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Endlich geht es voran. Neue Solar- und Windkraftwerke werden gebaut. Doch kaum funktioniert der Ausbau der erneuerbaren Energien, versucht CDU-Wirtschaftsministerin Katherina Reiche ihn wieder zu bremsen. Der Hintergrund: Der Stromverbrauch wächst nicht so schnell wie bisher geplant. Doch das ist ein fragwürdiges und auf lange Sicht gefährliches Argument.

Wie es mit der Energiewende hierzulande weitergeht, dürfte sich in Kürze entscheiden. Reiche hat einen Monitoring-Bericht in Auftrag gegeben, der die bisherige Entwicklung analysieren und Rückschlüsse für die Zukunft ziehen soll. Öfter plädierte sie bereits dafür, mehr fossile und weniger erneuerbare Energie einzusetzen.

Kampagnengrafik zum Appell "Lobby-Ministerin stoppen: Energiewende verteidigen". Fotomontage mit Katherina Reiche vor kaputten Windrädern.
Grafik: Campact e.V.

Lobby-Ministerin stoppen

Mit Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) droht uns der fossile Rückschritt: Statt erneuerbare Energien weiter voranzubringen, plant sie neue Gaskraftwerke. Ganz im Sinne ihres ehemaligen Arbeitgebers – der Gaswirtschaft. Gemeinsam verteidigen wir die Energiewende, unterzeichne jetzt den Appell an die Ministerin!

McKinsey-Analyse: Stromverbrauch wächst langsamer 

Reiches Monitoring-Bericht soll unter anderem diese Fragen beantworten: Wie entwickelt sich der Strombedarf in Deutschland? Und welche Mengen an grüner Energie brauchen wir künftig? Die Debatte in Gang gebracht hat etwa die Unternehmensberatung McKinsey. In ihrem Gutachten „Zukunftspfad Stromnachfrage“ argumentiert sie, der Verbrauch von Elektrizität habe in den vergangenen Jahren weniger zugenommen als erwartet. Tatsächlich wurden 2024 hierzulande rund 500 Terrawattstunden (Twh, Billionen Wattstunden) verbraucht. Die Berater erwarten, dass die Nachfrage bis 2030 auf rund 600 TWh wächst. Die frühere Bundesregierung ging bei der Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes hingegen von 750 TWh im Jahr 2030 aus. Doch McKinsey hält nicht nur das für zu hoch gegriffen – auch nach 2030 werde die Stromnachfrage nicht so stark wachsen, wie einst berechnet.

Ursachen für die schwache Nachfrage

Die Unternehmensberatung nennt mehrere Gründe für die verhaltene Entwicklung. Zum einen spiele die lahme Konjunktur eine Rolle. Wenn die Industrieproduktion kaum wächst, brauchten die Unternehmen keinen zusätzlichen Strom. Die Wachstumspause drücke auch auf das Tempo des Umbaus von fossilen zu erneuerbaren Energien. Zum Beispiel für den Ersatz von Kohle und Erdgas durch grünen Wasserstoff, für Investitionen in neue Pipelines und Elektrolyseure stehe weniger Geld zur Verfügung. Politische Prozesse machten sich zusätzlich bemerkbar: Weil Kaufprämien gestrichen wurden, gehe der Absatz von Elektroautos zurück, und die Diskussion über das Gebäudeenergiegesetz (GEG), auch Heizungsgesetz genannt, bremse den Absatz von strombetriebenen Wärmepumpen. Das alles deute auf eine „nachhaltig verlangsamte Elektrifizierung hin“, so McKinsey.

Ihre Schlussfolgerung: In den nächsten Jahren brauche man weniger zusätzliche Öko- Kraftwerke und Stromleitungen. Der Ausbau müsse gebremst werden, heißt es, weil sonst zu viel Geld in neue Anlagen fließe – obwohl aktuell nicht genug Strom gebraucht wird. Das treibe den Strompreis der Elektrizität für Privathaushalte und Unternehmen ungerechtfertigt in die Höhe. Andere Studien etwa im Auftrag des Energieunternehmens EnBW kommen zu ähnlichen Ergebnissen.

Erneuerbare senken Strompreis

Gegen dieses Argument spricht jedoch die grundsätzliche Wirkung der erneuerbaren Energien im Elektrizitätssystem. Unter anderem wegen ihrer sinkenden Produktionskosten können sie den Durchschnittspreis für Strom drücken, den Privathaushalte und Unternehmen zahlen. Dies ist das Ergebnis eines Gutachtens der Firma Aurora Energy Research im Auftrag der Organisation Agora Energiewende. „Der geplante Ausbau Erneuerbarer Energien bis 2030 ist ein zentraler Hebel für niedrige Strompreise“, schreibt Agora, „er senkt den durchschnittlichen Börsenstrompreis um rund 20 Euro pro Megawattstunde – im Vergleich zu einem Szenario mit verlangsamtem Ausbau.“ 20 Euro pro Megawattstunde entsprechen zwei Cent je Kilowattstunde.

Dieser Effekt ist auch entscheidend für die Energiewende, vor allem in Bereichen, in denen heute noch die fossilen Energien dominieren – Heizungen in Gebäuden, Fahrzeuge und in der Industrie. Je günstiger der Ökostrom wird, desto schneller kann er dort fossile Energie ersetzen. Das funktioniert über die sogenannte Sektorenkopplung. Dabei werden Energieüberschüsse aus einem Bereich – etwa der Stromproduktion – in anderen Bereichen sinnvoll genutzt. Ein entscheidender Faktor dafür ist, wie viel sauberer Strom produziert wird – und genau deshalb darf sein Ausbau nicht gebremst werden

Im Übrigen kann man davon ausgehen, dass die deutsche Wirtschaft nicht zuletzt wegen der massiven Staatsinvestitionen ab 2026 aus ihrer Stagnation herauskommt und der Strombedarf perspektivisch erheblich wächst. Dafür sprechen auch Entwicklungen wie der steigende Verkauf von Wärmepumpen und Elektroautos sowie das Wachstum bei Rechenzentren.

Stromnetze brauchen Planungsvorlauf

Was aber ist von dem Argument zu halten, angesichts des momentan vergleichsweise geringen Stromverbrauchs könne man die Investitionen in den Ausbau der Elektrizitätsnetze nach hinten schieben? Nicht viel, denn trotz der schnelleren Planungsverfahren entstehen Stromleitungen nicht von heute auf morgen. Im Falle des Südlinks, der Leitung von Schleswig-Holstein bis Baden-Württemberg, die Windenergie von Nord nach Süd transportieren soll, begannen die Planungen bereits 2012 – Strom wird erst ab 2028 fließen. Selbst wenn die Bundesnetzagentur weiter Druck macht und solche Vorhaben künftig in der halben Zeit ablaufen, muss man heute die Netze vorbereiten, die Ende der 2030er Jahre in Betrieb sein sollen. Abwarten gefährdet die Klimaneutralität 2045. Die Investitionen sind jetzt erforderlich.

Das hat auch CSU-Ministerpräsident Markus Söder inzwischen verstanden. „Wir haben in Bayern Energiehunger“, sagte er beim Baustart eines Südlink-Abschnitts in Bayern, „jedes Rechenzentrum hat fast einen Strombedarf wie eine Stadt wie Regensburg.“

Es wäre gut, wenn er das auch Wirtschaftsministerin Katherina Reiche erklären würde.

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Autor*innen

Hannes Koch ist selbstständiger Wirtschaftskorrespondent in Berlin und Mitgründer des Journalistenbüros www.die-korrespondenten.de. Er schreibt über nationale und internationale Wirtschafts-, Finanz-, Umwelt- und Sozialpolitik, unter anderem für die Tageszeitung taz. Alle Beiträge

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