum ist es wichtig, der Gleichsetzung von Links und Rechts zu widersprechen und wir müssen konkret werden: Statt über „Extremismus“ im Allgemeinen zu reden, sollten wir Faschismus oder Diskriminierung explizit benennen.
  • Relativierung hilft niemandem. Sie verschleiert reale Probleme. Sie verhindert angemessene Reaktionen.
  • Demokratie braucht klare Kante – und zwar gegen echte Bedrohungen und nicht gegen alle Formen von Radikalität.

Ob im Parlament, auf der Straße oder im Internet: Rechtsextremismus ist gefährlich und bedroht unsere Demokratie. Campact setzt sich entschlossen dagegen ein – mit Appellen, Demos und Aktionen im Netz.

Mach auch Du Dich stark gegen Rechtsextremismus. Wir unterstützen wir Dich beim Dagegenhalten. Hier findest Du Tipps fürs Gespräch mit AfD-Sympathisant*innen. In unserem WhatsApp-Kanal versorgen wir Dich zudem mit Fakten, Grafiken oder informativen Videos gegen rechtsextreme Propaganda – anschaulich, aufklärend und einfach zu teilen. Und damit Dir in entscheidenden Momenten nicht die Argumente fehlen, findest Du hier 10 Argumente, warum die AfD unwählbar ist.

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