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Es gibt sie wirklich, die Lobbyisten

LobbyControl hat einen Stadtführer der besonderen Art herausgegeben: Mit dem Buch "LobbyPlanet" wird politisch interessierten Spaziergängern das Ausmaß des Lobbyismus in der Hauptstadt verdeutlicht. Und in den aufwendig gesammelten Infos steckt so manche Überraschung.

LobbyControl hat einen Stadtführer der besonderen Art herausgegeben: Mit dem Buch „LobbyPlanet“ wird politisch interessierten Spaziergängern das Ausmaß des Lobbyismus in der Hauptstadt verdeutlicht. Und in den aufwendig gesammelten Infos steckt so manche Überraschung.

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LobbyPlanetFoto

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Manche Sachen kennt man nur vom Hörensagen. Krokodile in der Kanalisation, zum Beispiel. Den 500-Euro-Schein. Oder dass Ex-Tennisprofi Boris Becker ein Kind in einer Wäschekammer zeugte. Hörensagen bedeutet: So ganz sicher bin ich nicht, dass es stimmt. Es könnte auch Quatsch sein.

In der politischen Argumentation ist oft von Lobbyisten die Rede. Laut Wikipedia sind das Menschen, die professionell auf Entscheidungsträger einwirken. Und weil der Begriff Lobbyist negativ besetzt ist, nennt sich mancher einfach Politikberater, Denkfabrikant oder Kommunikator. Das Problem: Diese Menschen kennen die meisten nur vom Hörensagen. Wie sieht so ein Lobbyist eigentlich aus? Wer bezahlt ihn? Was tut er den ganzen Tag? Wo arbeitet, was erreicht er? Und nicht zuletzt: Gibt es ihn eigentlich wirklich?

Die Macher des „LobbyPlanet“ geben eine Antwort. Sie lautet: Ja, es gibt sie wirklich, diese Lobbyisten. Und überwiegend haben sie sich dort angesiedelt, wo die wichtigen Entscheidungen für Deutschland getroffen werden: im Berliner Regierungsviertel. Dort arbeiten sie. Dort beeinflussen sie im Wirkungskreis des Bundestages Entscheidungen, die uns alle betreffen.

Hinter den Fassaden

Der „LobbyPlanet“ ist das neue Buch von LobbyControl, einer Partnerorganisation von Campact. Die Fachleute der Nichtregierungsorganisation (NGO) beobachten seit Jahren die Verflechtungen zwischen Wirtschaft und Politik, zwischen Industrie und Abgeordneten. Immer wieder machen sie deutlich, wie eng das Netz ist, das über der Berliner Entscheidermeile liegt. Der „LobbyPlanet“ ist Begleiter durch dieses Netz. Das Buch zeigt die Ausgangs- und Knotenpunkte. „Mit unserem neuen Stadtführer LobbyPlanet bringen wir Licht ins Dunkel der Berliner Lobbyszene. Auf über 300 Seiten blicken wir hinter die glitzernden Fassaden im Regierungsviertel und zeigen, wie Lobbyisten Politik beeinflussen – oft zulasten von Bürgerinnen und Bürgern“, sagt Christina Deckwirth, die das Projekt betreut.

Und sie verspricht nicht zuviel. Die Redaktion leitet den Leser mit über 100 Stationen, Bildern und Karten durch das Berliner Regierungsviertel – direkt vor die Eingangstüren der Lobbyisten-Büros. Auf sechs spannenden Routen und zwei Spezialstrecken zu Gesundheit und Energie geht es durch das politische Herz der Stadt. „Dabei stoßen wir auf viel Empörendes“, so Deckwirth. Und weiter: „Konzerne beeinflussen Unterricht an Schulen, Abgeordnete sind gleichzeitig Lobbyisten für die Rüstungsindustrie.“

Ein Beispiel: Die teure Schweinegrippe

Ein gutes Beispiel: die sogenannte Schweinegrippe. 2009 orderte die Regierung zig Millionen Ampullen Impfstoff gegen die Erkrankung. Für den Hersteller GlaxoSmithKline war das ein bombiges Geschäft – es brachte ihm dreistellige Millionensummen ein. Das Handelsblatt schrieb später leicht süffisant: „Schweinegrippe hat Glaxo gut getan“. Doch die Krankheitswelle verlief gar nicht so extrem wie erwartet. Die Deutschen interessierten sich zudem nicht für die Impfungen, viele hatten auch Sorge vor den Nebenwirkungen des im Eiltempo entwickelten Mittels. Am Ende landete fast alles auf dem Müll. Ein Millionenschaden, bezahlt von den Bürger/innen.

Eine wichtige Info zu dem Fiasko steht nun im „LobbyPlanet“: In den Gremien, die die Notfallpläne für Epidemien entwickeln, saßen etliche Experten mit engen Geschäftsbeziehungen zu Pharmafirmen wie eben GlaxoSmithKline. Da darf man sich wundern. Oder eben auch nicht.

Wir fordern ein verbindliches Lobbyregister

Während der LobbyPlanet zeigt wo die Lobbyisten ihre Büros haben, fehlt ein solcher Überblick über ihre tatsächlichen Tätigkeiten im deutschen Bundestag. Noch immer gibt es in Deutschland kein verbindliches Lobbyregister, in dem Name, Auftraggeber, Budget und Ziel der Lobbyarbeit öffentlich einsehbar sind. Und das obwohl fast 80 Prozent der Bürger/innen genau ein solches Register fordern.

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Autor*innen

Jochen Müter ist Diplom-Journalist und Politikwissenschaftler. Er schrieb als Ghostwriter einige Autobiographien und war Chef vom Dienst bei n-tv. Seit 2017 leitet er die Campact-Redaktion. Im Blog befasst er sich mit Protestbewegungen und steuert seinen Wochenrückblick bei. Alle Beiträge

6 Kommentare

Kommentare sind geschlossen
  1. Wenn ich in unserem System was ändern würde, dann wäre es die Abzugfähigkeit von Parteispenden zu verbieten. Diese Möglichkeit im Steuerrecht zu löschen. Das würde wenigstens den finanziellen Lobbyismus schwächen …

  2. Wen wundert’s? Wenn unsere Staatsführungselite inclusive deren bürokratischen Unterbau mangels eigenem Sach- und Fachverstand auf „externe Hilfe“ angewiesen ist, kann von denen natürlich auch keiner beurteilen wie stark diese „Berater“ interessengeleitet sind.
    Eigentlich sollte jedem klar sein daß es die bestbezahlte Aufgabe von Lobbyisten ist, die Katastrophen so verheerend und eindrucksvoll wie möglich darzustellen, wenn die Forderungen ihrer Klientel nicht erfüllt werden. Sie werden also für maßloses Übertreiben bezahlt.

    Noch vor wenigen Jahren wurde ich von „gebildeten“ Leuten als Verschwörungstheoretiker bezeichnet, als ich den Sachverhalt von externer Regierungsberatung ansprach. Es kann ja auch nicht sein, daß sich ganze Fachministerien so einfach über den Tisch ziehen lassen.

  3. „“Lobbyisten brauchen Ansprechpartner! Das sind unsere „“gewählten Abgeordneten, Minister und die Kanzlerin! Es geht keiner mehr zum Wählen??? Wen wundert das?

  4. Es ist eine Riesen-Schweinerei, daß bereits ein Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts die Bundesregierung zur Herausgabe der Lobbyisten-Listen existiert und die Regierung sich trotzdem weigert, bekanntzugeben, welche Lobbyisten in ihrem Hause mitarbeiten. Insbesondere wollen sie nun auf Kosten der Steuerzahler Berufung gegen dieses Urteil einlegen.

    • Hallo Münchnerin, ich vermute, Sie beziehen sich auf die Klage von Abgeordnetenwatch gegen den Bundestag. Das nur zur Korrektur, in der Grundaussage haben Sie völlig Recht. CDU/CSU weigern sich weiterhin, die Lobbyverbände zu benennen, die einen Hausausweis von der Fraktion erhalten (siehe http://www.abgeordnetenwatch.de -> Presse). Dort werden die Hausausweise – die von den Linken und den Grünen vergeben wurden – genannt (eine Hand voll). Dazu kommen angeblich etwa 950 weitere (von CDU/CSU/SPD). Wenn man sich dann noch die Spenden von Unternehmen an Parteien anschaut, dann wird wohl klar, was los ist.
      GRuß,
      SB

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