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„Bsirskes klimapolitische Position ist fatal“ – Hintergründe zur E-Mail-Aktion an den Ver.di-Vorsitzenden

Viele Campact-Aktivisten sind unserem Aufruf im letzten Newsletter gefolgt, sich mit E-Mails an den Ver.di- Vorsitzenden Frank Bsirske zu wenden und haben inzwischen eine Antwort von Ver.di erhalten, zu der ich im folgenden Text Stellung nehmen möchte. Ich habe mich schweren Herzens für den Aufruf ausgesprochen. Schweren Herzens, weil ich selber überzeugtes Gewerkschaftsmitglied bin und […]

Viele Campact-Aktivisten sind unserem Aufruf im letzten Newsletter gefolgt, sich mit E-Mails an den Ver.di- Vorsitzenden Frank Bsirske zu wenden und haben inzwischen eine Antwort von Ver.di erhalten, zu der ich im folgenden Text Stellung nehmen möchte.

Ich habe mich schweren Herzens für den Aufruf ausgesprochen. Schweren Herzens, weil ich selber überzeugtes Gewerkschaftsmitglied bin und starke Gewerkschaften für die Durchsetzung einer progressiven, sozialen und zukunftsfähigen Politik für unersetzbar halte.

Aber es sind nicht einige unglückliche Passagen einer missglückten Rede, die uns allein zu diesem Schritt veranlasst haben. Der Rede und der Demonstration ist am 11.12.2006 ein auch von Frank Bsirske unterzeichnetes Schreiben an Bundeskanzlerin Angela Merkel vorausgegangen, das nicht anders gewertet werden kann als eine gezielte Obstruktion sinnvoller Klimapolitik.
(Schreiben an Merkel als pdf).

Erst der Hintergrund dieses Schreibens leuchtet aus, welche Bestandteile der Rede politisch fundamental und welche einer Klimaschutzlyrik zuzuordnen sind, die heute auch in keiner Rede der größten Klimagegner fehlen. Die Bereitstellung und Diskussion dieses Hintergrundes haben wir im Eifer des Gefechts übersehen und ich möchte dies mit diesem Logbuch-Eintrag nachholen. Ich bitte um Verständnis, dass dies nicht in wenigen, knackigen Sätzen zu leisten ist, sondern etwas mehr Platz bedarf. Ich sehe drei zentrale Streitpunkte:

Frank Bsirske setzt sich im Streit um den Deutschen Allokationsplan für die großzügige Ausgabe von Zertifikaten ein

Im Schreiben vom 11.12.2006 wie auch in seiner Berliner Rede wendet sich der Ver.di-Vorsitzende gegen die Forderung der EU-Kommission, die Menge der an die Industrie ausgegebenen Emissionszertifikate auf 453 Mio. Tonnen zu begrenzen. Dies bedeutet eine Emissionsminderung von 7,5 % während des Zeitraumes 2008 – 2012 gegenüber dem Basiszeitraum 2000-2005. Also nicht einmal acht Prozent Minderung innerhalb von knapp 10 Jahren. Das ist nicht ambitioniert, sondern ein kaum ausreichender Schritt im Kampf gegen den Klimawandel. Und es ist ein Schritt im Rahmen einer europäisch konzertierten Strategie. Eine Sonderrolle Deutschlands kann und darf es hier nicht geben.

Darüber hinaus kritisiert Frank Bsirske, dass die EU-Kommission die von Deutschland geplante, großzügige Ausstattung von Neu- und Ersatzanlagen mit CO2-Zertifikaten auf einen Zeitraum von 14 Jahren nicht dulden will. In keinem anderen EU-Mitgliedsstaat werden solch großzügigen Ausnahmen gewährt. Vielmehr muss bedacht werden, dass insbesondere die großen Energieversorger gegenwärtig jährlich ca. 5 Mrd. Euro an Mitnahmegewinnen durch die Einpreisung der kostenlos zugeteilten Emissionszertifikate einfahren. Hierzu ist derzeit ein Verfahren vor dem Bundeskartellamt anhängig.
Der Blick darf nicht auf die Handelsperiode 2008-2012 verengt werden, sondern die Ausgestaltung des Emissionshandels muss auch die zukünftig notwendigen drastischen Reduktionsschritte mitberücksichtigen.
Die Festschreibung der Ausstattung auf 14 Jahren dient langfristigen Privilegierung einer zentralen Energieversorgung über kohlebetriebene Großkraftwerke.

Frank Bsirske setzt auf Großkraftwerke und fordert den Einsatz klimaschädlicher Energieträger wie Braunkohle. Notwendig ist aber eine dezentrale Energieversorgung über kleine Kraftwerke mit Kraft-Wärme-Kopplung.

Letztlich geht es in dem Streit um anstehende Neuinvestitionen. Frank Bsirske setzt dabei – und das sagt er ausdrücklich in der Rede wie im oben genannten Brief – auf Investitionen in Großkraftwerke mit Braunkohlebefeuerung. Das gleicht einem klimapolitischen Amoklauf.
Denn klimapolitisch notwendig ist, das hat Hermann Scheer in seinem letzten Buch „Energieautonomie“ ausführlich begründet, eine Strategie dezentraler Energieversorgung aus einem Mix von Erneuerbaren Energien, Kraft-Wärme-Kopplung und – soweit als Zwischenlösung unvermeidbar – Gaskraftwerken. Eine zentrale Bedeutung kommt dabei kleinen, hocheffizienten, dezentralen Kraftwerken zu, die Wärme wie auch elektrische Energie liefern.
In eine solche Strategie passen Investitionen in Baunkohle-Großkraftwerke nicht hinein. Diese binden die Investitionen, die in die Kraft-Wärme-Kopplung gehen müssten und legen die Energieversorgung auf Jahrzehnte fest.

Bis 2020 müssen Kraftwerkskapazitäten von ca. 40.000 Megawatt in Deutschland ersetzt werden. Die klimapolitische Gretchenfrage ist, ob dies durch neue, teure, klimaschädliche Großkraftwerke geschieht oder im Rahmen einer dezentralen Energieversorgung. Die Energieexperten Stefan Peter und Harry Lehmann vom Institute for Sustainable Solutions and Innovations (ISUS) in Aachen haben in einer Studie nachgewiesen, dass dieser Bedarf durch den Ausbau Erneuerbarer Energien und der Kraft-Wärme-Kopplung gedeckt werden kann.
(Studie als pdf)

Dieser eklatante Widerspruch der Entwicklungspfade wird in der Bsirske-Rede nicht deutlich, sondern mit einer unausgereiften Klimaschutzlyrik verwischt. Je stärker der Ausbau der Erneuerbaren Energien und der Kraft-Wärme-Kopplung erfolgt, desto weniger rentieren sich frühere Investitionen in Großkraftwerke. Die Investoren dieser Kraftwerke werden also alles daran setzen, den Vollzug Energiewende zu stoppen oder zu verzögern.
Das Argument, neue Großkraftwerke seien effizienter als alte Großkraftwerke ist logisch, hilft aber nicht weiter. Denn es ist nicht der Status-Quo, an dem sich eine Klimaschutzstrategie messen lassen muss. Der Referenzpunkt muss die CO2-Bilanz der Kraft-Wärme-Kopplung oder der Erneuerbaren Energien sein.

Mit seinem Eintreten für eine zentrale Energieversorgung stellt sich Frank Bsirske bewusst oder unbewusst in den Dienst der vier großen Energiekonzerne. Besonders paradox: Wenn es diesen vier Konzernen nützt, zitiert Bsirske gerne den Schaden, der den kommunalen Stadtwerken entstehen könnte (siehe unten). Von einer Wende zu einer dezentralen Energieversorgung würden zuallererst die kommunalen Stadtwerke profitieren. Doch diesen Umstand übersieht der Ver.di-Vorsitzende.

Frank Bsirske wendet sich gegen die Entflechtung der Stromnetzbetreiber

In Deutschland befinden sich die großen Übertragungsnetze im Konzerneigentum der vier Großstromerzeuger E.On, RWE, EnBW und Vattenfall Europe. Dieses Erzeugeroligopol kontrolliert rund 90 Prozent der Kraftwerke und über 70 Prozent des Absatzes an die Endverbraucher. Allein die beiden Riesen E.On und RWE vereinigen Zweidrittel der Erzeugungskapazitäten auf sich und sind zusammen an mehr als 250 Stadtwerken beteiligt. Sie bilden so nach Auffassung des Bundeskartellamtes ein marktbeherrschendes Duopol
(mehr Infos)

Es sind nicht nur – aber auch die von den 4 Betreibern – eingefahrenen Monopolrenditen, die für eine Entflechtung der Stromnetzbetreiber von den Stromherstellern sprechen. Die vier Energiekonzerne haben bisher alles getan, um den Ausbau der Erneuerbaren Energien und Schritte zu einer dezentralen Energieversorgung zu verhindern (Hermann Scheer 2005: Energieautonomie. Eine neue Politik für erneuerbare Energien).
Bsirske bringt in seiner Rede zwei Argumente, die gegen eine Entflechtung sprechen:

  • Eine Entflechtung würde zu Lasten der kommunalen Stadtwerke gehen
  • Nach einer Entflechtung würde das deutsche Strom- und Gasnetz im Wert von 217 Millionen Euro zwangsläufig an rein renditeorientierte private Kapitalfonds gehen.

Man muss schon genau hin schauen, für wen Bsirske hier in die Bresche springt. Von seiner Positionierung profitieren am meisten die vier großen, privaten Netzbetreiber, die Hauptgegner einer Energiewende hin zu einer klimaschonenenden, dezentralen Energieversorgung.
Natürlich müssen Wege gefunden werden, den wenigen, verbliebenen Stadtwerken in kommunaler oder genossenschaftlicher Hand das Überleben zu sichern. Man darf sie aber nicht als Faustpfand missbrauchen.

Es ist so, dass sich das Stromnetz als natürliches Monopol zum allergrößten Teil bereits in privater Hand befindet – mit allen negativen Konsequenzen. Frank Bsirske sollte sich deshalb lieber für eine Verstaatlichung des Netzes stark machen, wie es auch der Bund der Energieverbraucher (Mehr Infos) fordert.
Andere Europäische Länder wie die Niederlande gehen bewusst Schritte in Richtung Verstaatlichung, weil eine Privatisierung natürlicher Monopole nicht zu einem funktionierenden Markt führt und damit zwangsläufig gemeinwohlschädlich wirkt. Rechtlich gesehen kann dieser Schritt als eine Enteignung im Sinne des Art. 14 III Grundgesetz erfolgen (Mehr Infos).

Auch das Finanzierungsargument Bsirskes führt in die Irre: Natürlich ließe sich die Finanzierung der Netzübernahme ohne weiteres durch die gesicherte Monopolrente realisieren.
Frank Bsirske positioniert sich in seinem Schreiben an Bundeskanzlerin Merkel und in den politisch zentralen Sätzen seiner Rede ganz klar als Vertreter einer zentralistischen Energieversorgung. Er setzt sich für mehr Emissionsrechte für Großkraftwerke ein, er fordert den Einsatz der Braunkohle und Investitionen in Großkraftwerke, er wendet sich gegen die Entflechtung der Stromkonzerne. Diese Positionierung ist klimapolitisch fatal.
Natürlich finden sich aus einem engen institutionen-egoistischen Blick betrachtet Gründe für diese Position. Bsirske lässt sich auf einen kurzfristig rationalen, langfristig aber fatalen gewerkschaftsinternen Konkurrenzkampf mit der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie ein. Mit einer rückwärtsgewandten Klimapolitik konkurriert Ver.di mit der IG BCE um die Beschäftigten der großen Stromkonzerne, die natürlich von einer Energiewende negativ betroffen sind.

In der langfristigen Perspektive sollte sich, meine ich, Ver.di aber viel mehr auf die durch die Energiewende neu entstehenden, zukunftsfähigen Arbeitsplätze konzentrieren. Hier wird es zu erheblichen Arbeitsplatz-Zugewinnen in kleineren Unternehmen kommen.
Natürlich nimmt – nach klassischer Lehre – die gewerkschaftliche Organisationsfähigkeit mit der Größe von Unternehmen ab. Doch als Dienstleistungs-Gewerkschaft muss Ver.di so oder so neue Formen der Organisierung suchen, anstatt sich in innergewerkschaftlichen Konkurrenzkämpfen aufzureiben.
Insgesamt ist der von Frank Bsirske eingeschlagene Weg fatal. Fatal, weil wir vorausschauende Gewerkschaften bei dem klimaverträglichen Umbau unseres Gesellschafts- und Wirtschaftsmodells dringend brauchen. Gerade von Frank Bsirske wurde angenommen, dass er über den eigenen Tellerrand hinauszudenken vermag. Mit seiner derzeitigen Performance beweist er das tragische Gegenteil.

Günter Metzges (Campact-Geschäftsführer)

Quellen / Hintergründe:

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Autor*innen

Dr. Günter Metzges, Jahrgang 1971, ist Politikwissenschaftler und Erwachsenenpäda­goge. Mitgründer von Campact und lange Zeit Mitglied im geschäftsführenden Vorstand. Vorher: Gründung des Ökologischen Zentrums in Verden/Aller und Mitwirkung in verschiedenen politischen Kampagnen. 2000-2003 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Internationale und Interkulturelle Studien (InIIS) an der Universität Bremen. Dissertation: „NGO-Kampagnen und ihr Einfluss auf internationale Verhandlungen“ (Nomos Verlag, 2006). Alle Beiträge

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