Bildung WeAct Feminismus Menschenrechte Demokratie Digitalisierung CDU Energie Lobbyismus AfD

Stell Dir vor, für einen Tag passiert Folgendes: Kitas bleiben geschlossen. Ärzt*innen und Pflegekräfte fehlen in Krankenhäusern. Supermarktkassen bleiben unbesetzt. Lehrerinnen erscheinen nicht zum Unterricht. Gemeinsam legen sie sich alle auf den Boden, und streiken. Was nach Chaos klingt (oder nach dem Roman „Und alle so still“ von Mareike Fallwickl), ist das Ziel von Frauenstreiks: Sie machen sichtbar, was sonst so selbstverständlich erscheint – die Arbeit von Frauen, bezahlt und unbezahlt.

Für den 9. März 2026, einen Tag nach dem Weltfrauentag, ruft die Initiative ENOUGH! GENUG! zu einem globalen Frauen*generalstreik auf.

Was ist ein Frauenstreik?

Der erste dokumentierte Frauenstreik fand 1893 in Österreich statt: Rund 700 Textilarbeiterinnen forderten kürzere Arbeitszeiten, einen Mindestlohn und einen freien Tag am 1. Mai. „Der Streik der 700“ ging in die Geschichte ein. Nach zwei Wochen gaben die Arbeitgeber nach – eine Sensation und Vorbild für viele weitere Streiks. 

USA 2017: Der Women’s March und „A Day Without a Woman“

Den ersten größeren Frauenstreiktag gab es am 26. August 1970 in den USA; dort gingen rund 50.000 Frauen für ein Recht auf Abtreibung, Chancengleichheit in der Arbeit und kostenlose Kinderbetreuung auf die Straße.

In seiner ersten Amtszeit schränkte US-Präsident Donald Trump das Recht auf Abtreibung im „Land der Freiheit“ massiv ein. Nach seinem Wahlsieg protestierten weltweit über eine Million Menschen gegen Trump und für Frauenrechte. Der Women’s March am 21. Januar 2017 zählt zu den größten Demonstrationen in der US-Geschichte.

Am 8. März 2017 folgte „A Day Without a Woman“, ein Streik gegen Trumps frauenfeindliche Politik. Frauen in Südkorea, Australien, Deutschland und anderen Ländern legten ihre Arbeit nieder und protestierten lautstark.

Petition: Care ins Grundgesetz

Kranke Kinder versorgen, Angehörige pflegen, den Alltag stemmen – Care-Arbeit hält unseren Alltag am Laufen. Rund um die Uhr, ohne Lohn und ohne Anerkennung. Auf der Petitionsplattform WeAct fordert die Liga für unbezahlte Arbeit e.V.: Care muss ins Grundgesetz.

Island 1975: Der Tag, an dem das Land stillstand

Der wohl bekannteste Frauenstreik fand am 24. Oktober 1975 in Island statt. An diesem Tag legten 90 Prozent der isländischen Frauen beim „Kvennafrídagurinn“ ihre Arbeit nieder – im Job und zu Hause. Büros, Schulen, Geschäfte und Haushalte standen still. Väter mussten ihre Kinder mit zur Arbeit nehmen, weil Kitas geschlossen blieben.

Der Effekt war gewaltig: Ein Jahr später verabschiedete das Parlament ein Gesetz zur Gleichberechtigung. 1980 wählten die Isländer*innen mit Vigdís Finnbogadóttir die erste demokratisch gewählte Präsidentin der Welt. Sie regierte das Land 16 Jahre lang. 

Heute gilt Island als eines der Länder mit der größten Gleichstellung. Seit Jahren führt der Inselstaat im äußersten Nordwesten Europas die weltweite Rangliste der Länder mit der geringsten Ungleichheit der Geschlechter nach dem Global Gender Gap an. Deutschland lag 2025 nur auf dem neunten Platz. 

Schweiz: Eine halbe Million Frauen auf den Straßen

Am 14. Juni 1991 streikten in der Schweiz eine halbe Million Frauen. Zehn Jahre nach Verankerung der Gleichstellung in der Verfassung gab es kaum Fortschritte. Unter dem Motto „Wenn Frau will, steht alles still“ forderten sie gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit, bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf und ein Ende der Diskriminierung. Der Streik führte zu Verbesserungen beim Mutterschutz und der Anerkennung von Care-Arbeit in der Rentenversicherung. Es war seit dem Landesstreik von 1918 der größte Streik, den es in der Schweiz jemals gab. 

2019 folgte der zweite große Schweizer Frauenstreik. Wieder gingen Hunderttausende auf die Straße. Auch in diesem Jahr demonstrierten Zehntausende in der Schweiz. Ihre Forderungen sind leider nach wie vor aktuell. 

Polen 2016: Der „Schwarze Montag“ gegen das Abtreibungsverbot

Am 3. Oktober 2016 protestierten Zehntausende Frauen in ganz Polen in schwarzer Kleidung gegen ein geplantes Abtreibungsverbot. Unter dem Schlagwort #CzarnyProtest („Schwarzer Protest“) legten sie ihre Arbeit nieder und gingen auf die Straße. Der Druck wirkte: Die Regierung zog den Gesetzentwurf zurück. Doch 2020 verschärfte Polen das Abtreibungsrecht erneut, was zu neuen Massenprotesten führte.

Argentinien und Lateinamerika: Streik gegen Femizide

In Argentinien rief die feministische Bewegung „Ni Una Menos“ (Nicht eine weniger) am 3. Juni 2015 zum ersten Frauenstreik auf. Über 250.000 Menschen protestierten in Buenos Aires gegen die hohe Zahl an Femiziden; in mehr als 100 Städten wurden die Proteste aufgegriffen. 

Auch in den Folgejahren demonstrierten am 3. Juni Tausende Menschen in Argentinien. Der Streik inspirierte andere Länder. 2018 gingen in Spanien über fünf Millionen Frauen auf die Straße. Der dortige Frauenstreik unter dem Motto „Wenn die Frauen streiken, dann steht die Welt still“ wurde zu einem der größten in der europäischen Geschichte.

Frauenstreiks in Deutschland 

Auch in Deutschland haben Frauenstreiks Tradition. Der Weltfrauentag am 8. März ist seit über 100 Jahren ein zentraler Protesttag. Laut der Rosa Luxemburg Stiftung nehmen Frauen*streiks seit einigen Jahren wieder zu. Die Studienautorin Ingrid Artus betont: „Weibliche* Beschäftigte vertreten ihre Interessen nicht nur häufiger, sondern zunehmend auch sehr kämpferisch – sowohl in den Arbeitskämpfen selbst als auch in der Öffentlichkeit.“ Beispiele sind Streiks im Reinigungs-, Erziehungs- und Pflegebereich: 2009 sorgte der Streik der Putzfrauen* für Aufsehen, die Tarifrunde war erfolgreich. 

Globaler Frauen*generalstreik 2026 

Beim Frauen*generalstreik am 9. März 2026 geht es jedoch nicht nur um Arbeitsforderungen. Das Bündnis „Enough!“ ruft weltweit Frauen dazu auf, ihre bezahlte und unbezahlte Arbeit niederzulegen: Kochen, Putzen, Kinderbetreuung, die Pflege von Angehörigen. 

In ihrer Ankündigung heißt es: „Wir sagen GENUG! zu einem System, das (wieder) vermehrt auf Ausbeutung, Unterdrückung und Zerstörung setzt und unter dem weltweit in erster Linie Frauen* und Kinder leiden. Wir machen diesen Wahnsinn nicht länger mit! Für einen Tag stehen wir diesem System nicht zur Verfügung, denn wir können nicht länger hinnehmen, dass Geld- und Machtgier Menschenleben und unseren Planeten vernichten. Es reicht! Wir sind die Hälfte der Menschheit und wenn wir den patriarchalen Strukturen die Arbeitskraft entziehen, dann steht die Welt still.“

Auch das „Töchter.Kollektiv“ ruft auf Instagram zu dem Streik auf: „Am 09. März stehen wir still, weil zu viele von uns seit Generationen funktionieren mussten. Weil Sorge, Stärke und Belastung zu oft als selbstverständlich gelten. Weil es immer noch Körper gibt, die weniger wert sind. Stimmen, die weniger gehört werden.“

Was ist geplant?

Ob gemeinsames Picknick, Kunstaktion oder große Kundgebung, ob fünf Minuten schreiend auf dem Balkon, Protest vor dem Rathaus oder ganztägig auf einem öffentlichen Platz liegend – das Bündnis lädt alle Menschen dazu ein, die Protestform zu wählen, die zu ihnen passt. Mehr Infos findest Du auf der Website der Initiative Enough!

Warum braucht es diesen Streik gerade jetzt?

Für Frauen hat sich die Situation in Deutschland zwar rückblickend verbessert, aber viele Probleme bleiben – und hart erkämpfte Rechte werden derzeit wieder bedroht.  

  • Gender Pay Gap: Frauen verdienen im Durchschnitt 18 Prozent weniger als Männer. Bereinigt um Faktoren wie Berufswahl und Arbeitszeit bleiben sechs Prozent unerklärte Lohnlücke. Im internationalen Vergleich hat Deutschland – auch mit Blick auf Länder mit ähnlich hoher Frauenerwerbstätigkeit – einen der höchsten Gender Pay Gaps in Europa.
  • Care-Arbeit: Frauen leisten jährlich 117 Milliarden Stunden unbezahlte Care-Arbeit und damit fast doppelt so viel wie alle bezahlte Arbeit. Dies wird kaum anerkannt und finanziell nicht honoriert. Care-Arbeit ist Fundament unserer Gesellschaft und wird rechtlich kaum geschützt. Um das zu ändern, haben Jo Lücke und Franzi Helms auf WeAct eine Petition gestartet: Werde jetzt Teil der Bewegung und bringe Care-Arbeit ins Grundgesetz!
  • Gewalt gegen Frauen: Die Gewalt gegen Frauen nimmt zu. Allein 2024 gab es in Deutschland fast 266.000 Opfer häuslicher Gewalt. Das waren etwa 10.000 mehr als im Jahr zuvor. Der Gesetzgeber muss endlich reagieren: mit einer Strafrechtsreform und einer Forschungsstelle, die Gewalt gegen Frauen untersucht und verhindert. Das fordert Charlotte Schmitz in ihrer Petition „Femizide in Deutschland stoppen“.
  • Politische Rückschritte: Mit dem Erstarken extrem rechter Parteien wie der AfD stehen erkämpfte Frauenrechte wieder zur Debatte. Die AfD will Abtreibungen weiter einschränken, propagiert ein traditionelles Frauenbild und lehnt Gleichstellungspolitik ab. Das ist auch der Grund, warum das Recht auf Abtreibung dringend in die Verfassung muss. 

Kann ein Streik wirklich etwas ändern?

Die Geschichte zeigt: Ja. Frauenstreiks haben Gesetze geändert, Löhne erhöht und das Bewusstsein geschärft. Doch ein Streik allein reicht oft nicht aus. Es braucht politischen Druck, engagierte Aktivist*innen und eine Gesellschaft, die bereit ist, sich zu verändern.


Dein Engagement macht den Unterschied. Schließe Dich 4,25 Millionen Menschen an.

Newsletter bestellen
TEILEN

Autor*innen

Vera Kuchler arbeitet seit 2017 als Redakteurin bei Campact. Die ausgebildete Soziologin und gelernte Journalistin beschäftigt sich im Blog vor allem mit dem Thema „Arbeit und Geschlecht“. Alle Beiträge

Auch interessant

Feminismus WeAct-Team Erfolg: Keine Kürzungen beim Berliner Gewaltschutz Mehr erfahren
Feminismus Sibel Schick Wenn Wohnen zur Frage von Gewalt wird Mehr erfahren
Feminismus Campact-Team Montagslächeln: Gewalt gegen Frauen Mehr erfahren
Menschenrechte Lena Rohrbach Killer-Roboter und KI im Krieg: Warum wir jetzt Waffenkontrolle brauchen Mehr erfahren
Feminismus Vera Kuchler Warum das Recht auf Abtreibung in die Verfassung muss Mehr erfahren
Alltagsrassismus Sibel Schick Welche Töchter meint Merz? Mehr erfahren
Feminismus Inken Behrmann Wie Kürzungen im Sozialstaat die Gleichberechtigung untergraben Mehr erfahren
AfD Vera Kuchler Warum engagieren sich Frauen in der AfD?  Mehr erfahren
Datenschutz Lena Rohrbach Neue „Sicherheitsgesetze“: Mit Sicherheit gefährlich Mehr erfahren
Feminismus Sibel Schick Erika Kirk, die Turbo-Tradwife Mehr erfahren