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TTIP ist die Antwort – aber was war eigentlich die Frage?

Das Handelsabkommen TTIP bringt Europa und den USA Wachstum und Arbeitsplätze - zumindest versuchte die EU-Kommission uns mit diesen Erwartungen den Konzerndeal schmackhaft zu machen. Doch ihre eigenen Studien widerlegen diese Prognosen. Aber dazu stehen? Nein, erstmal die Wahrheit verdrehen und schauen, ob es klappt. Was das Abkommen wirklich taugt, erfährst Du hier.

Das Handelsabkommen TTIP bringt Europa und den USA Wachstum und Arbeitsplätze – zumindest versuchte die EU-Kommission uns mit diesen Erwartungen den Konzerndeal schmackhaft zu machen. Doch ihre eigenen Studien widerlegen diese Prognosen. Aber dazu stehen? Nein, erstmal die Wahrheit verdrehen und schauen, ob es klappt. Was das Abkommen wirklich taugt, erfährst Du hier.

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TTIP ist wie eine heiße Kartoffel. Grafik: Campact/Zitrusblau [CC BY-NC 2.0]

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Mehr als ein Jahr war die Begründung warum TTIP notwendig sei: Wachstum und Arbeitsplätze. Dafür bestellte die Kommission beim ifo-Institut, Bertelsmann-Stiftung und anderen renommierten Adressen dicke Studien, und die fanden raus: unter optimalen Bedingungen gibt es mit TTIP 0,05 Prozent zusätzliches Wirtschaftswachstum im Jahr. Weil das aber so wenig ist und auch so dürftig klingt, haben der Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI) und der Verband der Automobilhersteller (VDA) und andere diese Zahlen auf ihren Webseiten einfach mal um das 10fache erhöht – und mussten das peinlich berührt zugeben. Es waren natürlich nur Irrtümer und Missverständnisse, klar. Alle diese Prognosen erwiesen sich als nicht haltbar, und im Februar räumte Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) dann ein: alle diese Studien, das ist doch „Voodoo-Economics“.

Panikmache statt Fakten

Als neue Begründung bietet er jetzt an: Wir brauchen „globale Standards“. Die USA und die EU schaffen also mit TTIP Standards für die Welt. Wahlweise präsentiert die TTIP-Lobby das mal so: Europa schafft globale Standards gemeinsam mit den USA gegen Asiaten, oder auch: wenn Europa das jetzt nicht gemeinsam mit den USA macht, dann machen es die USA gemeinsam mit den Asiaten gegen Europa. China und die Asiaten sind jetzt eine Gefahr für die hohen Standards in Europa. Doch Fakten fehlen in der Diskussion um globale Standards fast völlig. Auf eine oder mehrere Studien als Begründung wird verzichtet. Das macht stutzig, wenn Leute, die sonst so gut wie alles mit Studien begründen, auf einmal darauf verzichten.

Unsere Standards sind in Gefahr, weil unsere eigenen Regierungen sie absenken wollen

Suchen wir weiter nach Fakten. Aber die Protokolle des Europäischen Rates oder die Unterlagen der Kommission geben nichts her. Es gibt keine Hinweise darauf, dass es in letzter Zeit mal Diskussionen gegeben hätte über so Dinge wie: die Asiaten setzen uns unter Druck, unsere Standards im Umwelt- und Verbraucherschutz, bei den Arbeitnehmerrechten, unsere Sozialstandards sind in Gefahr, wir müssen uns Verbündete suchen. Lasst uns mit den USA reden. Nichts. Fehlanzeige.

Im Gegenteil: unsere Standards sind in Gefahr, weil unsere eigenen Regierungen sie absenken wollen. Das Deregulierungs-Programm namens REFIT, das die Kommission gemeinsam mit dem Europäischen Rat und der Parlament umsetzen will, bedeutet: so wenig Regulierung wie möglich. Neue Regulierung so schwierig wie möglich machen – vor allem, wenn sie Wirtschaftslobbies nicht passt. Pardon, das wird natürlich anders formuliert: wenn es der Wirtschaft unnötige Lasten aufbürdet und damit Wirtschaftswachstum erschwert, dann soll Regulierung möglichst gar nicht stattfinden. Kommissionspräsident Juncker will dafür ein »Regulatory Scrutiny Board« einrichten, und dieses Gremium aus ungewählten Technokraten soll neue Gesetzgebung schon im Ansatz stoppen können, wenn sie als wirtschaftsfeindlich erachtet wird.

Die Auswirkungen dieser Deregulierungs-Politik sind bereits spürbar

Im April wurden die neuen Vorschläge der Kommission zu Emissionsgrenzwerten für Kohlekraftwerke öffentlich, die sogenannte Industrieemissions-Richtlinie. Diese Vorschläge für Emissionsgrenzen für Kohlekraftwerke sind schlechter als die der USA, Japans und sogar Chinas. Man höre und staune. Es entsteht allmählich der Eindruck: TTIP ist die Antwort, aber was war die Frage? Aus der Wirtschaft hört man jedenfalls die Begründung mit der Abwehr der Chinesen viel seltener – eher schon die Warnung vor TTIP als “Wirtschafts-Nato“.  Aber in den Köpfen des außenpolitischen Establishments scheint das das aus dem Kalten Krieg tradierte Weltbild herumzuschwirren.

Globale Standards können sowieso nur global gesetzt werden

Zugegeben, wir haben in Europa ja auch Standards, die nicht so toll sind. Vor allem wenn es um Autos geht, werden die Deutschen gerne sehr bockig, weil die Exportschlager-Modelle von Daimler, Porsche und BMW halt nun mal richtig viel Sprit verbrauchen. Da wäre es nicht schlecht, wenn uns die Asiaten mal etwas unter Druck setzen würden. Tun sie aber nicht.

Es ist auch nicht so, dass es keine globalen Organisationen geben würde, die globale Standards setzen würden. Das ist sogar ziemlich verbreitet, denn globale Standards können de facto sowieso nur global gesetzt werden – die Zeiten sind vorbei, wo der Westen das im Alleingang konnte. Nehmen wir einmal einen besonders umstrittenen Bereich: Lebensmittel. Da gibt es die globale Codex Alimentarius-Kommission. Eine gemeinsame Einrichtung der Welternährungsorganisation FAO und der Weltgesundheitsorganisation WHO, gegründet 1962. 180 Staaten sind dort Mitglieder. An ihrer Arbeit kann viel kritisiert werden, ihre Intransparenz, ihre Anfälligkeit für Lobbyinteressen, aber immerhin: es ist ein globales Gremium. Sie setzt Mindeststandards, etwa für Pestizidgrenzwerte – und sie setzt keine Höchststandards. Man kann bessere Standards setzen, aber keine schlechteren. Wenn also ein Land bessere Standards will, darf es das – und das markiert das exakte Gegenteil der TTIP-Logik, in der höhere Standards als “nichttarifären Handelshemmnisse“ gelten und deshalb unerwünscht sind. 

Wir brauchen Vorreiter für eine bessere Politik

Wir müssen viel tun, damit die die heutige Wirtschaftsweise nicht den Planeten Erde und seine Ökosysteme ruiniert, damit diese Welt nicht immer ungleicher, ungerechter und unsozialer wird – und da sind Rezepte wie TTIP, die auf Stillstand setzen, nicht wirklich hilfreich. Wir brauchen Vorreiter für eine bessere Politik. Ganz klar. Dazu muss man in den Ländern, in denen das politisch möglich ist, einfach mal vorangehen. Wir haben in Deutschland den Atomausstieg nicht multilateral beschlossen – da könnten wir lange warten – sondern unilateral. Wir haben das einfach gemacht. Wir haben mit dem EEG globale Fakten geschaffen, an denen heute niemand mehr vorbeikommt: wir haben den ersten Massenmarkt für Solarzellen und Windräder geschaffen, und damit diese Technologien so preiswert gemacht, dass die fossile Konkurrenz heute weltweit unter Druck gerät. Das war gut. Wir haben das gegen diejenigen erkämpft, die heute für TTIP agieren. Und es gibt viele andere gute Beispiele aus anderen Teilen der Welt, wo die Deutschen und die Europäer hinterhertrotten.

Worum also geht es den Protagonisten von TTIP?

Geht es um bessere Standards oder vielmehr um die Verhinderung besserer Standards? Mit TTIP sollen in der Tat globale Standards gesetzt werden. Globale Standards für eine rückwärtsgewandte Deregulierungspolitik, globale Standards für eine Wirtschaftspolitik bei der die Ansprüche von Investoren wichtiger sind als das Gemeinwohl, globale Standards mit denen jede Form von Regulierung für mehr soziale Gerechtigkeit oder ökologische Nachhaltigkeit unter den Vorbehalt eines “Handelshemmnisses“ gestellt wird. Eine Politik, die weder international noch national mehrheitsfähig ist, wenn man die Fakten ansieht und nicht die Mythen, die Begründungslyrik. Ich glaube, die Menschen in Europa, in USA spüren das, sie glauben die ständig wechselnden Begründungen für TTIP nicht – und deswegen wird dieses Projekt scheitern.


Zur Person

Potrait Jürgen Maier
Jürgen Maier ist seit 1996 Geschäftsführer des Forums Umwelt & Entwicklung, einem Netzwerk deutscher Umwelt- und Entwicklungsorganisationen. In dieser Funktion ist er in zahlreichen Kampagnen wie dem Bündnis TTIP-Unfairhandelbar, der Kampagne „Meine Landwirtschaft“ oder der Welthandelskampagne „Gerechtigkeit Jetzt“ engagiert. Von 1993-1996 war er Geschäftsführer der Asienstiftung.

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7 Kommentare

Kommentare sind geschlossen
  1. Leider gibt es immer noch viel zu viele Bürger / Wähler denen das Thema völlig egal ist.
    Das hängt auch damit zusammen, das TTIP kaum in den Medien diskutiert wird, und wenn dann nur im Sinne der Wirtschaft. Die Wirtschaft stellt die Regeln auf und die Politik ist unfähig im Sinne der Wähler zu handeln. Ich rufe dazu auf: WEHRT EUCH !!.
    Je mehr Wähler ihren Unmut äußern, umso mehr müssen gewählte Regierungen reagieren.

  2. Sie haben vollkommen recht mit ihrer Analyse, aber da ist soviel Geld im System, welches unsere Politiker gerne haben wollen.

    Im selben Moment sind unsere Konzernlenker in ihrer Gier nach Macht ungebremst. Es stinkt diesen schon lange, dass Gesetze auch für sie gelten und der Griff in die öffentlichen Kassen noch nicht von Ihnen in Gänze ausgeführt werden kann. In den Konzernetagen wird Demokratie sowieso als hinderlich angesehen und freie Meinung stört den Ablauf.
    Deswegen glaube ich TTIP wird auch gegen wiederstände durchgesetzt.

  3. Hallo,
    noch ein Beleg, dass in Brüssel, wie in anderen europäischen Machtzentren, nicht alles mit rechten Dingen zugeht, und diese Investorenschutzabkommen (fälschlich als „Freihandelsabkommen“ beworben) nicht im Interesse der Allgemeinheit verhandelt werden, ist bei Lobbycontrol nachzulesen. Viviane Reding, die im EU-Parlement für TISA berichtet, ist weiter für die Bertelsmannstiftung tätig, die wiederum aus Eigeninteresse sich für TISA stark macht.
    https://www.lobbycontrol.de/2015/06/tisa-berichterstatterin-reding-bleibt-in-bertelsmann-kuratorium/
    Viele Grüße
    Thomas Teichmann

  4. Hallo Herr Maier,
    im zweiten Satz des letzten Absatzes meinen sie, es sollten mit TTIP tatsächlich Standards gesetzt werden. Der rhethorische Kniff ist nachvollziehbar, aber inhaltlich ist das Ziel m.E. die Entmächtigung der Parlamente, und damit die Verhinderung sozialer und Umwelt verträglicher Regeln zum Wohle Aller. TTIP soll also sehr wohl Standards und Regeln verhindern, soweit diese nicht von großen Konzernen gesetzt werden.
    Es geht um die Macht oder die Befähigung, Regeln zu setzen, und diese Macht soll (noch mehr) auf die Großkonzerne übergehen. Dazu zählen die großen Beratungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, Microsoft, Monsanto und etliche mehr, weltweit ein paar tausend. Demokratie und das Prinzip der Gewaltenteilung wird unterminiert.
    Worin wir uns wohl einig sind: Das wollen wir nicht. Dagegen müssen wir uns wehren. Mit Macht.
    Viele Grüße
    Thomas Teichmann

  5. Das Abkommen wird nach und nach entlarvt. Es geht in der Hauptsache um ein Konzernschutzabkommen. Schiedsgerichte und regulatorische Kooperation sind die zunächst versteckten und dann verharmlosten Ziele. Aber nach und nach erkannt auch der letzte, dass es um die Einführung und Durchsetzung der Mekelschen ‚Marktkonformen Demokratie‘ geht. Und damit um die Abschaffung der derzeitigen Parlamentarischen Demokratien, der Mitbestimmung des ‚kleinen Mannes‘, des Wählers, des Souveräns, so wie wir ihn verstehen! So gesehen ist die geheime Verhandlungsführung allein schon Indiz für eine Verschwörung gegen den Souverän.

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