Demokratie Rechtsextremismus
Codes und versteckte Botschaften: Klingt nach Geheimagenten-Thriller, ist in der Politik aber mittlerweile Alltag. Kanzler Friedrich Merz (CDU) bekam nach seiner „Stadtbild“-Aussage zum Beispiel zu hören: Er habe sie ganz bewusst nebulös und unscharf formuliert. Er habe eine spezifische Reaktion bei einer bestimmten Gruppe hervorrufen wollen, während die Aussage gleichzeitig unschuldig genug erscheint, um öffentlicher Kritik zu entgehen.
Petition: Vielfalt ist kein Problem – sie gehört zu uns!
Das Bündnis Oldenburg für Demokratie findet: Merz Worte sind von großer Tragweite – und sie widersprechen dem Grundgesetz. Deswegen fordert das Bündnis Merz in einer Petition auf WeAct, der Petitionsplattform von Campact, auf: Herr Bundeskanzler, distanzieren Sie sich von abwertenden Deutungen Ihrer Aussage und setzen Sie sich für eine friedliche, wertschätzende Sprache ein!
Merz entschuldigte sich danach auf Nachfrage nicht oder zog die Äußerung zurück, sondern erweiterte sie um eine weitere, ebenso unscharfe Formulierung: Der Journalist sollte seine Töchter fragen, was er damit gemeint habe. Beobachter*innen sagen: Das waren zwei ganz klassische „Dog Whistles“. Aber was bedeutet das überhaupt?
Dog Whistle – Was ist das?
Eine „Dog Whistle“ (deutsch: Hundepfeife) ist – im Kontext der Politik – ein Begriff aus der Kommunikations- und Politikwissenschaft. Er bezeichnet eine Taktik, bei der eine Botschaft so formuliert wird, dass sie eine Doppelbedeutung hat. Für die Allgemeinheit erscheint die Aussage harmlos, neutral oder unverfänglich. Für eine spezifische Zielgruppe, die „Eingeweihten“, trägt sie eine verborgene, oft politisch aufgeladene oder diskriminierende Bedeutung.
Der Name leitet sich von einer tatsächlichen Hundepfeife ab, deren hoher Ton für das menschliche Gehör nicht hörbar ist, aber von Hunden klar wahrgenommen wird.
Die Metapher wurde erstmals 1988 im Zusammenhang mit politischen Umfragen genutzt. Die Wissenschaftler*innen beobachteten, dass die Ergebnisse der Umfragen zum Teil stark variierten, sobald sie die Formulierungen veränderten.
Auch nur feine Änderungen in der Formulierung der Fragen führten teilweise zu außerordentlich unterschiedlichen Ergebnissen … die Forschenden nennen das den „Dogwhistle Effect“: Die Befragten hören etwas in der Frage, was die Fragenden nicht hören.
Journalist Richard Morin 1988 in einem Artikel in der Washington Post über politische Umfragen (aus dem Englischen)
In den 1990er Jahren und frühen 2000ern ging die Nutzung des Begriffs zurück. In den 2010 kam er zurück, um Taktiken und Sprache von Politiker*innen zu beschreiben.
Merkmale und Zweck der „Hundepfeifen“
Die Hauptmerkmale einer „Dog Whistle“ sind:
- Codierte Sprache: Es werden Begriffe oder Phrasen verwendet, die für Außenstehende unauffällig sind, für die Zielgruppe jedoch als Code fungieren.
- Wiederholung: Die Phrase oder Aussage wird mehrfach in unterschiedlichen Kontexten wiederholt, um die Codierung klarzumachen.
- Glaubhafte Abstreitbarkeit (Plausible Deniability): Der*die Sprecher*in kann die verborgene Bedeutung im Bedarfsfall abstreiten und behaupten, die Worte seien harmlos gemeint gewesen.
- Mobilisierung der Zielgruppe: Die Technik wird oft genutzt, um Unterstützung bei einer bestimmten Wählergruppe zu mobilisieren oder Solidarität innerhalb einer Bewegung zu schaffen, ohne die breite Öffentlichkeit oder Moderatoren (in sozialen Netzwerken) zu alarmieren.
War Merz’ „Stadtbild“-Aussage in diesem Kontext also eine Dog Whistle? Jein. Denn die versteckte Bedeutung in seiner Aussage ist definitiv auch außerhalb der gewünschten Zielgruppe aufgefallen. Die Aussage war mehr, wie Merz’ Kritiker es formulieren, eine „Sauerländer Stammtisch-Äußerung“ à la „Ihr wisst schon, wie ich das meine“.
Ihre Wirkung als Dog Whistle hat die Aussage allerdings nicht verfehlt. Merz hat diese spezielle Dog Whistle auch gar nicht erfunden, sondern nur an eine breite Öffentlichkeit herangetragen. Im September hatte der Ministerpräsident von Bayern, Markus Söder (CSU), den Begriff „Stadtbild“ bereits im Zusammenhang mit Abschiebungen benutzt. Und die AfD in Gelsenkirchen warb im Wahlkampf mit der Aussage: „Für eine saubere Heimat mit einem gepflegten Stadtbild.“
Was sagen Kommunikationswissenschaft und Politikwissenschaft zur „Hundepfeifenpolitik“?
Wissenschaftler*innen aus Kommunikations- und Politikwissenschaft sind sich einig, dass „Dog Whistles“ eine sozial destruktive Form der Diskriminierung darstellen. Sie untergraben die Demokratie, indem sie Wähler*innen durch Appelle an ihre negativen Vorurteile manipulieren, anstatt sachliche Debatten über reale Probleme zu führen. Sie zerstören das Gefühl der Gemeinschaft und fördern Misstrauen und Isolation.
Indem sie Minderheiten als Sündenböcke präsentieren, tragen „Dog Whistles“ zur gesellschaftlichen Polarisierung bei. Sie lenken von tatsächlichen wirtschaftlichen oder sozialen Ungleichheiten ab.
Von der „Pfeife“ zum „Megaphon“
Einige Wissenschaftler*innen beobachten, dass die Botschaften in jüngster Zeit weniger subtil geworden sind. Sie hätten sich von einer leisen „Dog Whistle“ hin zu einem „Bullhorn“ (Megaphon) entwickelt – so, wie es zum Beispiel bei US-Präsident Donald Trump der Fall ist. Dies deutet darauf hin, dass das Publikum rassistische oder feindselige Botschaften zunehmend akzeptiert und keine Bestrafung durch gesellschaftliche Gegenwehr mehr befürchtet wird. So weit sind wir in Deutschland zum Glück noch nicht – aber Söder, Merz und die AfD arbeiten kräftig daran, dass wir dorthin kommen.
„Dog Whistles“ in sozialen Medien
Die Forschung beschäftigt sich auch mit der Verwendung von „Dog Whistles“ in sozialen Medien. Für Algorithmen zur Erkennung von Hassrede ist es oft schwierig, diese codierten Botschaften zu identifizieren. Das macht sie zu einem effektiven Werkzeug für extremistische Gruppen. Lies hier, wie Du rechtsextreme Codes online erkennen kannst:
Sollte man immer auf Dog Whistles reagieren?
Die Frage, ob man auf „Dog Whistles“ reagieren sollte, ist unter Expert*innen kontrovers diskutiert. Die vorherrschende Meinung in der Kommunikationswissenschaft und bei zivilgesellschaftlichen Organisationen, wie beispielsweise der Amadeu Antonio Stiftung oder Hate Aid, ist: Ja, man sollte reagieren – allerdings strategisch und überlegt.
Wird die Botschaft ignoriert, ermöglicht das dem*der Sprecher*in, die codierte Aussage noch weiter zu verbreiten und Vorurteile in der angesprochenen Zielgruppe – und darüber hinaus – zu verfestigen. Auch stillschweigende Duldung trägt dazu bei. Im schlimmsten Fall eskaliert die Sprache und die Grenze des Sagbaren verschiebt sich immer weiter, bis wir bei den bereits erwähnten „Bullhorns“ bzw. Megaphonen angekommen sind.
Wie reagiert man auf diese versteckten Codes?
Doch nicht jede Reaktion ist gleichermaßen sinnvoll. Zuerst einmal muss klar werden: Ist hier überhaupt eine versteckte Botschaft im Spiel? So kannst Du Dich annähern:
Nach Klärung fragen (Die „Was meinen Sie damit?“-Methode)
Die effektivste Methode ist, den*die Sprecher*in öffentlich und sachlich um eine Klärung zu bitten. Anstatt die Person direkt des Rassismus oder der Diskriminierung zu beschuldigen (was Abwehrhaltungen hervorruft), zwingt man die Person so, ihre Aussage zu präzisieren.
Das Ziel dabei: Entweder muss die Person ihre wahre Absicht offenlegen und sich der öffentlichen Kritik stellen, oder sie muss zurückrudern und eine harmlose Erklärung abgeben. Dadurch wird die „Dog Whistle“ zwar nicht entschärft, aber ihrem ursprünglichen Kontext entzogen.
Den Code demaskieren und benennen
Sobald die Absicht klar ist (etwa durch wiederholte Muster oder den Kontext), sollte man die „Dog Whistle“ entlarven – und nicht nur unreflektiert wiederholen. Denn Wiederholung führt zu Normalisierung.
Es ist wichtig, die Verbindung zwischen dem harmlosen Begriff und der diskriminierenden Bedeutung transparent zu machen, um die breite Öffentlichkeit aufzuklären. So wird die glaubhafte Abstreitbarkeit der Person untergraben und das Thema kann in eine offene, sachliche Debatte überführt werden.
Den Fokus auf die Fakten lenken
„Dog Whistles“ lenken oft von tatsächlichen Problemen ab. Eine wirksame Reaktion kann sein, zur Sachebene zurückzukehren und die manipulativen Taktiken der Person zu ignorieren, indem man sich auf belegbare Fakten und Daten konzentriert.
Kontextualisierung
Es ist hilfreich, die „Dog Whistle“ in einen größeren Kontext einzuordnen, insbesondere wenn der*die Sprecher*in für ähnliche Aussagen bekannt ist. Dies zeigt ein Muster und macht die verborgene Bedeutung für die Allgemeinheit offensichtlicher.
Das haben in den vergangenen Wochen einige Medien sehr vorbildlich umgesetzt: Sie setzten die Aussage von Merz in einen größeren Kontext von Aussagen des Jetzt-Kanzlers zum Thema Migration aus den vergangenen Jahren, die zwischen geheimen „Dog Whistles“ und empörenden Falschaussagen einzuordnen sind.
Die Amadeu Antonio Stiftung hat im Rahmen ihrer Kampagne „civic x net – Aktiv gegen Hass im Netz“ einen Leitfaden zusammengestellt, wie man in sozialen Netzwerken richtig auf „Dog Whistles“ reagieren kann. Schau ihn Dir hier auf der Seite der Stiftung an.