Es war ein historischer Versuch, die Globalisierung zu „zivilisieren“. Soziale Menschenrechte sollten nicht nur in deutschen und europäischen Fabriken gelten, sondern auch in ausländischen, die für Deutschland und Europa produzieren. Doch eine konservative bis rechte Mehrheit dreht dieses Vorhaben jetzt zurück: Sie schwächt die europäische Lieferketten-Richtlinie und das deutsche Lieferkettengesetz.
Was das Lieferkettengesetz vorsah
Die Beschäftigten in Bangladesch, Vietnam, Ghana und anderen Produktionsländern sollten örtliche Mindestlöhne erhalten, bezahlten Urlaub nehmen und der Sicherheit der Werksgebäude vertrauen können.
Dass die EU-Lieferketten-Richtlinie solche grundlegenden Arbeitsrechte gewährleistet, ist auch eine Reaktion auf den Einsturz der Fabrik Rana Plaza in Bangladesch 2013, bei dem über 1.000 Menschen starben. Um solche Katastrophen künftig zu verhindern, verpflichtete die EU große europäische Unternehmen, für menschenwürdige Arbeitsbedingungen bei ihren Zulieferern zu sorgen – ob für Kleidung, Smartphones oder Autos.
Weniger Unternehmen erfasst
Kaum beschlossen, will die EU-Kommission die Richtlinie deutlich abschwächen. Die Europäische Volkspartei (EVP), zu der auch CDU und CSU gehören, argumentiert, der Schutz der Menschenrechte belaste Unternehmen in Zeiten wirtschaftlicher Stagnation zu stark. Der Druck in diese Richtung wächst auch, weil rechtsextreme Parteien im EU-Parlament an Einfluss gewonnen haben – ihnen sind Menschenrechten in anderen Ländern egal. So entschied der Rat der Regierungen Ende Juni 2025, dass künftig deutlich weniger Firmen unter die Richtlinie fallen sollen.
Doch das Europäische Parlament muss einer solchen Veränderung zustimmen. Diese Abstimmung fand am 13. November 2025 statt. Das Ergebnis: Statt für Unternehmen ab 1.000 Beschäftigte soll die Richtlinie erst ab 5.000 Beschäftigte gelten. In Deutschland müssen sich damit nur noch etwa 100 große Konzerne an die menschenrechtlichen Vorschriften halten, erklärt die katholische Organisation Misereor. Zuvor waren es rund 2.700 Firmen und ihre Zulieferer.
Mit Unterstützung von Rechtsextremen
Außerdem wird die zivilrechtliche Haftung eingeschränkt. Geschädigte ausländische Arbeiter*innen können Schadensersatz nun nicht mehr nach europäischem Recht einklagen, sondern nur nach den Gesetzen ihres Heimatlandes. Diese vor deutschen Gerichten durchzusetzen, ist viel schwieriger.
Diese und weitere Abschwächungen der Richtlinie setzten EVP-Chef Manfred Weber (CSU) und sein Verhandlungsführer Jörgen Warborn zusammen mit hartrechten und rechtsextremen Fraktionen im EU-Parlament durch, nachdem Gespräche mit Sozialdemokraten und Grünen gescheitert waren.
Angriff auf das deutsche Gesetz
In Berlin zielt die Union auch auf das deutsche Lieferketten-Sorgfaltspflichten-Gesetz, das ähnliche Regeln wie die EU-Richtlinie beinhaltet. Im Koalitionsvertrag mit der SPD setzte sie dessen „Abschaffung“ durch. Das Bundesarbeitsministerium (BMAS) hat bereits einen Gesetzentwurf vorgelegt, um es zu entschärfen. Zu befürchten ist auch, dass die neue schwache Version der EU-Richtlinie bald in deutsches Recht übertragen wird – mit erheblichen Folgen für den Schutz der Menschenrechte.
Menschenrechte sind universell
Die sozialen Rechte, die die EU-Richtlinie und das deutsche Gesetz sichern sollten, stützen sich unter anderem auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948. Sie sind kein Luxus, sondern universelles Recht, das allen Menschen bedingungslos zusteht und deshalb von demokratischen Staaten auch durchgesetzt werden sollte.
Während der neuen Globalisierung ab den 1980er Jahren ließ die Bindungswirkung der Menschenrechte bei den Lieferanten europäischer Konzerne jedoch nach, weil diese Teile ihrer Produktion in ärmere Staaten mit schwachen Rechtssystemen verlagerten. Die Lieferketten-Regulierung sollte diese Lücke schließen.
Kein Kostenproblem
Gesetze können auch Firmen Bürokratie-Kosten verursachen, doch die Belastung bleibt überschaubar. Der Normenkontrollrat errechnete, wenn Firmen künftig nicht mehr die bisher vorgeschriebenen Berichte schreiben müssen, wie sie das Lieferkettengesetz umsetzen, jährlich 4,1 Millionen Euro sparen könnten. Bei ungefähr 5.000 betroffenen Betrieben wären das etwa 800 Euro pro Fall.
Das Beispiel belegt: Die Zusatzkosten dürften den wenigsten Firmen Probleme bereiten. Große Konzerne brauchen vielleicht ein, zwei Personalstellen, um ihre weltweiten Lieferanten im Blick zu behalten. Ihre wirtschaftliche Lage beeinträchtigt das nicht.