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Asylgesetz: Was aus dem Lohn eines Familienvaters wird

Ismail und Stefan haben beide dieselbe Arbeit, doch das Asylgesetz sorgt dafür, dass bei Ismails Familie am Ende des Monats nichts davon ankommt.

Mit der Kampagne „Kinderrechte kennen keine Herkunft“ fordern wir die Abschaffung des diskriminierenden Asylbewerberleistungsgesetzes. Das Gesetz verwehrt 40.000 Flüchtlingskindern ein Aufwachsen in Würde und soll derzeit vom Arbeitsministerium unter Ministerin von der Leyen überarbeitet werden.

Im folgenden Gastbeitrag beschreibt Hubertus Romahn, pensionierter Jugendamts-sozialarbeiter in Hamburg, was aus dem Lohn eines Familienvaters wird, der den Bestimmungen der §§ 3 bis 7 AsylbLG unterliegt.

Den Familienvater nennen wir Ismail. Ismail lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in – sagen wir – einer Hamburger Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge, und das schon seit einigen Jahren. Das ältere Kind ist 6 Jahre alt und geht zur Schule, das jüngere ist 2 Jahre alt.

Ismails 4-köpfige Familie erhält Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 3 AsylbLG (Gebühren für die Unterkunft nicht gerechnet) in Höhe von monatlich 691 €, abzüglich der Anteile für den Verbrauch von Energie in der Unterkunft. Ismail arbeitet – mit Erlaubnis der Behörden – bei einer Reinigungsfirma als Putzkraft. Seine Frau hat keine Erwerbstätigkeit. Sie sorgt tagsüber für das 2 Jahre alte Kind.

Ismails Arbeitskollege ist Stefan, auch Familienvater. Stefan lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in einer Sozialwohnung. Zufällig sind die Kinder genauso alt wie Ismails Kinder, 6 und 2 Jahre. Stefans Frau ist nicht erwerbstätig. Auch sie sorgt tagsüber für das 2 Jahre alte Kind.

Stefans 4-köpfige Familie erhält Hilfe zum Lebensunterhalt gemäß den Hartz IV-Regelsätzen in Höhe von 1.144 € monatlich. Das gilt gemeinhin als das Existenzminimum. Dazu kommt die Monatsmiete, die von der SGB II-Dienststelle übernommen wird, ggf. abzüglich von Anteilen für Warmwasser, die in den Regelsätzen enthalten sind.

Ismails Familie hat monatlich 453 € weniger an Mitteln zum Lebensunterhalt als Stefans Familie, oder anders ausgedrückt: rund 40% weniger. Ismails Familie lebt 40% unterhalb des Existenzminimums!

Ismail und Stefan haben ihren ersten Arbeitsmonat hinter sich. Beide haben denselben Job gemacht und erhalten dieselbe Löhnung: 200 €. Sie geben ihre Verdienste korrekt bei den Sachbearbeiter/innen an, die für die Berechnung ihrer Hilfen zum Lebensunterhalt zuständig sind. Die Sachbearbeiter/innen rechnen aus, wieviel von dem Verdienst im Folgemonat auf die Hilfe zum Lebensunterhalt der Familien angerechnet wird.

In Stefans Fall werden die 200 € zunächst um einen Pauschalbetrag von 100 € bereinigt. Die stehen Stefan zu für evt. zu zahlende Versicherungsbeiträge für Krankheits-, Pflegebedürfigkeits- und Altersvorsorge sowie für die Kosten der Fahrkarten und für die Instandhaltung seiner Arbeitskleidung, die er für seinen Putzjob braucht und verauslagt hatte. Von den nach Bereinigung verbleibenden 100 € wird ein weiterer Betrag von 20% freigelassen; das sind noch einmal 20 €. Die Freilassung für Stefan beträgt somit 120 €. Der Rest von 80 € wird zur Verrechnung mit der Hilfe zum Lebensunterhalt herangezogen, so dass im Folgemonat 1.064 € Hilfe zum Lebensunterhalt an Stefans Familie gezahlt werden (plus Mietekosten).

In Ismails Fall gibt es keine Bereinigung und keinen pauschalen Absetzungsbetrag. Nicht einmal die Kosten für die Fahrkarten zum Putzjob und zurück und nicht einmal die Kosten für die Instandhaltung der Arbeitskleidung werden berücksichtigt. Dabei hatte Ismail die Fahrkarten nur durch Einsparungen an der Hilfe zum Lebensunterhalt der Familie kaufen können. 25% werden Ismail von seinem 200 €-Verdienst als Freibetrag belassen. Das sind 50 €. Die verbleibenden 150 € werden zur Verrechnung mit den 691 € herangezogen. Im Folgemonat erhält die Familie dann noch 541 €.

Ismail muss die Demütigung hinnehmen, dass seine Jobberei ihm und seiner Familie nichts gebracht hat außer 50 €, die schon für die Fahrkarten und die Arbeitskleidung draufgegangen waren. Und wenn Ismail obendrein das Pech gehabt haben sollte, dass die verauslagten Fahrtkosten zur Arbeit und zurück und die Kosten für die Arbeitsklamotten mehr als jene 50 € betragen hatten, die ihm für den Folgemonat freigelassen wurden, dann hat auch seine Familie eben Pech gehabt.

So perfide funktioniert das Asylbewerberleistungsgesetz!

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9 Kommentare

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  1. „Wir dürfen nicht dulden, dass Kinder ihre Talente nicht entfalten können, weil keine Chancengleichheit existiert“ – Worte des Bundespräsidenten in seiner gestrigen Rede aus Anlass seiner Vereidigung!
    Wenn der Bundespräsident sich damit auch auf die Seite jener Kinder, Jugendlichen und ihrer Familien gestellt haben sollte, die durch die Regelsätze des Asylbewerberleistungsgesetzes, Essenspakete, Lagerunterbringung und miserable medizinische Versorgung für viele Jahre von jeglicher Chancengleichheit ausgeschlossen sind, und wenn der Bundespräsident dies denn auch all denen zu verstehen geben würde, die ihm jetzt quer durch alle Parteien applaudieren, dann würde ein großer Schritt getan werden hin zu dem anderen Ziel, das er vorgegeben hat: „In ‚unserem Land‘ sollen auch alle zuhause sein können, die hier leben“.
    Der Bundespräsident als Bündnispartner bei der Überwindung dieser Gesetzgebung würde ihm gut zu Gesicht stehen.

  2. Zu was sollte es gut sein, wenn die Ministerin sich tatsächlich einmal vor Ort begeben würde? Sie würde nichts in Erfahrung bringen, was ihr und ihrem Ministerium nicht ohnehin schon aus etlichen Berichten über die deprimierende soziale Lage von Flüchtlingsfamilien seit Langem bekannt ist – Berichte übrigens, die das Ministerium zu einem guten Teil selbst angefordert bzw. erbeten hat.
    Viel besser wäre es, wenn die Ministerin endlich ihr seit jetzt zwei Jahren andauerndes Taktieren und Verschleppen bei der Überarbeitung des Asylbewerberleistungsgesetzes aufgeben würde.
    Noch viel besser wäre es, wenn Bundestag und Bundesrat als Gesetzgeber – das Asylbewerberleistungsgesetz ist schließlich das Werk von Bundestag und Bundesrat (!) – sich ihrer Aufgabe entsinnen und das diskriminierende Gesetz überarbeiten oder ganz abschaffen würden – mit oder ohne die Ministerin.

  3. Und wie sieht es aus, wenn der Familienvater aus Krankheitsgründen ausfällt?
    Oder wie ist es allgemein mit den Kosten für Medikamente, sind die betreffenden Familien zuzahlungsbefreit?
    Durch Krankheit enstehen doch weitere Engpässe, oder?!
    Es gibt noch genug andere Fragen …
    Insgesamt gesehen können diese Familien lediglich die Grundbedürfnisse
    befriedigen, denn kulturelle Möglichkeiten, Freizeitangebote vieler Art o.dgl. können sie mangels Geldes wohl überhaupt nicht nutzen.
    Traurig, aber wahr. – – –

    • @Marina: Für den Familienvater Ismail und seine Familie gilt unter den geschilderten Umständen auch weiterhin das Asylbewerberleistungsgesetz – einschließlich der Bestimmungen des § 4 AsylbLG zu „Leistungen bei Krankheit, Schwangerschaft und Geburt“.
      Was Krankenhilfe nach § 4 AsylbLG bedeutet, kann zum Beispiel in einem von der Bundesregierung erbetenen Bericht von pro asyl nachgelesen werden unter http://www.proasyl.de/en/topics/rechtspolitik/stellungnahmen/2010/sachleistungsprinzip/ , dort unter Abschnitt 5 „Eingeschränkte medizinische Versorgung“.

  4. Noch so eine kleine Storry, aber halt von einem Einheimischen. Getrennt lebend(seit 7Jahren), zwei Kinder(14/7). Zwar „noch“ verheiratet aus Kostengründen. Jeder wohnt in eigener Wohnung. Frau hat das Sorgerecht, geht arbeiten im Schichtdienst. Der Partner hat hauptsächlich der Kinderbetreung (wegen Schichten), eine 407,-€ geregelte Arbeitszeit. Er erhält ALG2. Die Kinder betreut und beköstigt er wegen der Schichten der Partnerin mindestens 12 Tage im Monat.
    Er erhält einen, „für sich“ zurechtgelegten Regelsatz. Ergo zählen Nebenkosten(Versicherungen, Telefongeb, Arbeitssachen,-Kindersachenpflege, zusätzliche Verköstigung uvm ) nicht zur Anrechnung. Geringverdienst & Harz 4 verbunden mit anteiliger Kinderbeträung. Da bleibt nicht wirklich etwas im Kühlschrank, außer Luft. Wo ist da das Wort „Sozial-st…“?

  5. ich vermute mal, weil für Asylanten das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zuständig ist und für Hartz IV-Bezieher das Bundesministerium für Arbeit und Soziales … und damit andere Minister und damit womöglich auch noch die unterschiedliche Einstellung entsprechend der unterschiedlich politischen Orientierung … und wie gerne unsere Ministerien fachübergreifend zusammenarbeiten – dafür gibts ja genug Beispiele – schade für unser Land

  6. Was lernen wir daraus? Selbst arbeitsmotivierte Asylbewerber sollten die Finger von der Arbeit lassen und komplett auf Kosten der Steuerzahler leben. Nicht weil sie faul wären, sondern weil sie durch die deutschen Gesetze zur Faulheit genötigt werden.

    Vielen „Dank“ an die Politiker! Viel Reden und Reisen ja, aber brauchbare Ergebnisse liefern war wohl noch nie deren Stärke. Nur wenn’s um die eigenen Vorteile geht (Diäten) ist sofort alles klar.

    @Simone:
    Die von der Leyen kann doch gar nicht von sowas erfahren, da Politiker überall mit dem Flugzeug hinfliegen, was nicht fußläufig erreichbar ist. Und da die Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge wohl zu weit vom Hamburger Flughafen weg liegt, kann die da gar nicht hinkommen.
    Taxi dürfte auch ausfallen, da die Straße dort bestimmt keinen guten Asphalt hat.

  7. Ich schäme mich immer wieder neu für das Land, in dem ich lebe. Asylbewerber haben eben keine Lobby…
    Gleichheit? Gerechtigkeit? Menschenwürde? Leben unter sozial verantwortbaren Umständen? Natürlich! Man muss eben nur im richtigen Land geboren sein, so einfach ist das.
    Ich kann das Durchhaltevermögen unserer Asylbewerber nur bewundern.

    Naja, woher soll denn auch eine Frau von der Leyen um das Leid in den Familien wissen…

    Im Übrigen vermag ich keinerlei gesetzliche Rechtfertigung für eine solche Politik der Ungleichbehandlung erkennen. Vielleicht kann mir das ja mal jemand erklären, aber bitte innerhalb der Maßstäbe von Moral und Gerechtigkeit und innerhalb demokratischer Grundsätze.

    Simone

    • @Simone:
      Mit Moral und Gerechtigkeit hat das Asylbewerberleistungsgesetz nichts zu tun. Das Gesetz dient der möglichst tiefen sozialen Herabsetzung einer möglichst großen Zahl von Menschen für eine möglichst lange Zeit.
      Ich nehme jedoch an, dass Ihre Bitte um eine Erklärung rhetorisch gemeint ist.

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