Brandmauer hier, Brandmauer da – das Bild ist nach wie vor beliebt, wenn es darum geht, dass sich Parteien von in Teilen als rechtsextrem eingestuften Parteien distanzieren und keine gemeinsame Sache mit ihnen machen wollen. Während Bundeskanzler Friedrich Merz die AfD noch als „Hauptgegner“ benannte, nimmt man es in Mecklenburg-Vorpommern längst nicht mehr so genau.
In Sassnitz beispielsweise wunderte man sich im April, woher Merz die Idee nehme, eine Brandmauer existiere noch, und forderte öffentlich, deren Ende auszusprechen. In Vorpommern stimmte die Kreistags-CDU kürzlich einem AfD-Antrag zu. Er handelte vom derzeit größten Straßenbauprojekt in Mecklenburg-Vorpommern, der Peenebrücke – einer geplanten Brücke über den Peenestrom, um Usedoms Anbindung zu verbessern –, dem das Geld auszugehen scheint. Der Witz: Die AfD forderte, der Landrat solle ein „deutliches politisches Signal“ setzen. Der habe allerdings keinerlei Einfluss auf die Baustelle, hieß es. Die CDU selbst sieht die Abstimmung dennoch als „wichtige[s] politische[s] Signal“.
Willkommen im Campact-Blog!
Schön, dass Du hier bist. Im Campact-Blog schreiben das Team und ausgezeichnete und versierte Gast-Autor*innen über Hintergründe und Einsichten zu progressiver Politik.
Rechtsextreme Themen prägen Debatten – seit Jahrzehnten
Ein Skandal? Bestimmt, wenn man tagesaktuelle Aufreger braucht. Tatsächlich aber lohnt sich ein Fingerzeig fast nicht mehr. Eine Studie der Autor*innen Teresa Völker und Daniel Saldivia Gonzatti vom Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) zeigt: Parteien der Mitte in westlichen Demokratien tragen seit Jahrzehnten dazu bei, dass sich rechtsextremes Gedankengut normalisiert. Und das nicht erst durch eingerissene Brandmauern oder bei Abstimmungen – sondern auf eine viel subtilere Art und Weise.
Für ihre Studie „Far-right agenda setting: How the far right influences the political mainstream“ haben Völker und Saldivia Gonzatti über 520.000 Zeitungsartikel aus sechs Print-Zeitungen untersucht, die zwischen 1994 und 2021 erschienen sind und kulturelle Debatten zu Themen wie Migration, Islam oder Integration behandeln. Sie wollten herausfinden, inwiefern die extreme Rechte die Kommunikation der demokratischen Parteien beeinflusst. Als äußerste Rechte wurden Parteien, soziale Bewegungen, zivilgesellschaftliche Organisationen und gewaltorientierte Gruppen gewertet, die sowohl rechtsradikal als auch rechtsextrem sind. CDU/CSU, SPD, Grüne, FDP und Linke wurden als demokratisch eingestuft.

Diskursives Mainstreaming: Wie rechte Themen salonfähig werden
Kurze Antwort: Funktioniert ziemlich gut. Die äußerste Rechte konnte die öffentliche Kommunikation etablierter Parteien im gesamten Beobachtungszeitraum deutlich beeinflussen und damit sogenanntes diskursives Mainstreaming betreiben. Das bedeutet, eigene Ideen sichtbar zu machen und sie damit immer mehr öffentlich zu legitimieren.
Rechtskonservative Parteien lassen sich stärker beeinflussen als links-progressive und Oppositionsparteien stärker als Regierungsparteien. Doch grundsätzlich machen alle mit. Das hat auch zur Folge, dass sich die Themen-Agenden extremer rechter Akteur*innen und etablierter Parteien über die Zeit annähern. So lässt sich sogar voraussagen, welche Themenschwerpunkte etablierte Parteien künftig übernehmen werden.
Die Normalisierung und Verbreitung rechtsextremer Themen beginnt also nicht erst mit dem Bröckeln der vermeintlichen Brandmauer. Sie beginnt viel früher – mit Kommunikation. Etablierte Parteien greifen Themen der Rechtsextremen auf, die vorher vielleicht gar nicht präsent waren oder eher Randthemen waren, und bringen diese auf die Agenda. So verschiebt sich der öffentliche Diskurs – und es besteht die Gefahr, dass Themen oder vielmehr Positionen als „normal“ gelten, weil sie häufig und überall präsent sind. Schwups, gelangen rechtsextreme Themen in Medien und Wahlkämpfe.
Über 100 Fälle von Kooperation allein in MV
Das Bild der Brandmauer als Symbol für politischen Abstand sollte also nicht darüber hinwegtäuschen, dass die extreme Rechte viele Methoden kennt, um subtil und langfristig Einfluss zu nehmen – mithilfe aller anderen. Und selbst dort, wo es „Brandmauer“ tönt, lohnt es sich, genauer hinzusehen. Eine Studie aus dem März 2025 belegt, wie häufig Parteien auf Kreisebene und in kreisfreien Städten mit der AfD kooperieren. Für Mecklenburg-Vorpommern lassen sich den Forschenden zufolge mehr als 100 Fälle zwischen 2019 und 2024 finden, in denen Parteien einem AfD-Antrag zustimmten. Oft werden solche Entscheidungen mit pragmatischen Argumenten begründet – beispielsweise, dass die unmittelbaren Interessen der Menschen vor Ort wichtiger seien als ideologische, verabredete Grenzen. Solange das eben noch geht.