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Zwischen Glück und Horror: mutige Hilfe für Menschen aus Syrien

Der Gestalter unseres bunten Refugee-Welcome-Logos, Martin Keune, hat mit den "Flüchtlingspaten Syrien" eine mutige Initiative ins Leben gerufen: Das Netzwerk hilft syrischen Familien, ihre Angehörige nach Deutschland zu holen. Die Mitglieder schließen sich zusammen und unterzeichnen Verpflichtungserklärungen. Mit dieser Aktion konnten mehr als 70 Menschen aus den Schrecken des syrischen Bürgerkriegs gerettet werden. Martin Keune erklärt dieses bewegende Projekt der Zivilcourage im Interview:

Der Gestalter unseres bunten Refugee-Welcome-Logos, Martin Keune, hat mit den „Flüchtlingspaten Syrien“ eine mutige Initiative ins Leben gerufen: Das Netzwerk hilft syrischen Familien, ihre Angehörige nach Deutschland zu holen. Die Mitglieder schließen sich zusammen und unterzeichnen Verpflichtungserklärungen. Mit dieser Aktion konnten mehr als 70 Menschen aus den Schrecken des syrischen Bürgerkriegs gerettet werden. Martin Keune erklärt dieses bewegende Projekt der Zivilcourage im Interview:

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Teile der Bundesregierung wollen den Familiennachzug für Angehörige von Geflüchteten aus Syrien einschränken oder sogar ganz aussetzen. Mit “Verpflichtungserklärungen” versucht ihr dagegen zu halten – was bedeutet das genau?

Martin Keune: Programme der Bundesländer erlauben Angehörigen syrischer Flüchtlinge, nach Deutschland nachzukommen – wenn sich hier Menschen mit einem Nettogehalt über 2.160,- Euro finden, die eine Verpflichtungserklärung unterschreiben. Mit der übernimmt dann eine Privatperson bis zur Integration das, was sonst der Staat leisten würde – Lebensunterhalt, Mietzahlungen. Krankenkosten sind immerhin ausgenommen.

Mehr als 70 Menschen konnten durch Eure Unterstützung sicher von Syrien nach Deutschland gebracht werden. Wie seid ihr auf die Idee gekommen Flüchtlingshelfer zu werden?

Martin Keune: Meine Frau Tina und ich hatten zwei syrische Flüchtlinge bei uns einquartiert, die uns dann baten, ihnen beim Herholen ihrer alten Eltern zu helfen. Wenn man konkrete Personen kennen lernt, dann sind das ganz plötzlich keine Fremden mehr, sondern einfach Mitmenschen, denen wir helfen wollten. Deshalb haben wir uns mit dem Thema Verpflichtungserklärung beschäftigt und lange überlegt, ob wir das Risiko eingehen wollen.

Mit einer Verpflichtungserklärung geht man die lebenslange Verpflichtung ein, für einen Menschen zu sorgen. Man kann sie nicht widerrufen. Du selbst hast Patenschaften für mehrere Menschen unterzeichnet. Hattest Du keine Angst vor der Verantwortung?

Martin Keune: Doch, jede Menge. Ich will im Alter lieber einfach und „entmaterialisiert“ leben, keine finanziellen Verpflichtungen mehr haben, keine großen Geldumsätze. Die Vorstellung, ein Leben lang für zwei Leute sorgen zu müssen, fand ich belastend. Aber dann habe ich andere Verpflichtungsgeber kennengelernt, und gemeinsam hatten wir die Idee, das als Crowdfunding zu realisieren. Wenn tausend Leute wenig Geld in einen Topf schmeißen und das Leben der Hereingeholten daraus finanzieren – dann sinkt das Risiko der VerpflichtungsgeberInnen beträchtlich. Und wir können viele Leute überzeugen, auch eine Unterschrift zu leisten. Das hat prima geklappt, heute sind 1.600 Menschen mit einer monatlichen Patenschaft ab 10 Euro dabei, und rund 40 haben schon unterschrieben!

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Wie entscheidet Ihr darüber, wer in Euer Programm aufgenommen wird? Gibt es besondere Kriterien die Euch wichtig sind?

Martin Keune: Ja: Die Gefährdungslage; die geografische und die persönliche. Wir holen Menschen nur aus Syrien, nicht aus den Nachbarländern; und wir sehen uns die Orte genau an. Yarmouk, Aleppo oder auch Akl Qamishli sind zur Zeit gefährlicher als Latakia oder die Innenstadt von Damaskus. Und: Frauen sind in der zusätzlichen Gefahr von Verschleppung und Vergewaltigung; junge Männer sind in Rekrutierungsgefahr.

Ihr nutzt eine Lücke im System, die vielen gar nicht bekannt ist – was waren die Reaktionen der Behörden auf die vielen abgegebenen Verpflichtungserklärungen Eurer Paten?

Martin Keune: Die haben gestaunt, dass ein Programm, das oft nicht mal den Migrationsbeauftragten der Parteien bekannt war – die Programme sind Innenministererlasse, keine parlamentarisch beschlossenen Gesetze – so instrumentalisiert und professionell genutzt wurde. Als „Stammkunde“ bei den Ausländerbehörden entwickelt sich unterdessen aber auch eine gute Zusammenarbeit, weil wir durch gute Vorbereitung den Behörden viel Arbeit abnehmen.

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Neben den “Verpflichtungserklärungen” kümmert ihr Euch auch um die Buchung der Flüge, um Unterkünfte, Kleider- und Möbelspenden für Eure Schützlinge und helft Ihnen in Deutschland anzukommen. Gab es Momente, die Dich in deiner Arbeit besonders bewegt und bestärkt haben?

Martin Keune: Ja, immer wieder sind es die Ankünfte am Flughafen, wo eine Familie sich in den Armen liegt und ich einfach überwältigt und glücklich mitweine. Auf der anderen Seite telefonieren wir mit Aleppo und hören die Angst in den Stimmen und im Hintergrund das Donnern der Bombeneinschläge: Horror.
Gestern habe ich eine Familie getroffen, die am Tag vorher angekommen ist, und sie haben uns so eine kleine Intarsien-Holzschachteln als Souvenir mitgebracht – obwohl sie nur den kleinen Koffer dabei hatten, in dem alles drin war, was sie retten konnten. Und: Unterdessen sind die ersten Leute ein halbes Jahr hier, und sie sprechen durch unsere täglichen Sprachkurse schon ganz gut Deutsch. Verrückt und toll, plötzlich eine gemeinsame Basis zu haben und sich endlich richtig kennenlernen zu können!

PS: Die Anschläge von Paris werden von Hardlinern gerne instrumentalisiert. Sie fordern nun umso lauter eine Schließung der Grenzen. Das ist zynisch. Denn damit treffen sie ausgerechnet viele Menschen, die selbst Opfer von IS-Terror ihre Heimat und vielfach auf der Flucht auch das Leben von geliebten Angehörigen verloren haben. Es ist ein Gebot der Menschlichkeit, dass wir ihnen Schutz gewähren. Verweigern wir dies, spielen, wird den Mörderbanden in die Hände und wir zerstören die Fundamente des geeinten Europas.


Zur Person

martin_keune3Martin Keune ist Schriftsteller und – zusammen mit seiner Frau Tina Huchthausen – Chef der Berliner Werbeagentur ZITRUSBLAU, die überwiegend für Kunden aus dem ökologischen und politischen Spektrum arbeitet, u.a. auch für CAMPACT. Keune (56) glaubt daran, dass es gegen jede undemokratische politische Entwicklung einen emanzipatorischen Hebelpunkt gibt – im Internet, den Medien, auf der Straße, – den man nur finden muss. Er ist Vater von drei Söhnen und lebt mit seiner Frau in Berlin und einem Dorf im Westhavelland.

 

Hier geht’s zu den Flüchtlingspaten Syrien

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Autor*innen

Katharina Nocun ist studierte Ökonomin und beschäftigt sich mit den Auswirkungen der technologischen Revolution auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Sie engagiert sich in der digitalen Bürgerrechtsbewegung für eine lebenswerte vernetzte Welt. Sie war 2013 Politische Geschäftsführerin und Themenbeauftragte für Datenschutz der Piratenpartei Deutschland und arbeitete als Referentin und Campaignerin u.a. für den Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV), Campact e.V. und Wikimedia Deutschland e.V.. Katharina Nocun ist Botschafterin für die Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen und Mitglied im Beirat des Whistleblower-Netzwerks und bloggt regelmäßig unter www.kattascha.de. Folge Katharina auf Twitter: @kattascha Alle Beiträge

6 Kommentare

Kommentare sind geschlossen
  1. Hallo! Ich möchte ab und zu ohne Lastschriftverfahren einen Betrag spenden. Ist es möglich, die Bankverbindung per Mail zu bekommen?
    Mit freundlichem Gruß
    Barbara Neumann

  2. Ein beispielhaftes Engagement, dem ich gerne eine Kampagnen-Idee beifügen möchte
    „ONE BILLION EURO take care at home – alive REFUGEES“
    Es braucht One Billion Euro der Staatengemeinschaft, für nachhaltige Flüchtlingssiedlungen mit Alltagsversorgung, Bildung, berufliche Qualifizierung und Entwicklungsperspektiven aller Menschen, bis sie in die demokratisch regulierte Heimat zurückkehren können.
    Ein Appell an Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlaments, diese Hilfe von der Staatengemeinschaft und der Europäischen Kommission zu bewilligen.

  3. Sehr beeindruckendes Engagement !
    Als ich noch jung war, konnte ich, zusammen mit Anderen, einer kurdischen Familie helfen. Es war eine Freude zu sehen, wie sie sich hier eingelebt hat und was inzwischen aus den Kindern geworden ist. Sie hatten es sehr schnell geschafft, für sich selber zu sorgen.
    Inzwischen bin ich vollauf mit der Betreuung meines alzheimerkranken Mannes beschäftigt und kann anderweitig nicht mehr helfen.
    Bin überzeugt, dass die allermeisten Flüchtlinge danach streben, auf eigene Füße zu kommen, wenn man ihnen die Möglichkeit gibt.

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