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Die Stadt, die Banken und die EU – alle unter einer Decke

Der Rat des Internationalen Verbunds für Regulierungsstrategien (IRSG) ist ein wichtiger Zusammenschluss - aber keiner weiß so genau, was er eigentlich macht. Wir erklären es.


Ein paar Mal im Jahr – wie oft genau, wissen wir nicht – treffen sich 52 Personen in einem Saal in London. Wir vermuten, dass dieser Saal sich im Rathaus befindet. Während der Großteil der Bevölkerung nichts über die dort stattfindenden Sitzungen weiß, ist die britische Regierung auf dem neuesten Stand. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieser Sitzungen arbeiten für Organisationen aus China, Frankreich, Deutschland, Japan, Spanien, der Schweiz und den USA wie auch aus Großbritannien. Wir können davon ausgehen, dass sie alle Spitzenverdiener sind.

Ihr Zusammenschluss nennt sich Council of the International Regulatory Strategy Group (IRSG), also Rat des Internationalen Verbunds für Regulierungsstrategien. Und er ist außerordentlich wichtig.

In seiner Eigenwerbung beschreibt der IRSG sich selbst als ‚von Fachleuten geleitet‘. Was Sie dazu wissen müssen ist, dass er sich aus Finanzfachleuten zusammensetzt. Die Mission dieses Verbunds ist es, einen ‚Beitrag zur Ausformung der internationalen Regulierungsbestimmungen auf globaler, regionaler und nationaler Ebene zu leisten‘. In Wirklichkeit handelt es sich um eine Lobbyorganisation.

Doch eine Sache ist seltsam. Die meisten Mitglieder dieser Gruppe arbeiten zwar tatsächlich im Finanzbereich – für großen Namen wie Goldman Sachs, die Chinesische Volksbank, Crédit Suisse, HSBC, die Londoner Börse und den Blackstone-Beteiligungsfonds. Doch geleitet wird der ISRG von Leuten die aus dem öffentlichen Sektor stammen, wie zum Beispiel Notenbanken und kommunalen Behörden.

Ratsvorsitzende des IRSG ist Rachel Lomax, ehemalige stellvertretende Präsidentin der Bank von England. Vertreten wird sie von Mark Boleat, Mitarbeiter der City of London Corporation (CLC). [Anm. d. Übers.: Die CLC ist so etwas wie eine Mischung aus Stadtverwaltung und Industrie- und Handelskammer, denn in der Londoner Innenstadt sind Unternehmen nach der Anzahl ihrer Beschäftigten wahlberechtigt. Die gewählten Vertreter leiten gleichzeitig die Geschicke der Innenstadtviertel und machen Lobbyarbeit für die dort ansässige Finanzindustrie.] Vorstandsvorsitzender Chris Cummings ist gleichzeitig Chef von TheCityUK, einer Organisation die als Marketing-Abteilung des CLC fungiert.

Noch bemerkenswerter ist die Tatsache, dass CLC und TheCityUK die Gehälter von jenen fünf IRSG-Mitarbeitern bezahlen, welche die jährlich stattfindenen Empfänge in London und Brüssel organisieren.

Eins sollten wir jedoch klarstellen: Der IRSG macht seinem Namen alle Ehre. Er ist ein internationaler Verbund, der über Strategien für Finanzregulierungen nachdenkt und seine Empfehlungen all jenen schickt, denen sie gefallen könnten – der Europäischen Kommission, dem britischen Unterhaus, der US-Börsenaufsicht… oder wem auch immer!
Und dadurch, dass die CLC die Organisation leitet, erfüllt sie ihren Wählerauftrag. Ich bin mir sicher, dass all die Unternehmen, die einen Vertreter im IRSG-Rat sitzen haben, bei den Wahlen der Stadt London als Stimmrechtsvertreter der Gesellschaft abstimmen. Die Vorsitzenden der Finanzorganisationen aus aller Welt dürfen wählen, sofern ihre Niederlassungen in London genug Mitarbeiter beschäftigen. Und so kommt es, dass der IRSG die Regulierungsstrategie im Auftrag des weltweiten Finanzsektors mitbestimmt.

Aber es wird noch merkwürdiger. Ich habe die sieben Teilnehmer des IRSG-Rates noch gar nicht erwähnt. Sie kommen als Beobachter aus dem Finanzministerium, dem Außenministerium, dem Wirtschaftsministerium, der englischen Notenbank sowie aus allen drei britischen Finanzaufsichtsbehörden.

Ja, Sie lesen richtig, die Regierung nimmt an Sitzungen teil, in denen die großen Finanziers dieser Welt bestimmen, welche Strategie sie für Gesetze, die sie selbst betreffen, verfolgen.

Sie stecken alle unter einer Decke!

Und das zentrale Thema ihrer diesjährigen Arbeit ist das geplante Handelsabkommen zwischen der EU und den USA, die so genannte Transatlantische Handels- und Investment-Partnerschaft (TTIP).

Die Europäische Kommission will die Finanzmarktregulierung zum Gegenstand des TTIP machen. Das Gleiche will auch Großbritanniens stellvertretender Premierminister Nick Clegg. Nicht so allerdings die Amerikaner. US-Finanzminister Jack Lew sagt: ‚Wir werden nicht zulassen, dass diese Abkommen unsere hohen nationalen Finanzregulierungs-Standards verwässern.‘

Kritiker des TTIP weisen allerdings darauf hin, dass Regulierung quer durch alle Politikbereiche verwässert wird, wenn TTIP durchkommt.

Mit TTIP werden Gesetze und Vorschriften ‚kompatibel‘ sein müssen, bzw. ’sich annähern‘ oder einander zumindest ‚gegenseitig anerkennen‘. Nehmen wir genmanipuliertes Saatgut als Beispiel. Da kann dies eigentlich nur eines bedeuten: Genmanipulierte Lebensmittel nach Europa zu importieren und genmanipulierte Saaten hier anbauen zu können, wie Monsanto und andere Konzerne es möchten. Die US-Regierung wird sich mit nichts anderem zufrieden geben.

Im Finanzsektor würde das auf beiden Seiten des Atlantiks Vorschriften zur Geltung verhelfen, welche die Parlamente weder beraten noch abgestimmt haben. Ein Prozess mit dem Namen Investor-State Dispute Settlement (ISDS) – ein Mechanismus zur Beilegung von Investor-Staat-Streitigkeiten – könnte ebenfalls den haarsträubenden Effekt haben, dass genau die Banken, die wegen ihrer Verstöße gegen die bis 2008 geltenden, viel zu schwachen Regulierungen mehrere Milliarden Dollar Geldbußen zahlen mussten, demnächst wegen Gewinnrückgängen aufgrund der neuen, strengeren Regulierungen nach der Finanzkrise auf Schadensersatz klagen könnten.

Automobilhersteller fordern die ‚gegenseitige Anerkennung bestehender Regulierungen‘ für Kraftfahrzeuge. Dies würde den Import von US-Fahrzeugen erlauben, die nicht die in der EU geltenden Sicherheits- und Umweltbestimmungen erfüllen.

Und genauso geht es weiter, ein Wirtschaftssektor folgt dem anderen. Beide Seiten wollen das bis Weihnachten 2014 eingetütet und anschließend ohne großes Aufsehen ratifiziert haben.

Vergangenen Monat schickte die Kommission einen Vorschlag für die so genannte ‚Kohärenz in Regulierungsfragen‘ herum (veröffentlichte ihn aber nicht – es wird nie etwas veröffentlicht, nur gelegentlich sickert etwas durch). Der Vorschlag würde regelmäßige Beratungsgespräche mit der Wirtschaft auf beiden Seiten des Atlantiks einführen, bei denen neue Richtlinien und Verordnungen vorab verhandelt werden, noch bevor die Öffentlichkeit davon erfährt.
Kommt mir das nicht irgendwie bekannt vor? Ach ja, genau so funktioniert doch der IRSG. Ist es nicht merkwürdig, dass die EU die Art und Weise, auf die die Dinge in Großbritannien geregelt werden, nachahmt?

Dieser Artikel erscheint mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Verlages. Er erschien ursprünglich auf Englisch auf der Webseite des New Internationalist

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