Menschenrechte Erinnern Frieden Ukraine Klimakrise Rechtsextremismus Wahlen Feminismus Pressefreiheit Protest

Aus für die Praxis-Maut: Die Bezahl-Hürde ist gefallen!

Eine meterhohe 10 Euro-Hürde stand gestern Abend vor dem Kanzleramt, als nach langem Termin-Eiertanz der Koalitionsausschuss zusammentrat, um auch über die Abschaffung der Praxisgebühr zu beraten. „Aus für die Praxis-Maut! Weg mit der Bezahl-Hürde!“ skandierten die Campact-Aktiven, während Dr. G. Bühr in seiner mobilen Arztpraxis nur die Patienten untersuchte, die es trotz Rollator oder Krücken […]

Eine meterhohe 10 Euro-Hürde stand gestern Abend vor dem Kanzleramt, als nach langem Termin-Eiertanz der Koalitionsausschuss zusammentrat, um auch über die Abschaffung der Praxisgebühr zu beraten. „Aus für die Praxis-Maut! Weg mit der Bezahl-Hürde!“ skandierten die Campact-Aktiven, während Dr. G. Bühr in seiner mobilen Arztpraxis nur die Patienten untersuchte, die es trotz Rollator oder Krücken über die Hürde – einen umfunktionierten Turnkasten – geschafft hatten. Mit Bildern und Interviewsequenz landeten wir u. a. in den heute-Nachrichten.

Zwar waren weder Angela Merkel noch Horst Seehofer bereit gewesen, die Unterschriften entgegen zu nehmen, die wir ihnen vor Beginn des entscheidenden Spitzentreffens überreichen wollten. Spät in der Nacht gab es für die Praxisgebühr dann aber doch noch ein Happy-End: Der Koalitionsausschuss beschloss, sie ab Januar abzuschaffen! Schon im Januar braucht nun bei niedergelassenen Ärzten, Zahnärzten und Psychotherapeuten kein Eintrittsgeld mehr bezahlt zu werden. Kassen ohne große Finanzpolster bekommen einen Ausgleich aus dem Gesundheitsfonds, damit sie den Wegfall der Gebühr nicht zum Anlass für die (Wieder-) Einführung von Zusatzbeiträgen nehmen. Zugleich ist die Absenkung der Kassenbeiträge, wie sie alternativ diskutiert worden war, vom Tisch. Diese hätte vor allem Beitragszahler mit höherem Einkommen entlastet, Geringverdienern jedoch weiterhin den Zugang zu Gesundheitsversorgung erschwert. Mit der Abschaffung der Praxisgebühr einigte sich der Koalitionsgipfel wenigstens auf eine sinnvolle Maßnahme – ganz im Gegensatz zum Betreuungsgeld.

Aktion gegen die Praxisgebühr – Fotos cc-by-nc: Jakob Huber für Campact

Gesundheitsökonomen, Sozialverbände, Verbraucherschützer und vier der fünf Bundestagsfraktionen hatten die Abschaffung der Gebühr gefordert. Angesichts der Rekordüberschüsse der Gesetzlichen Krankenversicherung hatte es schon so ausgesehen, als sei die Abschaffung der „Praxis-Maut“ reine Formsache. Doch dann wollten CDU/CSU partout nicht von der Gebühr lassen. Als klar wurde, dass die Union es auf einen Showdown im Koalitionsausschuss ankommen lässt, starteten wir deshalb kurzfristig einen Appell, um den Druck auf die Blockierer weiter zu erhöhen. Und diese gaben schließlich nach: ein Erfolg für Patienten, Ärzte und das Gesundheitswesen als Ganzes!

Dennoch bleiben immer noch viele, viele Baustellen im Gesundheitswesen. In unseren Diskussionen der letzten Tage ging es oft auch um die zahlreichen Zuzahlungen, die Patienten für Rezepte, Hilfs- und Heilmittel abverlangt werden, und die weiterhin als eine Art „Strafgebühr fürs Kranksein“ das Solidarprinzip konterkarieren. Oder um das Übel der Zwei-Klassen-Medizin, bei der die gesetzlich Versicherten immer noch die Vorzugsbehandlung der privat Versicherten subventionieren. Um die viel zu schlechte Bezahlung von Pflegeberufen, die meist nur in Politiker-Sonntagsreden „aufgewertet“ werden. Oder um die überhöhten Preise, die die Pharmaindustrie gerade in Deutschland für ihre Produkte verlangt und bezahlt bekommt. „Gesundheitspolitik ist Höchststrafe“ – Stoßseufzer von vielen, die sich intensiv mit diesem Bereich beschäftigen. Doch wir werden wieder gesundheitspolitische Themen aufgreifen, sobald sich eine Chance bietet – und danken vorerst ganz herzlich allen, die unseren Appell gegen die Praxismaut unterstützt haben. Ein besonders großes Dankeschön geht an alle Hürdenkletterer/innen und Demonstrant/innen, die gestern Wind und Regen trotzten, für ihr tatkräftiges Engagement!

TEILEN

Autor*innen

Annette Sawatzki, Jahrgang 1973, studierte Philosophie, Politikwissenschaft und Volkswirtschaftslehre in Bonn, Berkeley und Hamburg. Sie arbeitete als Dokumentarin, wissenschaftliche Mitarbeiterin und Büroleiterin von Bundestagsabgeordneten. Ihre Schwerpunkte als Campaignerin bei Campact liegen in der Sozial-, Wirtschafts- und Finanzpolitik. Alle Beiträge

4 Kommentare

Kommentare sind geschlossen
  1. Es ist gut, dass die PG abgeschafft wird, ich bin med. Fachangestellte u ich bin froh, dass dieser sinnlose Aufwand abgeschafft wird. Was allerdings nicht stimmt ist, dass die Menschen deswegen weniger zum Arzt gegangen sind weil ihnen das Geld dazu gefehlt hat, diese Menschen mit wenig Geld (Hartz IV usw.) waren nämlich alle von jeglicher Zuzahlung befreit u. die konnte man auch ständig im Wartezimmer vorfinden. Sie konnten auch innerhalb eines Quartals soviel Allgem. Med. od, Fachärzte aufsuchen wie sie wollten u. dies ist nicht richtig. Es wurde wieder der gestraft der jeden Tag zum arbeiten geht u. auch nicht viel mehr am Monatsende hat wie ein ein Hartz IV Empfänger. Wenn wir für unsere Gesundheit zu bezahlen haben, dann bitte ALLE!

  2. Frage bleibt, werden Menschen gesund oder auch krank, wenn sie zum Arzt gehen oder vom Arzt kommen? Es fehlt die aktive Gesundheitsbetreung. Auf jeden Fall ist ein Stueck Buerokratie gestorben.

Auch interessant

Europa, Mieten, Soziales Taktiken, um Wohnungsnot zu begegnen – und warum Finnland es besser macht Allyship, Service, Soziales 5 Fakten zum Disability Pride Month FDP, Montagslächeln, Soziales Montagslächeln: Wirtschaftswende Soziales, WeAct WeAct-Partnerprogramm: Mit Sanktionsfrei gegen Armut LGBTQIA*, Soziales Pits and Perverts: Eine ungewöhnliche Allianz Ampel, Die Grünen, FDP, Montagslächeln, Soziales Montagslächeln: Infight zur Kindergrundsicherung Feminismus, Soziales Unsichtbares Blut Ostdeutschland, Soziales „Es gibt eine ostdeutsche Identität, für die es kein westdeutsches Pendant gibt“ Gesundheit, WeAct Endlich: Reform des Kinderkrankengeldes Drogenpolitik, Gesundheit Kein Hedonismus