Feminismus
Eine junge Frau läuft durch Rotterdam, als ein Mann sie verbal bedrängt und verfolgt. Wenige Wochen später steht der 33-Jährige vor Gericht und wird zu einer Geldstrafe verurteilt – denn in den Niederlanden ist Catcalling seit 2024 strafbar.
Was ist Catcalling?
Catcalling (auf Deutsch: Katzenrufen) bezeichnet sexuell anzügliches Rufen, Reden, Pfeifen oder sonstige Laute im öffentlichen Raum, meist von Männern gegenüber Frauen. Typische Beispiele reichen von „Ey Blondie“ über Kussgeräusche bis hin zu explizit sexuellen Kommentaren wie „Geiler Arsch“.
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Leider ist es wichtig, zu betonen: Diese Kommentare sind keine Komplimente! Das viel zu harmlos klingende Catcalling ist vielmehr das Ausnutzen von Dominanz und Macht. Die Betroffenen werden zu Objekten degradiert, über die fremde Personen öffentlich urteilen.
Die SPD will Catcalling strafbar machen
Die SPD will „Catcalling“ unter Strafe stellen lassen und fordert einen neuen Straftatbestand gegen verbale sexuelle Belästigung. Die Union (oh, Wunder!) ist dagegen – dabei gab es im Koalitionsvertrag die Einigung, „die Schließung von Strafbarkeitslücken“ zu prüfen.
Dass eine Gesetzeslücke vorliegt, hat der Bundesgerichtshof bereits 2017 festgestellt. Denn bislang gilt verbale sexuelle Belästigung im juristischen Sinne nicht als Beleidigung und fällt damit nicht unter den Tatbestand der sexuellen Belästigung, der bisher Körperkontakt voraussetzt.
Im Interview mit dem Magazin „Stern“ erklärte die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Sonja Eichwede Anfang des Monats: „Diese Gesetzeslücke muss geschlossen werden. Solch ein Verhalten können wir nicht tolerieren.“
Wo Catcalling bereits verboten ist
Deutschland wäre nicht das erste Land, das diesen Schritt geht: In den Niederlanden ist sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum seit Juli 2024 strafbar. Dazu gehört auch Catcalling. In Frankreich steht Catcalling seit 2018 unter Strafe und wird mit Geldstrafen von bis zu 750 Euro geahndet. Wenn die Betroffene unter 15 Jahre alt ist, können es bis 1.500 Euro sein. Im ersten Jahr waren rund 700 Bußgeldzahlungen fällig. Auch in Portugal und Belgien ist Catcalling verboten.
Die schwerwiegenden Folgen von Catcalling
Catcalling ist kein harmloses Verhalten – und kein Einzelfall. Die Zahlen zeigen: Das Problem ist real und weit verbreitet. Nach einer Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend aus dem Jahr 2024 nehmen 44 Prozent der Frauen und 32 Prozent der Männer in ihrem Umfeld Sexismus wahr. Laut der Studie sagen zudem 68 Prozent der Frauen und 43 Prozent der Männer unter 25 Jahren, dass sie bereits Adressaten („Opfer“) sexistischer An- und Übergriffe waren. Viele haben zudem wegen Catcalling Angst vor (sexuellen) Übergriffen.
Sind sie alleine unterwegs, „bewaffnen“ sich 45 Prozent: Sie klemmen beispielsweise einen Schlüssel zwischen die Finger oder haben Pfefferspray dabei. In den Niederlanden boomt derzeit das „Schlumpf-Spray“, das Angreifer mit Farbe markiert und ihnen sekundenlang die Sicht nimmt. In mehreren Städten war es laut Medienberichten schnell ausverkauft.
Frauen schränken sich ein – nicht die Täter
Das Perfide: Verbale sexuelle Belästigung schüchtert die Opfer, in aller Regel Frauen oder Mädchen, massiv ein. Eichwede fordert daher im Stern-Interview folgerichtig: „Nicht die Opfer sollten ihr Verhalten ändern, sondern die Täter.“
Doch in der Realität passiert genau das Gegenteil: Frauen schränken die Wahl ihrer Kleidung ein, wählen bestimmte Routen nur am Tag oder sind abends gar nicht mehr alleine unterwegs. Das ist ein inakzeptabler Eingriff in die Bewegungsfreiheit. Auf Spiegel Online wurde 2021 ein Artikel mit der Überschrift „Warum ich während der EM endlich ohne Angst joggen kann“ veröffentlicht: In dem Beitrag wird die Autorin zum Fußballfan, weil sie während der Spielzeiten der Deutschen Fußballelf auch am Abend ohne Angst vor Belästigung joggen gehen kann.
Passend dazu haben Polizeibehörden in England gerade eine Kampagne namens „Jog On“ gestartet: Polizistinnen joggen in Zivil auf beliebten Laufstrecken und erwischen Täter auf frischer Tat. Nach einem Monat nahmen sie 18 Personen wegen Belästigung, sexueller Übergriffe oder Diebstahls fest.
Denn Catcalling ist kein individuelles Problem, es geht hier nicht nur um irgendwelche unüberlegten Sprüche: Catcalling spiegelt tief verwurzelte gesellschaftliche Normen und Machtstrukturen wider. Es konnserviert Geschlechterstereotype und festigt die Vorstellung, dass der weibliche Körper in der Öffentlichkeit zur freien Verfügung steht.
Verbale sexuelle Belästigung sollte strafbar sein
Laut einer Umfrage der Kriminalpolitischen Zeitschrift sind 78,1 Prozent der Meinung, dass Catcalling ein gesellschaftliches Problem ist. 90 Prozent fordern zudem eine Regulierung durch den Staat. Eine weitere Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts zeigt: Dafür, dass Catcalling bestraft werden sollte, stimmten 84 Prozent der Befragten. Fast alle plädieren für eine Geldbuße oder -strafe.
Warum das Gesetz allein nicht ausreicht und was wirklich nötig wäre, erfährst Du im Gastbeitrag von Sibel Schick:
Modernisierung des Strafgesetzbuches
Auch Richterin Eichwede kann sich vorstellen, dass zunächst Geldstrafen drohten. „Im Koalitionsvertrag ist vereinbart, eine Modernisierung des Strafgesetzbuches anzugehen und zu schauen, wo es Anpassungsbedarf gibt. Aus unserer Sicht gehört verbale sexuelle Belästigung dazu“, sagte sie im Interview mit dem Stern.
Die SPD hatte bereits 2023 ein Positionspapier für eine strafrechtliche Bekämpfung von verbalen sexuellen Belästigungen veröffentlicht und mehr Sicherheit für Frauen im öffentlichen Raum gefordert. Dass das Thema nun wieder auf dem Tisch liegt, ist ein wichtiger Schritt. Jedoch darf das nur der Anfang sein.