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Bundesregierung enttarnt Geheimdienst als überflüssig

Was für eine Sensation: Eine von der Bundesregierung beauftragte Kommission fordert die Abschaffung eines Geheimdienstes – kein Witz, wirklich! Es ist zwar nur der Militärische Abschirmdienst (MAD), der für entbehrlich erklärt wird, aber das ist doch schon mal ein viel versprechender Anfang. Für die Schlapphüte dreht sich der Wind, und jetzt kommt er auch von […]


Was für eine Sensation: Eine von der Bundesregierung beauftragte Kommission fordert die Abschaffung eines Geheimdienstes – kein Witz, wirklich! Es ist zwar nur der Militärische Abschirmdienst (MAD), der für entbehrlich erklärt wird, aber das ist doch schon mal ein viel versprechender Anfang. Für die Schlapphüte dreht sich der Wind, und jetzt kommt er auch von ganz oben. Unser Protest trägt die ersten Früchte.

Seit 12 Jahren folgt ein so genanntes Sicherheitsgesetz auf das nächste. Die Terroranschläge vom 11. September 2001 dienen als Rechtfertigung für eine beispiellose und ständig weiter ausufernde Einschränkung von Privatsphäre und Freiheitsrechten der Bürgerinnen und Bürger. Damit einher geht ein enormer Machtzuwachs für die Sicherheitsbehörden, die sich kaum mehr für ihr Tun rechtfertigen müssen. Einzig das Bundesverfassungsgericht setzte dem Überwachungswahn hier und dort Grenzen. Aber nun kommen erstmals offiziell von der Bundesregierung Vorschläge für einen Kurswechsel. Das ist ein erster konkreter Erfolg unseres Widerstandes, auf dem wir aufbauen können!

Militärischer Abschirmdienst: MAD ist passé

Sieben Monate lang hat eine achtköpfige Kommission, der neben dem Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich und Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger je drei von den beiden benannte Experten angehörten, Gesetze evaluiert und Reformvorschläge gemacht (siehe chronologische Übersicht am Ende des Beitrags). Selten war sie sich in den Empfehlungen einig. Einige wichtige Verbesserungen fordert sie in dem 308 Seiten starken Bericht aber immerhin mit Mehrheit.

Der Militärische Abschirmdienst ist demnach entbehrlich und seine Aufgaben können umverteilt werden. Mein Vorschlag wäre: die offiziell als überflüssig enttarnten Schlapphüte umschulen und ihnen produktive und nützliche Tätigkeiten geben, die das Licht der Öffentlichkeit nicht mehr scheuen müssen.

Wer kontrolliert eigentlich das Bundeskriminalamt?

Das Bundeskriminalamt (BKA) kann seit 2009 ähnlich wie ein Geheimdienst weit im Vorfeld von Terrorgefahren ermitteln. Es wird aber nicht kontrolliert wie ein Geheimdienst, und darf sich Lauschangriffe und Online-Durchsuchungen vom Amtsgericht Wiesbaden abnicken lassen. Amtsgerichte sind meist total überlastet, dort entscheidet ein einzelner Richter, oft im Minutentakt.

Die Mehrheit der Regierungskommission will immerhin die richterliche Kontrolle bei Überwachungsmaßnahmen verstärken. Auch ein eigenmächtiges Vorgehen des BKA ohne Information des Generalbundesanwalts will sie unterbinden. Damit wird dessen Macht wenigstens ein kleines Stück weit wieder eingeschränkt. Leider fand der Vorschlag, das BKA ähnlich wie die Geheimdienste unter die Aufsicht eines Kontrollgremiums des Bundestags zu stellen, in der Kommission keine Mehrheit. Dabei wäre das konsequent: Wer wie ein Geheimdienst arbeiten darf, muss sich auch entsprechend auf die Finger gucken lassen.

Ende der Mauschelei von 40 Behörden ohne gesetzliche Grundlage

Kritisch äußert sich die Kommission auch zum Ende 2004 geschaffenen Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ), das auf dem besten Wege ist, sich zu einer Art Superbehörde zu entwickeln. Insgesamt 40 Behörden arbeiten dort Tür an Tür zusammen und tauschen Informationen aus, obwohl die Verfassung eine klare Trennung von Polizei und Geheimdiensten vorschreibt. Gesetzliche Vorschriften? Fehlanzeige! Eine Mehrheit der Kommission fordert ein Gesetz für die Zusammenarbeit im GTAZ, und dass sie auf die wirklich gravierenden Gefahren des Terrors begrenzt wird.

Dem Bericht fehlt am Ende allerdings ein klares, einhelliges Resultat: Wie sehr die beiden Koalitionsparteien der jetzigen Bundesregierung im Clinch liegen zeigt sich auch hier. Und das führt dann wieder einmal zum Stillstand trotz erkannter Defizite. Immerhin zeigt der Bericht, wie die ausufernden Befugnisse der Sicherheitsbehörden rechtsstaatlich wieder eingegrenzt werden können: Durch eine Aufwertung der richterlichen Genehmigungspflicht für Lauschangriffe und Online-Durchsuchung, durch effektivere parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste, durch stärkeren Schutz der Privatsphäre, durch gesetzliche Regelungen für V-Leute.

Das umzusetzen wird eine Aufgabe für die neue Bundesregierung werden. Sie muss den Mut zum Kurswechsel aufbringen. Nach 12 Jahren Marsch in Richtung Sicherheitsstaat heißt es jetzt: Zurück zum Rechtsstaat, zurück zur Freiheit.

Wie auch immer die Wahl ausgeht, wir werden die neue Bundesregierung weiter unter Druck setzen!

Chronologie des Sicherheitswahns

2001 Das Vereinsrecht wird verschärft. Extremistische Vereinigungen, die unter dem Deckmantel einer Religionsgemeinschaft agieren, können verboten werden.

2002 Unter Innenminister Otto Schily wird das Terrorismusbekämpfungsgesetz – genannt Otto-Katalog – erlassen. BKA und Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) bekommen Auskunftsrechte, das BfV darf zudem den sogenannten IMSI-Catcher zur Handy-Überwachung einsetzen. Mitarbeiter in sicherheitsempfindlichen Infrastrukturbetrieben werden überprüft. Das Ausländerrecht wird verschärft.

2002 Strafbar ist nun auch die Mitgliedschaft und Unterstützung von ausländischen Terrorgruppen. Davor galt dies nur für inländische Terror-Vereinigungen.

2002 Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bremen führen Rasterfahndung in ihren Polizeigesetzen ein. Die anderen Bundesländer hatten diese Möglichkeit vorher schon.

2003 Die Strafbarkeit der Mitgliedschaft in Terrorgruppen wird nach einem EU-Rahmenbeschluss erneut ausgeweitet.

2004 Das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ), an das 40 Behörden angeschlossen sind, wird in Berlin eingerichtet. Polizei und Geheimdienste aus Bund und Ländern arbeiten Tür an Tür. Seit 2007 ist am GTAZ auch ein Gemeinsames Internetzentrum (GIZ) angesiedelt.

2005 Das Luftsicherheitsgesetz erlaubt der Bundeswehr, ein entführtes Passagierflugzeug notfalls abzuschießen.

2005 Der biometrische Reisepass wird eingeführt. Seit 2007 muss einen ein digitalisierten Fingerabdruck abliefern, wer einen Reisepass erhalten will.

2006 Das Gesetz zur gemeinsamen Antiterrordatei von BKA, Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst und zahlreichen weiteren Behörden tritt in Kraft.

2006 Das Bundesverfassungsgericht erklärt das Luftsicherheitsgesetz für verfassungswidrig. Es verstößt gegen die Menschenwürde.

2007 Ein neuerliches Terrorismusbekämpfungsgesetz verlängert viele der zuvor auf fünf Jahre befristeten Regelungen. Geheimdienstbefugnisse die sich zunächst nur auf Terrorverdächtige bezogen, wurden nun auf Extremisten ausgedehnt, die Gewalt fördern. Befugnisse die zunächst nur für den Verfassungsschutz galten, wurden Bundesnachrichtendienst und Militärischen Abschirmdienst ausgeweitet.

2008 Einführung der Vorratsdatenspeicherung: Telefon- und Internetverbindungsdaten, aber auch Standortdaten von Mobiltelefonnutzern sollen für sechs Monate gespeichert werden.

2009 Karlsruhe erklärt das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung, das auf eine EU-Richtlinie zurückgeht, für verfassungswidrig. Derzeit wird die Richtlinie vom Europäischen Gerichtshof überprüft.

2009 Die Befugnisse des BKA werden massiv ausgeweitet. Erstmals ist es – beschränkt auf den internationalen Terrorismus – für die Gefahrenabwehr zuständig. Dafür darf die Behörde die Telekommunikation überwachen, Computerfestplatten durchsuchen, Wohnungen abhören und Rasterfahndungen in Gang setzen. Gegen das Gesetz wurde Verfassungsbeschwerde eingelegt.

2009 Zur Verfolgung radikalisierter Einzeltäter, die keiner Terrororganisation angehören, werden neue Strafgesetze geschaffen. Reisen in Terrorcamps oder die Verbreitung von Bombenbauanleitungen werden unter Strafe gestellt.

2013 Das Bundesverfassungsgericht verlangt Korrekturen an dem Gesetz zur Antiterrordatei. Geheimdienst und Polizei müssen stärker getrennt und Grundrechte besser geschützt werden.

2013 Das Gesetz zur Neuregelung der Bestandsdatenauskunft erlaubt es Behörden, automatisiert und schon aus den nichtigsten Gründen, auf Namen, Anschrift und sogar persönliche Passwörter von Telefon- und Internetnutzern zuzugreifen. Geheimdienste müssen noch nicht einmal einen Grund nennen. Gegen das Gesetz wurde Verfassungsbeschwerde eingelegt.

Update:
Hier ein Bericht von tagesschau.de mit Kommentaren der Oppositionsparteien.

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9 Kommentare

Kommentare sind geschlossen
  1. ach war da nicht mal früher eine Comiczeitung die MAD `???

    ja ja Frau Merkel das wäre doch noch was für Sie ! 😉 Comic Heldin,……

    ich hoffe die schaffen die gesamte Politik ab dann können wir wieder unser Gesundes Saatgut ausstreuen in der Menschheit …

  2. Und was sagen Sie zu der jüngsten Meldung:
    Der britische Premierminister Cameron hat dem Geheimdienst wohl angeordnet, dass dieser „The Guardian“ veranlasst, bestimmte Dokumente von Edward Snowden zu vernichten?
    Dies bedeutet unmissverständlich eine gravierende Beschneidung der Meinungs- und Pressefreiheit!
    So weit darf es jedoch bei uns hierzulande keinesfalls kommen … Ansonsten wäre das
    verfassungswidrig.

  3. Wobei die Kommission gerade damit eine himmelschreiende Unkenntnis beweist. Der MAD ist ein militärischer Nachrichtendienst, der die nachrichtendienstliche Aufklärung strategischer Informationen wie z.B. Truppenverlegungen oder Einsatzplänen verhindern und – im Verteidigungsfall – seinerseits ebensolche Informationen über den Gegner sammeln soll. Dafür sind die anderen Geheimdienste ungeeignet. Was tatsächlich unsinnig ist, ist die Übertragung von zivilgeheimdienstlichen Aufgaben wie der Terrorabwehr auf den MAD, besonders in der Form dass die anderen Geheimdienste ebenfalls dafür zuzständig sind. Somit würde es allenfalls noch Sinn machen die Aufgaben des MAD wieder auf die eines reinen Militärnachrichtendienstes zusammenzukürzen und ihn in der Form in die Streitkräftebasis der Bundeswehr einzugliedern.

  4. Ein bloggender Rechtsanwalt hat seinen Kommentar zu den Vorschlägen der Kommission abgegeben. Er hält sowohl parlamentarische als auch die richterliche Kontrolle des Bundeskriminalamts für Augenwischerei. Wenn ich ihn richtig verstehe, möchte er stattdessen all das, was dem BKA 2009 erlaubt wurde (Rasterfahndung, Online-Durchsuchung…) wieder zurücknehmen. Auch eine Lösung, finde ich.
    http://www.internet-law.de/2013/08/parlamentarische-kontrolle-des-bka.html

  5. Wenn wir aufhören Deutschland am A. der Welt zu verteidigen, weden auch die „Terroristen“ aufhören ihren Länder in Deutschland zu verteidigen.

    • Heißt das z.B.:
      Aus Afghanistan raus?
      Ich habe ohnehin meine Zweifel, was unsere Soldaten da wollen …
      Eins ist sicher:
      Nicht wenige, die wieder hierher zurückkehren, sind – aufgrund mancher Erlebnisse dort – traumatisiert und nicht (mehr) arbeitsfähig, regelrecht belastet – wie auch dadurch sicherlich ihre Familie!

  6. 9/11 heißt ins deutsche übersetzt: 11.09.
    Selbst wenn man das mit dem Datumsformat nicht weiß, sollte man trotzdem wissen wann die Anschläge gewesen sind

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