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Das Experiment von Ton Siedsma: Unglaublich, was unsere Daten alles verraten!

Der niederländischer Aktivist Ton Siedsma von „Bits of Freedom“ hat den Selbstversuch gewagt und seine Daten auswerten lassen. Das Ergebnis zeigt: „Metadaten“ sagen ganz schön viel über unseren Alltag aus.

Geheimdienste sammeln gerne allerhand „Metadaten“ und werden nicht müde zu versichern, dass das alles vollkommen harmlos sei. Der niederländischer Aktivist Ton Siedsma von „Bits of Freedom“ hat den Selbstversuch gewagt und seine Daten auswerten lassen. Das Ergebnis zeigt: „Metadaten“ sagen ganz schön viel über unseren Alltag aus.

Ton Siedsma ist 27 Jahre alt, kommt aus den Niederlanden und wollte es wissen: Der Mitarbeiter des niederländischen Vereins „Bits of Freedom“ ließ sich und seinen Datenverkehr von Forschern komplett durchleuchten. Am 11. November 2013 aktiviert Ton eine kleine unscheinbare App auf seinem Smartphone. Sie soll für die nächsten Wochen alle „Metadaten“ seines Smartphones aufzeichnen. Das bedeutet im Klartext: Jedes Mal, wenn er telefoniert, textet, mailt oder im Netz surft, schreibt die App mit. Hinzu kommen jeweils auch die Standortdaten. Das Ergebnis spricht für sich.

So sieht ein Tag Datenauswertung von Ton Siedsma aus

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15.000 Datensätze innerhalb nur einer Woche

Von der Auswertung des Experiments sind drei Mailkonten von Ton betroffen. Nach einer Woche sind bereits 15.000 Datensätze angefallen. Warum so viel? Ganz einfach: Bei jeder Mail, jedem Seitenbesuch und jeder Verbindung mit einem Funkmast fallen neue Daten an. Auch die Betreff-Zeile jeder Mail gehört zu den angeblich unverfänglichen „Metadaten“, die Geheimdienste sich gerne unter den Nagel reißen. Mit Hilfe von Software lassen sich aus diesen Daten allerhand Auswertungen anstellen. Wann ist Ton wach? Mit wem hat er besonders enge Beziehungen? Wonach sucht er im Netz? Die Antwort liefert eine Analyse dieser unscheinbar daherkommenden Daten.

Tons Profil: Katzenvideos, Mails an die Partei der „Grün-Linken“, skandinavische Krimis

Stille Wasser sind tief, heißt es so schön. Ton informiert sich online auf zahlreichen Sportportalen über die neuesten Ergebnisse und fährt selbst gerne Rad. Er sucht aber auch online nach skandinavischen Krimis und informiert sich im Netz über Religion und Philosophie. Doch statt tiefgründiger Dokumentationen schaut sich Ton bei Youtube eher folgende Videos an: “Katzen in Strumpfhosen”, “Disney Prinzessinnen mit Bärten” und “Gitarren durch Hunde ersetzt”.

Den Analysten bleibt nicht verborgen, dass er gerne eine Ganzkörperdecke (engl. Snuggie) mit albernem Batman-Motiv kaufen möchte. Einige ausgewählte Mails verschickt er verschlüsselt. Macht ihn das vielleicht schon für Geheimdienste verdächtig? Er informiert sich regelmäßig über die neuesten Datenschutz-Nachrichten, aber auch über einen aufgeflogenen Kinderporno-Ring. Außerdem kommuniziert er regelmäßig mit der niederländischen Partei der „Grün-Linken“.

Zeig mir deine Daten und ich sage dir, wer deine Freunde sind

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Die Daten des Experiments verraten jedoch nicht nur allerhand über Ton, sondern auch über sein Umfeld. Mit seiner Freundin Merel schreibt er sich ca. 100 WhatsApp-Nachrichten pro Tag und meldet sich immer, kurz bevor er auf seinem Weg von der Arbeit in Nijmegen am Amsterdamer Hauptbahnhof ankommt. Seine Schwester Annemieke ist Studentin und schreibt Ton Mails über ihre Abschlussarbeit. Auch ganze Freundeskreise lassen sich einfach rekonstruieren. Zu den Metadaten zählt schließlich auch, wer wen wann anruft und wo wir uns befinden. Wie fast jeder seiner Altersgenossen geht Ton nur selten ohne Smartphone aus dem Haus und verabredet sich meist per Netz oder Telefon mit seinen Freunden.

Der Gläserne Aktivist: Auswertung seiner Arbeitsdaten

Aus den Daten geht eindeutig hervor, dass Ton für die niederländische Bürgerrechtsorganisation „Bits of Freedom“ arbeitet. Die Auswertung seiner Arbeitsdaten zeichnet nicht nur ein sehr genaues Bild davon, was die Bürgerrechtler und Netzaktivisten planen, sondern auch wo sie politisch stehen. Diskussionen auf den internen Mailinglisten drehten sich unter anderem um Bert van Delden, den obersten Geheimdienst-Kontrolleur der Niederlande. Man stelle sich einmal vor, wie das beim niederländischen Geheimdienst ankommt, wenn ein Mailbetreff lautet „Van Delden muss gehen“. Andere Betreffs verraten, an welchen Projekten der Verein gerade arbeitet. Viele davon betreffen die Kritik an Geheimdienst-Überwachung. Auch die Zusammenarbeit mit anderen Vereinen und Verbänden lässt sich nahezu lückenlos rekonstruieren. Ebenso wie Kontakt mit Experten und Journalisten und die Arbeit an gemeinsamen Stellungnahmen.

Der totale Zugriff auf Ton’s Leben

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Besonders brisant wird es, als die Experten die Daten von Ton mit einer Sammlung von 150 Millionen geleakten Passwörtern mit Nutzernamen abgleichen. Zwar waren die Passwörter selbst bei den Anbietern verschlüsselt gespeichert. Doch durch einen Datenabgleich konnte trotzdem festgestellt werden, dass unterschiedliche Nutzerkonten bei verschiedenen Diensten in der Datenbank identisch waren. Die Sicherheitsfragen waren nicht verschlüsselt und so konnte schnell ein vielgenutztes Passwort von Ton rekonstruiert werden. Es war der Name seiner Lieblingsband. Mit diesem Passwort bekamen die Analysten Zugriff auf die Konten von Ton bei Twitter, Google und Amazon. Das heißt: Private Nachrichten, Mailkonten und Kaufverhalten waren ein offenes Buch für die Experten. Sie hätten nach belieben in Tons Namen Freunde ausfragen, vertrauliche Nachrichten der letzten Jahre auswerten oder in seinem Namen Produkte bestellen können.

Der Mythos der harmlosen Überwachung

Während des Experiments tat Ton nichts außergewöhnliches. Und doch sagt er später, er habe sich befreit gefühlt, als er den Versuch eine Woche später beendet. Die Daten die er sammeln ließ, unterscheiden sich in nichts von den Daten, die wir alle in unserem Alltag produziert.
Das Experiment belegt, dass die Mär von der angeblich harmlosen Überwachung unserer „Metadaten“ eine komplette Lüge ist. Metadaten sind tatsächlich die Daten, die Netzwerke und Zusammenhänge entstehen lassen und Daten erst in einen sozialen Kontext setzen.
Das Experiment hat einen sehr ernsten Hintergrund. Denn in den Niederlanden gibt es die Vorratsdatenspeicherung. Das heißt: Telefon- und Internetanbieter müssen für sechs Monate speichern in welche Funkzelle unser Telefon sich einwählt (Bewegungsprofile), an wen wir Mails verschicken und mit wem wir telefonieren. Dazu natürlich die jeweiligen Standortdaten. Auch in Deutschland fordern immer wieder Politiker die Wiedereinführung dieser Rundum-Überwachung. Die NSA greift regelmäßig auf “Metadaten” zu und bestreitet, dass dies ein ernster Eingriff in die Privatsphäre sei. Ton konnte nach einer Woche einfach seine Überwachungs-App deinstallieren. Doch die Überwachung durch Geheimdienste und Konzerne können wir nicht so einfach abstellen.

Ton Siedsma veröffentlichte den ersten Bericht über sein Experiment zusammen mit Dimitri Tokmetzis auf decorrespondent.nl. Es gibt eine englische Übersetzung von Bits of Freedom. Es gibt auch eine längere Übersetzung bei Netzpolitik.orgAbbildungen (bis auf die animierte Grafik) mit freundlicher Genehmigung von Momkai. Lizenz der Bilder (bis auf Grafik): Creative Commons BY-NC-SA 4.0.

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Autor*innen

Katharina Nocun ist studierte Ökonomin und beschäftigt sich mit den Auswirkungen der technologischen Revolution auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Sie engagiert sich in der digitalen Bürgerrechtsbewegung für eine lebenswerte vernetzte Welt. Sie war 2013 Politische Geschäftsführerin und Themenbeauftragte für Datenschutz der Piratenpartei Deutschland und arbeitete als Referentin und Campaignerin u.a. für den Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV), Campact e.V. und Wikimedia Deutschland e.V.. Katharina Nocun ist Botschafterin für die Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen und Mitglied im Beirat des Whistleblower-Netzwerks und bloggt regelmäßig unter www.kattascha.de. Folge Katharina auf Twitter: @kattascha Alle Beiträge

6 Kommentare

Kommentare sind geschlossen
  1. Einmal oder zwei Mal an einem Standort gewesen wo es Go-Karts gibt und schon nimmt dich keine Unfallversicherung mehr auf. … sicherheitshalber

    Täglich am Zigaretten-Automat XY-Straße 12 und schon gibts keine Krankenversicherung mehr.

  2. das ist wichtig, dass diese Übersicht noch mehr bekannt gemacht wird, denn ein großer Teil der Bevölkerung ist sich einfach nicht darüber bewußt, wie Informationen missbraucht und verfälscht werden können !!!!! die Stasi hat es gezeigt, dass die Leute der Geheimdienste egal ob NSA oder sonst welchen (es gibt ja hunderte plus die Wirtschaftsunternehmen, die persönliche Informationen verkaufen) zumindest die meisten davon vollkommen szizophren sind und unter Verfolgungswahn leiten. Man kann immer irgend etwas vermuten, wenn man irgend eine Info hat. Das fängt beim kleinsten Problem an, wenn Jemand z. B. extrem eifersüchtig ist, und seine Freundin mit irgend einem anderen Mann stehen sieht, denkt er gleich, dass sie bestimmt etwas mit ihm hat, obwohl er vielleicht total fremd ist und nur nach dem Weg gefragt hat. Und genauso ist es, auszuwerten, was sich Jemand im Internet anschaut. Dies sagt zuerst einmal gar nichts aus. Es könnte sein, dass sich Derjenige einfach nur über krasse kranke Menschen informieren möchte, ob es stimmt, was die Medien sagen. Aber laut NSA und Co. ist man dann gleich verdächtig. Oder jeder kennt bekannte Menschen, von denen er nicht weiß, in welche Richtung sie tatsächlich denken. Auch Familienangehörige sind schon aus allen Wolken gefallen, wenn Familienmitglieder auf einmal radikal wurden. Das bedeutet jedoch noch lange nicht, dass man Menschen grundsätzlich misstrauisch gegenüber stehen sollte. Denn dann ist es vorbei mit unseren menschlichen Kontakten. Ich z. B. möchte mich weiter über Geschichte, Politik und sonst etwas informieren und auch nicht falsch informiert werden wie die israelische Bevölkerung über einen Monat. Ich möchte mich umfassend informieren, um mir ein eigenes unabhängiges Bild von den Fakten machen zu können und nicht unterstellt bekommen, dass ich eine bestimmte Richtung von Glauben oder Politik unterstütze, nur weil ich kritisch hinterfrage. Dies alles wird gestört, wenn unrechtmäßig und ungesetzlich Privates gepeichert wird, und dann auch noch heimlich, wogegen ich mich nicht wehren soll. Das geht gar nicht ….. Postgeheimnis weg ???? Unglaublich, selbst Eltern lesen keine Tagebücher ihrer Kinder, das ist tabu …. ansonsten ist das Vertrauen weg. Und ob sich die Geheimdienste das erlauben können, wenn dann auch alle Menschen immer mehr falsche Angaben machen. Wie wollen sie das kontrollieren, ob ihr Verdacht richtig ist. Nachspionieren nützt gar nichts, ganz im Gegenteil, dass verkehrt sich ins Gegenteil. So wie Kinder Wege finden werden, sich gegen Eltern zu wehren, die die Kinder überwachen oder deren Tagebücher lesen. So werden sich die Menschen zu wehren wissen. Es ist ein Drugschluss von Menschen, die denken, andere überwachen zu müssen, entweder privat oder geschäftlich, dass sie dann die Menschen unter Kontrolle haben. Das wird nie funktionieren, nur im Film aber auch da nicht langfristig, weil es auch in der Wirklichkeit absolut nicht funktioniert, selbst wenn sich die NSA und Co. das so wünschen. Es funktioniert nicht. Und selbst die, die wirklich krimminelle Energie haben, legen das dann nicht offen, sind also auch gar nicht über so eine große Massenüberwachung sämtlicher unschuldiger Menschen zu finden.
    Übrigens, das Leben zeigt es immer wieder …. was ich sähe, das ernte ich. Auch wenn die Geheimdienste Milliarden von Steuergeldern ausgeben, gegen die Bevölkerung, wird es auch dazu eine Reaktion der Milliarden Menschen geben, die ausspioniert werden. Es müssen sich nur noch alle in der Bevölkerung darüber bewußt werden, dass die kompletten Persönlichkeitsrechte jedes Einzelnen untergrabe werden. Ich jedenfalls werde nichts verschlüsseln, weiter kritisch bleiben und mir meine Rechte nicht beschneiden lassen, da ich nichts Unrechtes gegen andere unternehme, sondern nur aus der Geschichte lerne und möchte, dass die Menschen alle die gleichen Rechte bekommen. Und dazu braucht es jede Menge Information. Je mehr Informationen ans Licht kommen, wie unsere Regierungen arbeiten, um so besser funktioniert die Demokratie. Diese Demokratie mit vielen Tränen, Toten, und viel Kampf und Leid in den letzten Jahrhunderten erkämpft, dürfen wir uns nicht über verschwindend gering „Wenige“ gegenüber der „großen Menge an Bevölkerungen, die korrekt leben möchten“, kaputt machen lassen. In diesem Sinne, bleibt wachsam und hinterfragt die Gründe, warum ein Politiker dieses oder jenes durchsetzt und warum er gerade so oder so redet. Hinterfragt, was der Politiker sonst tut, oder ob er korruptionmäßig mit einem bestimmten Unternehmen verbunden ist, und nicht für die Allgemeinheit arbeitet, so wie er eigentlich den Schwur abgeleistet hat, sondern für ein bestimmtes Unternehmen oder Banken oder einen bestimmten Wirtschaftszweig. Bleibt wachsam und sprecht die Dinge an, die nicht korrekt laufen. Nur soooooooooooo funktioniert Demokratie. Und auch das ist eine Chance mit dem Internet, zu sehen, dass in unglaublich vielen Ländern, eigentlich allen, die gleiche Einstellung zur Gerechtigkeit vorhanden ist. Also weiter Motive hinterfragen und zwar in jedem Bereich !!!!!!!! Bleibt interessiert und schaut nicht weg !!!!

  3. So etwas würde nicht nur Geheimdienste interessieren, sondern auch andere Institutionen wie z.B. den Verfassungsschutz o.dgl. mehr.

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