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Diese Erlebnisse zerreißen einem das Herz

Hanna G. ist Campact-Aktive und Psychologin. Sie arbeitet seit Jahren mit Flüchtlingen und hilft traumatische Flucht-Erlebnisse zu verarbeiten. Sie schildert uns schockierende Erlebnisse von Flüchtlingen die über Ungarn nach Deutschland kamen - und panische Angst davor haben zurückgeschickt zu werden.

Wer meint, Flüchtlinge könnten bedenkenlos nach Ungarn zurückgeschickt werden, der wird nach diesem Bericht seine Meinung überdenken müssen. Hanna G. ist Campact-Aktive und Psychologin. Sie arbeitet seit Jahren mit Flüchtlingen und hilft traumatische Flucht-Erlebnisse zu verarbeiten. Sie schildert uns schockierende Erlebnisse von Flüchtlingen die über Ungarn nach Deutschland kamen – und panische Angst davor haben zurückgeschickt zu werden.

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CC BY-NC 2.0: Michael Gubi

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In Ihrer Arbeit sind Sie mit Berichten von Flüchtlingen konfrontiert, die über Ungarn geflüchtet sind. Was für Erlebnisse sind das?

Hanna G.: Die Berichte sind schockierend! Ein Mann aus Somalia erzählte, dass er in einer ungarischen Polizeistation nackt in eine Art „Käfig“ gesperrt wurde. Ein Anderer wurde in einem Heim von Jugendlichen mit einer Eisenstange verprügelt, ohne dass die Polizei eingeschritten ist. Alle berichten von unmenschlichen Haftbedingungen: Sie werden solange in Haft behalten und häufig auch geschlagen bis sie bereit sind ihren Fingerabdruck abzugeben und damit quasi einem Antrag auf Asyl in Ungarn zuzustimmen. Danach werden sie freigelassen, finden aber weder Arbeit noch ein Dach über dem Kopf.

Gibt es Einzelschicksale, die Sie besonders bewegen?

Hanna G.: Es gab die Geschichte von einem syrischen Studenten. Er hat erzählt wie er nachts von der Polizei geflüchtet und auf einen Baum geklettert ist. Die Polizisten haben ihn mit Hunden verfolgt und mit Knüppeln auf ihn eingeschlagen um ihn von dem Baum runterzubekommen. Danach war sein Knie blau und geschwollen. In der Nacht hatte es geregnet. Er hat in der Zelle keine trockenen Sachen bekommen und wurde auch nicht ärztlich versorgt. Und dann haben sie ihn gefragt, ob er nicht in Ungarn Asyl beantragen will! Da hat er sich natürlich geweigert und wurde in ein Militärcamp mit Stacheldraht gebracht. Nach 5 Tagen ohne medizinische Versorgung und nur mit Wasser und Brot zu essen, hat er aufgegeben und unterschrieben. Man hatte ihm gesagt, dass er dann auch einen Arzt sehen dürfte. Stattdessen haben sie ihm dann zwei Paracetamol gegen die Schmerzen gegeben und ihn zu einem Bahnhof gebracht. Das wars! Er war fassungslos wie dort mit ihm ungegangen wurde. Er hat sich furchtbar geschämt und auch geweint. Das hat mich bewegt, weil die Männer nur sehr selten vor mir als Frau weinen.

Oft machen sich ganze Familien auf den beschwerlichen Weg über Ungarn, um in Deutschland Schutz zu suchen. Gibt es auch Fälle in denen Kinder von der Flucht berichten?

Hanna G.: Ich habe bisher nur Kinder getroffen, die über andere Länder gekommen sind, weil bisher die großen Ströme eher über Polen oder Italien kamen. Aber ich denke, das wird sich jetzt ändern. Ich will mir aber nicht vorstellen, was die Kinder erleben müssen, wenn es schon für die Erwachsenen hochtraumatisch ist. Für Kinder ist es sehr erschütternd zu sehen, wenn Papa, der immer stark ist und alles kann, plötzlich von einem Polizisten verprügelt wird und blutend am Boden liegt. Und das Kind kann nichts tun!

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Bild: CC BY-ND 2.0: Bengin Ahmad

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Was sind die Folgen für die Flüchtlinge, die solche traumatischen Erlebnisse der Flucht mit sich tragen?

Hanna G.: Sie haben hier in Deutschland häufig Angst, z.B. vor Behörden oder vor der Polizei. Dann kriegen sie Panik, haben keine Kontrolle mehr über sich, zittern oder erstarren. Einige Frauen fallen in Ohnmacht. Ein Mann hat mal berichtet, dass er sich vor Angst in die Hosen gemacht hat als die Polizisten nachts an seine Tür klopften, ein Anderer, dass er sich immer hinter einem Baum versteckt, wenn er ein Polizeiauto sieht. Viele haben aber auch generell Angst vor Menschen in Uniform, das kann auch der Bahnschaffner oder Postbote sein. Manche werden auch schneller wütend, selbst bei Kleinigkeiten und sie ertragen keine lauten Geräusche mehr, gerade wenn sie aus Kriegsgebieten kommen oder Opfer von Gewalt geworden sind. Wenn Menschen auf der Flucht, z.B. in Libyen, gefoltert wurden, können sie es nicht mal mehr aushalten wenn Kinder im Spiel laut sind, weil es sie an die Schreie in den Zellen erinnert. Und viele versuchen dann mit der Angst irgendwie umzugehen. Sie trinken dann Alkohol oder nehmen Beruhigungstabletten oder sie gehen nicht mehr gerne alleine aus dem Haus oder ungern dahin wo viele Menschen sind, weil sie sich dann unwohl fühlen. Viele vereinsamen und werden depressiv und einige nehmen sich auch das Leben, weil sie es nicht mehr aushalten.

Wie ergeht es Menschen, die erfahren haben, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sie in das Ersteinreiseland zurückschicken will?

Hanna G.: Wenn es ein Land ist, wo sie auf der Flucht schlimme Dinge erlebt haben, bekommen sie Panik. Einige sagen dann “Wenn ihr mich zurückschickt werde ich mir vorher das Leben nehmen.” Manche drohen nur, aber häufig sind sie wirklich so verzweifelt und verlieren jede Hoffnung oder haben früher schonmal einen Selbstmordversuch unternommen. Darum sind wir dann immer vorsichtig und schicken die Leute lieber direkt zu einem Psychiater oder ins Krankenhaus. Alle sind verunsichert, weil sie nicht wissen, was sie erwartet und ob sie jemals wieder nach Deutschland einreisen dürfen, wenn die Bedingungen im Ersteinreiseland zu schrecklich sind. Gerade Mütter mit kleinen Kindern haben Angst, dass sie dort ihre Kinder nicht ernähren können und auf der Straße schlafen müssen. Und für alle, die Opfer von Gewalt geworden sind, ist schon die Ankündigung retraumatisierend. In einem Fall hat eine Frau deswegen eine Fehlgeburt erlitten, weil sie so unter Schock stand. Sie sollte zurück in ein europäisches Erstaufnahmeland, wo sie auf der Straße vergewaltigt worden war. Und ein Mann ist aus Panik aus dem Fenster gesprungen als die Polizisten ihn abholen wollten. Glücklicherweise hat er überlebt.

Welche Möglichkeiten haben Sie als Psychologin diesen Menschen zu helfen, um mit solchen Erlebnissen umzugehen?

Hanna G.: Als Psychologen sind wir erstmal nur da und hören zu. Wir schenken den Menschen Zeit, geben ihnen Sicherheit. Sie wissen, dass sie bei uns alles erzählen dürfen aber anders als z.B. bei der Asylanhörung werden sie nicht gezwungen und können sich die Zeit lassen, die sie brauchen. Viele wollen aber über ihre Erlebnisse reden, weil sie alles schon viel zu lange mit sich herumtragen. Und wenn sie sich erstmal sicher genug fühlen dann nutzen sie es auch zur emotionalen Entlastung. Dann versuchen wir zu schauen: “Was braucht derjenige?”. Manchmal sind es eher grundlegende Dinge: Wie gehe ich mit dem Stress um? Was kann ich tun, um mich zu entspannen? – solche Sachen. Ich versuche die Leute wieder aufzubauen und versuche ihre frühere Persönlichkeit anzusprechen. Die Leute haben ja viele Ressourcen und Fähigkeiten, sonst hätten sie es wahrscheinlich gar nicht bis zu uns geschafft! Und die versuchen wir wieder zu aktivieren damit sie sich selbst helfen können.

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CC BY-NC 2.0: Michael Gubi

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Sie engagieren sich seit Jahren in der Flüchtlingshilfe und haben unseren Appell für Solidarität mit Flüchtlingen unterzeichnet. Was ist Ihre Botschaft an die Politik? Was müsste sich ändern?

Hanna G.: Je schneller und eher wir alle begreifen, dass die Würde des Menschen ein Menschenrecht ist und ohne Ausnahme gelten muss, desto eher können wir verhindern, dass weitere Menschen das selbe Schicksal erleiden müssen. Dublin ist gescheitert! Solange es keine sinnvolle und menschenrechtlich vertretbare Lösung gibt, erwarte ich, dass Deutschland nicht mehr wegschaut wenn es um die Situation der Flüchtlinge in Ungarn oder anderen Ersteinereisestaaten der EU geht. Ich erwarte, dass die Politik hier schnell handelt und den Menschen hilft, anstatt immer weiter das Asylrecht zu verschärfen und sie dann ihrem Schicksal zu überlassen.

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Autor*innen

Katharina Nocun ist studierte Ökonomin und beschäftigt sich mit den Auswirkungen der technologischen Revolution auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Sie engagiert sich in der digitalen Bürgerrechtsbewegung für eine lebenswerte vernetzte Welt. Sie war 2013 Politische Geschäftsführerin und Themenbeauftragte für Datenschutz der Piratenpartei Deutschland und arbeitete als Referentin und Campaignerin u.a. für den Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV), Campact e.V. und Wikimedia Deutschland e.V.. Katharina Nocun ist Botschafterin für die Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen und Mitglied im Beirat des Whistleblower-Netzwerks und bloggt regelmäßig unter www.kattascha.de. Folge Katharina auf Twitter: @kattascha Alle Beiträge

9 Kommentare

Kommentare sind geschlossen
  1. Eine Familie die jetzt in Cuxhaven berichtet das sie in einer Art Hundekäfig gefangen gehalten wurden, der Vater wurde geschlagen und misshandelt, sie wären lieber tot als noch mal nach Ungarn zurück kehren zu müssen, das hat uns der Flüchtling berichtet als die MdB Abgeordnete Goth bei uns in Cux war.

  2. „Ich will mir aber nicht vorstellen, was die Kinder erleben müssen, wenn es schon für die Erwachsenen hochtraumatisch ist. Für Kinder ist es sehr erschütternd zu sehen, wenn Papa, der immer stark ist und alles kann, plötzlich von einem Polizisten verprügelt wird und blutend am Boden liegt. Und das Kind kann nichts tun!“

    Ja. Dabei muss ich immer an die Millionen jüdischer (und anderer) Kinder denken, die genau das – und noch viel Schlimmeres – im „Dritten Reich“ erleben und durchleiden mussten. Nachdem man ihre Eltern jahrelang gedemütigt und systematisch zugrunde gerichtet hatte (die waren ja völlig verzweifelt vor Angst und Sorge, wie sie ihre Kinder noch ernähren sollten), wurde nach all dem überstandenen Leid dann auch noch die gesamte Familie ermordet. –> daher: Vergessen wir NIEMALS, was Nazis und „Rechte“ alles anrichten können!!!

    Wehret den Anfängen. Und: REFUGEES WELCOME!

  3. „Ich will mir aber nicht vorstellen, was die Kinder erleben müssen, wenn es schon für die Erwachsenen hochtraumatisch ist. Für Kinder ist es sehr erschütternd zu sehen, wenn Papa, der immer stark ist und alles kann, plötzlich von einem Polizisten verprügelt wird und blutend am Boden liegt. Und das Kind kann nichts tun!“

    Ja. Dabei muss ich immer an die Millionen jüdischer und anderer Kinder denken, die genau das – und noch viel Schlimmeres – im „Dritten Reich“ erleben und durchleiden mussten. Nachdem man ihre Eltern jahrelang gedemütigt und systematisch zugrunde gerichtet hatte (die waren meist völlig verzweifelt vor Angst und Sorge, wie sie ihre Kinder noch ernähren sollten), wurde die gesamte dann auch noch Familie ermordet. –> Daher: Vergessen wir NIEMALS, was Nazis und „Rechte“ alles anrichten können!!! Wehret den Anfängen. Und: REFUGEES WELCOME!

  4. Ich bin von Ungarn geflüchtet in 1978. Ich schäme mich für die aktuelle ungarische Regierung. Meine Anerkennung als p.Flüchtling nach der Genfer Konventionen hat damals 5 Jahre gedauert. Solange habe ich kein Arbeitserlaubnis bekommen. Mein Mann war deutschstämmig, das wurde aber auch nicht anerkannt. Immerhin hat er nach 3 Jahren schon arbeiten dürfen. Meine Tochter durfte in dieser Zeit kein Studium in D. anfangen, da wir nur Duldung hatten. Sie ist nach England gegangen, denn dort durfte sie gleich studieren. Sie lebt z.Z. in Südafrika, als Psychologin und Livecouch. Meine Rente reicht nicht zum Leben, da ich viele Jahre nicht arbeiten durfte, dann nach 8 Jahren wurden wir doch plötzlich anerkannt und nach 10 Jahren wurden wir eingebürgert. Jedoch arbeite ich neben meine Rente und ich werde auch die neue Flüchtlinge zu helfen im Rahmen von den Programm namens: „MiMi“ und gelegentlich helfe bei DRK. Mehr kann ich leider im Moment nicht tun. Ich betreue gerne auch ausl. Kinder als TM.

  5. Liebe Katharina Nocun,

    Emotional Freedom Techniques (EFT) und verwandte Methoden könne sehr unkompliziert und erfolgreich zur Stabilisierung ganzen Gruppe – auch ohne Sprache (!)- angewendet werden.

    Als Leiter einer Initiative für Einsatzkräfte (Bundeswehr, Polizei, Rettungsdienst, Notfallseelsorge) bitte Sie herzlich , geben Sie doch an Frau Hanna G. oder auch andere die folgenden Linkhinweise weiter mit der Bitte um Kontaktaufnahme (email wie oben).

    Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir recht unkompliziert und schnell helfen können.

    http://www.selfhelpfortrauma.org/
    https://www.facebook.com/PeacefulHeartNetwork?hc_location=ufi

    Gerne auch mehr im persönlichen Gespräch, Telefonnummer auf Anfrage

    Herzliche Grüsse
    Volker Gross

  6. Ähnliche Verhältnisse habe ich selber kennen gelernt. Viele Jahrzehnte sind inzwischen vergangen und doch sind mir die Erinnerungen geblieben. Ich ahne es, wie die Menschen von ihrem Erleben lebenslang begleitet werden. Mein großer Respekt und mit guten Gedanken möchte ich die Menschen begleiten die heute bereit sind zu helfen. Die Verursacher dieser Vertreibungen dürfen wir nicht entkommen lassen. Bei den Wahlen den Verursachern und Mitverursachern das Vertrauen entziehen. Den Scheinheiligen ihre Masken abnehmen und anklagen. Den Vertriebenen zur Seite stehen und helfen das sie Fuss fassen können.

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