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Tiefensees Lebenswerk – ab Freitag im Bundestag

Mir wäre es ganz ehrlich lieber, das ganze Gesetzesverfahren würde jetzt enden. Es ist Murks. Man sollte aufhören und sollte in der nächsten Periode dann versuchen, es vernünftig zu machen. Es zwingt eigentlich niemand ernsthaft die Bahn jetzt an die Börse, außer natürlich der Wunsch von Herrn Mehdorn. (FDP-Verkehrspolitiker Horst Friedrich) Der Mann hat Recht. […]

Mir wäre es ganz ehrlich lieber, das ganze Gesetzesverfahren würde jetzt enden. Es ist Murks. Man sollte aufhören und sollte in der nächsten Periode dann versuchen, es vernünftig zu machen. Es zwingt eigentlich niemand ernsthaft die Bahn jetzt an die Börse, außer natürlich der Wunsch von Herrn Mehdorn. (FDP-Verkehrspolitiker Horst Friedrich)

Der Mann hat Recht. Horst Friedrich, verkehrspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, hat es in einem Radio-Interview auf den Punkt gebracht. Ein von Grund auf verkorkster Gesetzentwurf lässt sich durch Nachbesserungen nicht retten. Die Länder sind dagegen, das Gros der Verfassungsrechtler, die zum Entwurf der Bundesregierung Stellung nahmen, die kommunalen Spitzenverbände ebenso. Und nun auch Teile der Koalitionsfraktionen. Das Lebenswerk von Verkehrsminister Tiefensee und Bahnchef Hartmut Mehdorn gerät ins Wanken. Endlich.

45 Bundestagsabgeordnete der SPD sind in dieser Woche aus dem stahlharten Gehäuse der Fraktionsdisziplin ausgebrochen und haben deutlich gemacht, dass sie nichts, aber auch gar nichts vom Tiefensee-Modell halten. Dieses würde nämlich den von Arbeitsminister Franz Müntefering als „Heuschrecken“ titulierten Finanzinvestoren das Feld ebnen. Statt dessen plädieren sie für das so genannte Volksaktienmodell, das den Einfluss der Heuschrecken ausschlösse. Auch die Unionsfraktion hat auf ihrer Sitzung in dieser Woche riesen Mängel am Tiefensee-Entwurf ausgemacht und ihrerseits Forderungen aufgestellt:

  • Der Bund soll weiterhin das Sagen bei Investitionen in das Schienennetz haben, sofern diese im Bedarfsplan vorgesehen sind. Ein von unabhängiger Seite ersteller Netzzustandsbericht soll Auskunft über die Qualität des Schienennetzes geben.
  • Ohne unterschriftsreife Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV), welche Standards für die Infrastruktur sowie die Höhe der Bundesmittel an den Infrastrukturunternehmen der DB AG festschreibt, keine Verabschiedung des Gesetzes durch den Bundestag. Bevor die ersten Anteile an die Börse gebracht werden, soll die LuFV ein Jahr getestet werden – was eine Verzögerung des Börsenganges bedeutete.
  • Die Bahn soll das Netz nicht 15 bis 18 Jahre bewirtschaften und bilanzieren dürfen, sondern für einen kürzeren Zeitraum.
  • Regulierung der Nutzungsentgelte für das Schienennetz durch die Bundesnetzagentur – orientiert an der Regulierung des Strom- und Telekommunikationssektors.

Liebe Unionsfraktion! Das ist ja alles gut und schön. An den Grundfehlern des Tiefensee-Modells ändert es jedoch nichts (mehr zu den grundsätzlichen Widersprüchen im 5-Min-Info). Die verfassungsrechtlichen Bedenken dürften auch dann fortbestehen, wenn die Forderungen der Union berücksichtigt würden. Im Ländergutachten ist von der „Quadratur des Kreises“ die Rede. Kurz gesagt: Bilanzrecht und Verfassungsrecht vertragen sich in diesem Falle nicht. Legt man den Regierungsentwurf zugrunde, käme der Bund zwar seiner Allgemeinwohl-Verantwortung nicht nach, weil seine Einwirkungsmöglichkeiten auf die DB Netz AG – das Tochterunternehmen der Deutschen Bahn AG – zu gering wären. Dennoch wäre sein Einfluss zu groß, um das Netz bilanzrechtlich einwandfrei der Bahn zur Bewirtschaftung zu überlassen. Auch das ist nahezu Konsens unter den Experten.

Laut Medienberichten wollen die Fraktionsführungen den Abgeordneten nun mehr Zeit zur Beratung zugestehen. Möglicherweise wird erst im Frühjahr nächsten Jahres entschieden, berichtet heute der Tagesspiegel. Und dazwischen liegt… Genau! Der SPD-Parteitag. Der wird Ende Okotober – gelinde gesagt – kritisch über das Lebenswerk Tiefensees urteilen. Wenn sich die Delegierten dann für das Volksaktienmodell aussprächen, gäbe dies der Union die Möglichkeit, die exit-option zu wählen und – zumindest für diese Legislaturperiode – die Notbremse zu ziehen, die Privatisierung der Bahn zu beerdigen.

Leisten auch Sie bei Ihren Abgeordneten Überzeugungsarbeit: Schicken Sie ihnen das das Bahnopoly.

Argumentationshilfe gibt auch die Studie „Mit Hochgeschwindigkeit aufs falsche Gleis – Bahnprivatisierung in Deutschland und international“ des Verkehrswissenschaftlers Winfried Wolf. „Es kommt zur Zerschlagung einheitlicher Bahnen, zur Halbierung der Belegschaften, zu einem Abbau in der Fläche und dennoch gleichzeitig zu größeren finanziellen Belastungen für die öffentliche Hand“, sagte Wolf bei der Vorstellung der lesenswerten Expertise, die Sie beim Bündnis „Bahn für Alle“ für einen kleinen Unkostenbeitrag bestellen können.

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