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Milliardärsfamilien können ihr Vermögen oft steuerfrei weitergeben – während kleinere Erbschaften regulär besteuert werden. Das ist ungerecht, verstärkt die Kluft zwischen Arm und Reich und gefährdet unsere Demokratie. Mit der Kampagne „Ehrensache Erbschaftsteuer“ treten Finanzwende, taxmenow und das Netzwerk Steuergerechtigkeit dafür ein, dass endlich auch Überreiche ihren fairen Beitrag leisten. Im Interview erklärt Gerhard Schick, Vorstand von Finanzwende e.V., warum eine gerechte Erbschaftsteuer so wichtig und eine Reform längst überfällig ist – für mehr Fairness und eine starke Demokratie.

Portrait von Gerhard Schick, Vorstand von Finanzwende e.V.
Foto: Privat

Gerhard Schick ist promovierter Volkswirt, ehemaliges Mitglied des Bundestages und seit 2018 Vorstand der Bürgerbewegung Finanzwende e.V.

Herr Schick, Finanzwende hat gemeinsam mit dem Netzwerk Steuergerechtigkeit und taxmenow die Kampagne „Ehrensache Erbschaftsteuer“ gestartet. Worum geht es Ihnen dabei?

Es geht uns um etwas sehr Grundlegendes: Anstand. In Deutschland können Milliardärsfamilien ihr Vermögen häufig an die nächste Generation weitergeben, ohne darauf einen Cent Steuern zu zahlen. Bei deutlich kleineren Beträgen müssen Erb*innen dagegen regulär Steuern zahlen, weil sie nicht von den existierenden Ausnahmen profitieren. Das heißt: Je größer das Erbe, desto niedriger der Steuersatz. Das ist das Gegenteil von gerecht. 

Diese Schieflage gefährdet auch unsere Demokratie. Denn dadurch nimmt die Ungleichheit immer weiter zu. Und dem Staat entgehen jedes Jahr bis zu zehn Milliarden Euro. Geld, das an anderer Stelle gerade dringend benötigt wird, zum Beispiel für Kitas oder Schulen. Unsere Botschaft lautet deshalb: Keine Ausnahmen mehr für Milliardäre. Die Erbschaftsteuer muss wieder das machen, wofür sie vor über 100 Jahren eingeführt wurde – nämlich die extreme Konzentration von Vermögen begrenzen.

Finanzwende tritt hier gemeinsam mit taxmenow und dem Netzwerk Steuergerechtigkeit auf. Warum dieses Bündnis?

Weil wir es mit extrem finanzstarken Gegner*innen zu tun haben. Um dagegen anzukommen, brauchen wir als Zivilgesellschaft gebündelte Kräfte: taxmenow bringt die Perspektive vermögender Menschen ein, die selbst für gerechte Steuern eintreten. Das Netzwerk Steuergerechtigkeit hat die wissenschaftliche Expertise. Und wir von Finanzwende organisieren zivilgesellschaftlichen Druck. Zusammen können wir zeigen: Steuergerechtigkeit ist ein breiter gesellschaftlicher Wunsch.

Wie konnten sich solche Ausnahmen über Jahrzehnte halten?

Hinter all dem steckt die Lobby der Milliardärsfamilien, wie zum Beispiel die Stiftung Familienunternehmen. Jahrzehntelang haben sie Millionen in Kampagnen und direkte politische Einflussnahme gesteckt. Ich habe in meiner Zeit als Bundestagsabgeordneter selbst erlebt, wie die Lobby der Milliardärsfamilien arbeitet. Ihr Lobbyismus hatte nur ein Ziel: die Privilegien der Milliardärsfamilien zu sichern. 

Ein Beispiel ist die sogenannte Verschonungsbedarfsprüfung. Sie wurde 2016 bei der letzten Reform der Erbschaftsteuer in das Gesetz lobbyiert. Mit der Verschonungsbedarfsprüfung kann jemand, der ein Milliardenunternehmen erbt, die Erbschaftsteuer komplett vermeiden – wenn er offiziell als „bedürftig“ gilt, also nicht genügend Privatvermögen besitzt. So musste etwa Mathias Döpfner, der Anteile von Springer SE im Wert von einer Milliarde Euro erhielt, darauf laut Medienberichten fast keine Steuern zahlen. Das ist ein Skandal.

Welche gesellschaftlichen Folgen hat diese Steuerpolitik?

Wir erleben eine gefährliche Vermögenskonzentration. Heute besitzt das reichste Prozent der Bevölkerung über 35 Prozent des gesamten Vermögens, während die ärmere Hälfte gerade einmal 2 Prozent hält. Diese extreme Ungleichheit schwächt den sozialen Zusammenhalt. Wer über so viel Geld verfügt, kann politischen Einfluss ausüben und eigene Regeln durchsetzen. Am Ende haben wir eine Situation, in der wenige extrem Reiche politisch stärker sind als die breite Mehrheit der Bevölkerung – und das ist brandgefährlich.

Häufig wird argumentiert, strengere Regeln würden Familienunternehmen gefährden. Was entgegnen Sie?

Das ist ein Märchen, das seit Jahren erzählt wird, um die Ausnahmen zu verteidigen. Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats des Finanzministeriums zeigt eindeutig: Die Erbschaftsteuer gefährdet den Fortbestand von Unternehmen nicht. Natürlich braucht es Stundungsmöglichkeiten, aber die pauschale Behauptung, Arbeitsplätze seien bedroht, ist schlicht unbelegt. Sie dient vor allem dazu, die Ausnahmen der Reichsten zu erhalten.

Was fordern Sie konkret von der Bundesregierung?

Wir fordern eine einfache, gerechte Erbschaftsteuer ohne Ausnahmen für Milliardäre – genau so, wie es das Bundesverfassungsgericht schon mehrfach verlangt hat. Großes Unternehmensvermögen muss endlich wie andere große Erbschaften behandelt werden. Wenn jemand ein Milliardenvermögen erbt, ist es nur fair, dass die Person auch einen entsprechenden Beitrag für das Gemeinwesen leistet.

Wie reagieren Bundesregierung und Parteien auf Ihre Forderung – gibt es politische Unterstützung?

Es gibt immer wieder Stimmen in allen demokratischen Parteien, die klar sagen: Diese Ausnahmen gehören abgeschafft. Doch die Milliardärslobby verteidigt ihre Privilegien und verbreitet gezielt Mythen zur Erbschaftsteuer, auf die noch immer viele Politiker*innen aus allen Parteien hereinfallen.

Was mich aber sehr optimistisch stimmt, ist die gesellschaftliche Stimmung, die sich sehr stark verändert hat. Immer mehr Menschen wissen um die Ausnahmen bei der Erbschaftsteuer und lassen sich die Mythen nicht mehr gefallen. Ein Beispiel: Fast 200.000 Menschen haben in kürzester Zeit unsere WeAct-Petition „Ehrensache Erbschaftsteuer“ unterzeichnet, bei der wir die Abschaffung der Ausnahmen für Milliardärsfamilien fordern. Und auch in Umfragen regt sich etwas: Zum ersten Mal war eine deutliche Mehrheit der Gesellschaft für eine Erhöhung der Erbschaftsteuer für extrem Reiche. 

Was sich also bisher immer nach einem David-gegen-Goliath-Kampf angefühlt hat – wir gegen die Milliardärslobby – wandelt sich derzeit schnell. Wir haben eine gute Chance, zum ersten Mal seit 30 Jahren etwas zu erreichen bei der Vermögensverteilung. Genau dafür brauchen wir die Unterstützung vieler Menschen, damit sich die Politik endlich traut, diese Ausnahmen zu beenden.

Was können Bürger*innen tun, um diese Veränderung zu unterstützen?

Wir brauchen öffentlichen Druck – und zwar jetzt. Deshalb rufen wir alle auf, unsere Petition zu unterschreiben. Jede Unterschrift zeigt der Bundesregierung: Die Mehrheit der Menschen will Steuergerechtigkeit. Wenn der Wille der breiten Mehrheit unserer Gesellschaft sichtbarer wird, können wir der sonst mächtigen Lobby der Milliardärsfamilien wirksam etwas entgegensetzen.

Ihr Appell in einem Satz?

Helft uns dabei, die Erbschaftsteuer wieder gerecht zu machen. Es ist eine Frage des Anstands, dass auch Milliardärsfamilien ihren fairen Beitrag leisten! 

Unterzeichne jetzt für eine gerechte Erbschaftsteuer
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Autor*innen

WeAct ist die Petitionsplattform von Campact – einer Kampagnen-Organisation, die sich mit über drei Millionen Menschen für progressive Politik einsetzt. Im Campact-Blog berichtet das Team von WeAct regelmäßig über laufende Petitionen und aktuelle Erfolge. Alle Beiträge

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