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Industriekühe für Frau Aigner

Heute traf sich Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) mit ihren Länderkollegen im thüringischen Suhl. Über 50 Menschen waren unserem Aufruf gefolgt und demonstrierten vor dem Tagungsgebäude.

Heute traf sich Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) mit ihren Länderkollegen im thüringischen Suhl. Über 50 Menschen waren dem Aufruf von uns, dem Bündnis Meine Landwirtschaft, der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) und dem Bund deutscher Milchbauern (BDM) gefolgt und demonstrierten vor dem Tagungsgebäude.

Großes Thema der Agrarministerkonferenz war die EU-Agrarreform. Frau Aigner blockiert bislang die Pläne des EU-Kommissars Dacian Ciolos, die Zahlungen für die Landwirtschaft grüner und sozial gerechter zu gestalten. Am 12. Oktober hatte die Kommission ihre Gesetzesvorschläge zur Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik vorgelegt. Frau Aigner bestätigte ihre Blockade in den wichtigsten Punkten der Reform beim EU-Agrarministerrat vor wenigen Tagen in Luxemburg (Agrar Heute). Die Ministerin sprach sich dort sowohl gegen eine verpflichtende Bindung der künftigen Zahlungen an Bauern an ökologische und soziale Mindestanforderungen aus, als auch gegen die Deckelung der Zahlungen an die größten agrarindustriellen Betriebe.

Bei herbstlichem Sonnenschein demonstrierten wir an der Zufahrtsstraße zum Ringberghotel. Das Hotel liegt wirklich auf einem Berg außerhalb der Stadt und man hätte unter goldenen Blättern auf der saftigen Wiese gut und gerne ein Picknick auspacken können. Uns aber ging es heute um die Agrarpolitik: „Agrarindustrie nicht länger mästen“ war das Motto unserer Versammlung. Dazu hatten wir zwei fünf Meter lange Pappkühe mitgebracht – halb Kuh und halb Fabrik. Unsere Aigner-Darstellerin fütterte die Industriekühe mit Steuermilliarden und die gut vertretene Presse machte viele Bilder.

Die echte Frau Aigner ließ sich leider nicht blicken. Bis zum Schluss erhielten wir aus ihrem Büro auf unsere Einladung an sie zur Übergabe unserer Unterschriften keine Rückmeldung. Dafür war der der thüringische Minister Jürgen Reinholz (CDU) zu einem Gespräch mit uns bereit. Er lehnte die Ökologisierung der Landwirtschaft mit dem Argument ab, dass wir wegen des Hungers in der Welt mehr produzieren müssten. Dass zwei Drittel der Hungernden Kleinbauern oder Landlose sind, die von ihrem Boden vertrieben wurden, damit dort für den Export angebaut werden kann, schien ihm nicht bekannt zu sein. Dass wir mit europäischen Exportüberschüssen die Märkte in so genannten Entwicklungsländern zerstören und Kleinbauern die Existenz rauben, wohl auch nicht. Traurig für einen Agrarminister.

Was ist von der Agrarministerkonferenz zu erwarten? Heute und morgen ringen die Minister der Bundesländer um eine gemeinsame Linie zur EU-Agrarpolitik. Aigner bekommt Gegenwind von mehreren Seiten: ihre eigene CSU in Bayern ist wie wir für die Deckelung der Zahlungen an die größten Betriebe. Je größer der Betrieb, desto mehr Geld aus Brüssel, ist bisher die Vergabepraxis. So streichen die 1,5% der größten Agrarfabriken bislang ein Drittel der Zahlungen ein. Da Bayern eine kleinteilige Landwirtschaft hat, sieht das auch Minister Brunner nicht ein. Anders Frau Aigner und mit ihr die Länder mit den größten Betrieben: Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg. Es ist erstaunlich, wie stark in diesen Ländern die Lobby der Agrarindustrie ihren Einfluss geltend machen muss. Denn die Deckelung beträfe in Deutschland nur 2.000 von 240.000 Betrieben – das ist ein Prozent! Für dieses eine Prozent wird Politik gemacht, während die 99 Prozent der übrigen Bauern von einer gerechteren Umverteilung profitieren könnte.

Beim Thema Ökologisierung verläuft die Gefechtslinie wie zu erwarten zwischen den Bundesländern mit roter und grüner Regierungsbeteiligung und der CDU/CSU. Nur das rot-rote Brandenburg schert hier aus und will wie die CDU keine ökologischen Mindestanforderungen an die Landwirte. Die übrigen Minister fordern wie wir, dass unsere Steuergelder künftig nicht mehr als reine Wirtschaftsförderung in die industrielle Landwirtschaft gepumpt werden. Vielmehr braucht es ökologische Anreize, die es den Bauern ermöglichen, die ganze Verantwortung für das Land zu übernehmen, das sie bewirtschaften. Der Zwang zur Produktivitätssteigerung würde damit so weit hinausgenommen, dass die Bauern etwa die Fruchtbarkeit der Böden erhalten könnten sowie die Artenvielfalt auf den Feldern. Dass der Verlust von fruchtbaren Böden und sauberem Grundwasser gerade in Zeiten des Klimawandels auch in Europa gravierende Probleme darstellen, hat EU-Kommissar Ciolos verstanden. Daher fordert er: öffentliche Gelder nur für öffentliche Güter.

Es ist absehbar, dass sich die Agrarminister der Bundesländer bis Freitag nicht auf eine gemeinsame Linie einigen werden. Das heißt: Nicht einmal ihre eigenen Agrarminister kann Frau Aigner hinter sich versammeln. Für Aigners Blockadehaltung in Brüssel bedeutet das, dass sie diese nicht mehr lange durchhalten kann. Aigner wird dem Ruf der Bauern und Bürger/innen für eine grüne und gerechte Ausrichtung der EU-Agrarreform folgen müssen, wenn wir in den kommenden Wochen und Monaten den Druck auf sie erhöhen. Der Protest der Bauern und Verbraucher muss lauter werden: Gegen das Höfesterben, für gesundes Essen ohne Gift und Gentechnik!

Der heutige Protest bei der Agrarministerkonferenz in Suhl hat mir dafür Hoffnung gemacht: über 50 Menschen folgten dem Aufruf zum Protest, obwohl sich die Agrarminister kaum einen abgelegeneren Ort für ihre Konferenz hätten suchen können: sechs Kilometer außerhalb einer Kleinstadt in Thüringen und das gesamte Gelände im Privatbesitz des Hotels. Dennoch konnten sich die Minister vor dem Protest der Öffentlichkeit nicht im Sternehotel verkriechen. Vielen Dank an alle, die dabei waren!

Jetzt müssen wir mehr werden. Schon über 50.000 Menschen haben unseren Appell an Ministerin Aigner und Kanzlerin Merkel unterzeichnet. Wir werden weitere Unterschriften sammeln und die Ministerin bei kommenden öffentlichen Terminen mit den Argumenten der Bürgerinnen und Bürger konfrontieren. Bis zur Landwirtschaftsmesse „Grüne Woche“ im Januar wollen wir ihr die Unterschriften überreicht haben. Wir rufen außerdem wie im letzten Jahr zur Demonstration „Wir haben es satt!“ auf, die parallel zur „Grünen Woche“ am 21. Januar 2012 in Berlin stattfinden werden. Seien Sie schon jetzt zur Demo herzlich eingeladen!

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Autor*innen

Astrid Goltz, Jahrgang 1983, hat Kulturwissenschaften in Lüneburg und Santiago de Chile studiert. Seit vielen Jahren ist sie ehrenamtlich in Umweltprojekten aktiv, zuletzt bei den Klimapiraten. Hauptamtlich hat sie für die BUNDjugend zum ökologischen Fußabdruck gearbeitet und für den BUND das Klimaforum Bonn 2010 mit organisiert. Ihre Schwerpunktthemen als Campaignerin bei Campact sind Gentechnik und Agrarpolitik sowie Flüchtlingspolitik. Alle Beiträge

1 Kommentare

Kommentare sind geschlossen
  1. Was soll ich von Frau Aigner als Bundeslandwirtschaftsministerin,
    von manchen Agrarministern hier im Land und von Brüssel halten?
    Was und wie ich darüber denke, behalte ich lieber für mich!
    Aber diese meine Antwort, denke ich, sagt mehr als tausend Worte …
    Nur eins:
    Sind die o.a. Leute so falsch informiert, weil sie entsprechende Berater
    um sich haben, dass sie solch verheerende Entscheidungen treffen (müssen)?
    Ich verstehe es wirklich nicht!
    Übrigens:
    Vor kurzem kam durch die Medien, dass wiederum eine Agrarfabrik
    genehmigt wurde, die über 400.000 Hühner fassen soll.
    Ich glaubte, ich höre nicht richtig!
    Was haben denn die ganzen Proteste gegen solche Betriebe allgemein genutzt?! Haben diese gefruchtet? Wohl nicht …
    Denn jetzt wird der größte Massenbetrieb überhaupt erstellt!
    Wo bleiben hier die Proteste per Mail oder Post oder wie auch immer?
    Ich glaube doch tatsächlich:
    Gegen so viel Dummheit – besser ganz drastisch ausgedrückt: Blödheit – seitens der Behörden ist kein Kraut gewachsen!
    Tut mir leid, dies sagen zu müssen — aufgrund dieser o.g. Bauge-nehmigung des Betriebes zur größten Massentierhaltung überhaupt …
    Ich komme jedoch einfach zu der Feststellung.
    Welch ein WAHNSINN! – – –

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