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Wahlkampf-Gewackel – Die Bundesregierung schwimmt beim Atomausstieg

Die Botschaft der Regierung wirkte zunächst entschlossen: Merkel und die Union-Länderchefs kündigten Dienstag an, alle vor 1980 gebauten Atomkraftwerke vorläufig für 3 Monate abzuschalten. Auch der Pannenreaktor in Krümmel, der seit über 3 Jahren fast ununterbrochen still steht, soll in dieser Zeit nicht wieder ans Netz. Seit Dienstag Abend sollte Isar 1 medienwirksam abgeschaltet werden […]

Die Botschaft der Regierung wirkte zunächst entschlossen: Merkel und die Union-Länderchefs kündigten Dienstag an, alle vor 1980 gebauten Atomkraftwerke vorläufig für 3 Monate abzuschalten. Auch der Pannenreaktor in Krümmel, der seit über 3 Jahren fast ununterbrochen still steht, soll in dieser Zeit nicht wieder ans Netz. Seit Dienstag Abend sollte Isar 1 medienwirksam abgeschaltet werden (BR – Rundschau vom 16.3.). Isar 1 läuft immer noch. Auf ihrer gestrigen Kabinettssitzung hat die bayrische Staatsregierung darauf verzichtet, sich für die dauerhafte Stillegung auszusprechen (SZ vom 17.3.).

Kanzlerin Merkel hatte dieses Mal offenbar – anders als früher – zuvor nicht mit den Konzernen gesprochen. Jetzt gehen die Konzerne auf Konfrontation zu Merkel und prüfen eine Klage gegen das Moratorium (Stern.de vom 17.3.). Auch aus Union und FDP kommt inzwischen heftiger Widerspruch gegen das Laufzeit-Moratorium. In ihrer Regierungserklärung heute morgen ruderte die Kanzlerin kräftig zurück: Sie wolle einen „Ausstieg mit Augenmaß“ und „der Strom in Deutschland müsse bezahlbar bleiben“. Das sind vertraute Töne. Die dreimonatige Schnellabschaltung stellt sich spätestens heute als billiges Wahlkampfmanöver heraus.

Denn das angekündigte Moratorium steht juristisch auf extrem wackeliger Grundlage und ist wohl ohne gesetzliche Regelung vom guten Willen der Atomkonzerne abhängig. Sollte die Regierung ernsthaft ein dauerhaftes Abschalten der Kraftwerke erwägen, wird dies niemals mit, sondern nur gegen die Konzerne möglich sein. Umweltminister Röttgen konkretisierte bereits: Das Moratorium sei politisch, nicht rechtlich gemeint.

Die Opposition hatte der Regierung bereits gestern vorgeschlagen, in der kommenden Woche im Bundestag gemeinsam ein Abschaltgesetz zu beschließen, um die Schrottreaktoren vom Netz zu nehmen. Doch diesem Vorschlag erteilte die Kanzlerin in ihrer Regierungserklärung heute morgen eine Absage.

Seit der atomaren Katastrophe in Japan schwimmt die Regierung und versucht hektisch, sich vor dem Hintergrund der Landtagswahlen, den Klientelinteressen der Konzerne, den schockierenden Bildern aus Japan und dem dem steigenden Druck der Anti-Atomkraft-Bewegung zu orientieren. In Umfragen halten 70 Prozent einen Unfall wie in Fukushima auch hierzulande für möglich, über über 60% der Befragten sind für einen raschen Komplettausstieg aus der Atomkraft (ZDF-Politbarometer), über 70% sind für die Abschaltung der ältesten Meiler (Umfragenüberblick auf Spiegel Online vom 15.3.). Die zukünftige Linie der Regierung scheint nach wie vor unklar.

Was muss jetzt passieren?

Schrottreaktoren

Bis auf Regierung und Stromkonzernen sind sich alle einig, dass die vor 1980 gebauten Schrottreaktoren sofort und unumkehrbar abgeschaltet werden müssen. Eine Wahlkampfpause im Rahmen eines Moratoriums ist unsinnig. 


Restlaufzeiten der anderen Kraftwerke


Hier reichen die Forderungen von Sofortausstieg, über eine erhebliche Verkürzung der Laufzeiten bis zur Rückkehr zum rot-grünen Atomkompromiss. Eine Sofortabschaltung aller deutschen AKWs hätte vermutlich Stromimporte aus anderen Ländern mit AKW-Strom zur Folge oder Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit. Der Chef des Umweltbundesamtes Jochen Flasbarth hat vorgeschlagen, 9 Reaktoren sofort abzuschalten (Reuters vom 17.3.). Mit Bau neuer, effizienter Gaskraftwerke sei ein völliger Atom-Ausstieg bereits 2017, also innerhalb von sechs Jahren machbar. Der Umweltverband BUND fordert ein „Energiewende-Sofortprogramm“. Danach ist ein ein vollständiger Atomausstieg sogar bis 2015 möglich (www.bund.net).

Wir meinen, der Ausstieg muss so schnell wie irgendwie möglich erfolgen. Die wegfallenden Strommengen müssen durch den Ausbau Erneuerbarer Energien und den Bau effizienter Gaskraftwerke kompensiert werden. Die Reststrommengen, die den Stromkonzernen von rot-grün und noch einmal umfangreicher von schwarz-gelb zugestanden wurden, müssen verfallen.

Forschungsreaktoren

In Deutschland werden nicht nur AKWs zur Stromproduktion betrieben, sondern auch Forschungsreaktoren wie z.B. in Garching bei München. Auch diese Anlagen müssen sofort stillgelegt werden.


Export von Atomtechnologie und Hermesbürgschaften


Deutsche Firmen exportieren Atomtechnologie in andere Länder. Die Bundesregierung sichert solche Exporte oft mit Hermesbürgschaften ab. Der Export von Atomtechnologie muss gesetzlich verboten und alle anstehenden Anträge auf Hermesbürgschaften für Atomtechnologie zurückgewiesen werden. (Pressemitteilung Urgewald vom 17.3.)

Es geht also um mehr als die Abschaltung einzelner Kraftwerke. Die Erfahrung aus Tschernobyl zeigt uns: Es muss jetzt gelingen, der Atomwirtschaft ein für allemal den Garaus zu machen.

Das Wahlkampf-Gewackel der Bundesregierung zeigt wie absurd stabil der Einfluss der Stromkonzerne trotz aller Katastrophenmeldungen aus Japan bleibt. Nur unsere Wut, der Protest der Bürgerinnen und Bürger wird sicherstellen können, dass jetzt wirklich abgeschaltet wird. Lasst uns in den nächsten Wochen gemeinsam dafür sorgen. Bis heute haben mehr als 200.000 Menschen unseren „ABSCHALTEN“ Appell unterzeichnet. Unterzeichnen Sie, informieren Sie Freunde und Bekannte, wechseln sie – falls noch nicht passiert – Ihren Stromanbieter und beteiligen Sie sich an Mahnwachen und Demonstrationen.

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Autor*innen

Dr. Günter Metzges, Jahrgang 1971, ist Politikwissenschaftler und Erwachsenenpäda­goge. Mitgründer von Campact und lange Zeit Mitglied im geschäftsführenden Vorstand. Vorher: Gründung des Ökologischen Zentrums in Verden/Aller und Mitwirkung in verschiedenen politischen Kampagnen. 2000-2003 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Internationale und Interkulturelle Studien (InIIS) an der Universität Bremen. Dissertation: „NGO-Kampagnen und ihr Einfluss auf internationale Verhandlungen“ (Nomos Verlag, 2006). Alle Beiträge

24 Kommentare

Kommentare sind geschlossen
  1. Ich freue mich, dass man sich jetzt schließlich doch geeinigt hat, die AKW’s auszuschalten und sie dann mithilfe von erneubaren Energien zu ersetzen. Ich bin gespannt wie lange der Staat für die Energiewende braucht. Man muss damit aufhören, die Umwelt mit der Emission zu beschädigen und man muss auch mal an die Zukunft unserer Welt nachdenken. Die Atomkatastrophe in Japan hat Deutschland klar gemacht, dass man das Restrisiko von AKW’s nicht verharmlosen darf. Ich wünsche mir, dass die anderen Länder genauso schnell ihre AKW’s deaktivieren und wir so nicht mehr in Furcht vor einer Katastrophe leben müssen.

  2. Bei allen Beiträgen zu dem Thema Abschalten der Atomkraftwerke fiel mir auf:

    Kaum irgendwo ist die Rede von den sogenannten Kosten der Umstellung auf erneuerbare Energien.

    Inzwischen wird von den Befürwortern des Atomstroms argumentiert, dass die Umstellung durch hohe Kosten verzögert, wenn nicht gar verhindert werden könnte. Damit werden die Bürger verunsichert.

    Zwar ist mir die Vereinbarungslage zwischen Regierung und Kraftwerksbetreibern nicht hinreichend bekannt. Bekannt ist aber, dass die staatlichen Subventionen für die Atomkraftwerke und Kohlekraftwerke ein Vielfaches dessen ausmachen, was den Unternehmen für erneuerbare Energien zufließt. Es wäre zu eruieren wie eine Umschichtung durchsetzbar ist.

    Hier sollte angesetzt werden, um die „Kostenkampagne“ zu unterlaufen.

    Und bei aller Sympathie für Natur- und Umweltschutz: Ohne zügigen Ausbau der Netze bleiben wir den bisherigen Versorgern ausgeliefert. Deshalb sollte man über die Kirchturmspitze hinaussehen. Schließlich geht es bei der Energieversorgungswende nicht allein um den kommunalen Bereich, sondern um alle uns Bürger der BRD.

  3. Radioaktivität sieht man nicht, man riecht sie auch nicht, aber unsere Enkelkinder werden davon „profitieren“.

  4. Mappus der Hardliner entpuppt sich als ordinärer Wendehals. Der erste Baden-Württemberger Wendehals galoppiert im Rekordtempo rückwärts, frei unter dem Motto: „was interessiert mich mein Geschwätz von gestern!
    CDU/CSU und FDP, die Regierungskoalition spaltet sich absichtlich. Angesichts der bevorstehenden Stimmenverluste wird die FDP mit Guido Westerwelle auf den Plan gerufen.
    Der eiserne Atom-Lobbyist Westerwelle kam als erster mit dem Ausstieg vom Wiedereinstieg in die Öffentlichkeit.
    Die CDU hat schlechte Wahlergebnisse, scheint es, schon akzeptiert.
    Jetzt soll die FDP mit Westerwelle als besserer Saubermann die Verluste wieder auffangen.
    Ob die Rechnung des neuen europäischen Gaddafi – Lieblings wohl aufgeht?

    Die deutsche Staatsführung hat wochenlang zu Lug und Trug eingeladen, jetzt wissen alle Bescheid was die Politik-Elite hierzulande, unter Staatsführung und Bürgernähe versteht.
    Überlegen ist Nebensache und Bürgernähe bloß ein Slogan und der hat bestimmt viel Geld gekostet. Den Preis der Lobbyisten zahlen die Politiker gerne, für bürgerfremdes Regieren. Im Namen Ihrer Autonomie verkaufen Sie den Staat an Ihre Spender und verkaufen uns für dumm!

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