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„Mir wurde regelrecht schlecht“ – Warum diese Frau die Hartz-IV-Reform stoppen will

Alleinerziehenden Hartz-IV-Empfänger/innen soll Geld gestrichen werden. Die alleinerziehende Mutter Anna-Maria Petri-Satter hat das richtig wütend gemacht - und dazu bewegt eine Petition auf WeAct zu starten. Im Interview erzählt Sie, wie sie diese absurde Reform für Alleinerziehende stoppen will.

Sie leben getrennt und doch wollen sie zusammen ihr Kind erziehen. Alleinerziehenden Hartz-IV-Empfänger/innen soll dafür jetzt Geld gestrichen werden. Ihnen droht eine Kürzung für die Tage, an denen ihre Kinder mit dem anderen Elternteil zusammen sind. Die alleinerziehende Mutter Anna-Maria Petri-Satter hat das richtig wütend gemacht – und dazu bewegt eine Petition auf WeAct zu starten. Im Interview erzählt Sie, wie sie diese absurde Reform für Alleinerziehende stoppen will.

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WeAct Petition keine Hartz-IV Kürzungen für Alleinerziehende

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Sie haben vor einigen Tagen eine Petition auf WeAct gegen die geplanten Kürzungen für alleinerziehende Hartz-IV-Empfänger/innen gestartet. Was hat Sie dazu bewegt?

Anna-Maria Petri-Satter: Ich habe auf Facebook den Zeitungsartikel vom Tagesspiegel zu dem Thema entdeckt. Erst dachte ich, das wäre ein schlechter Scherz. Dann habe ich mir überlegt, wie das für mich gewesen wäre, da ich ja noch nicht lange aus Hartz-IV raus bin, und mir wurde regelrecht schlecht. Vor Wut auf dieses menschenfeindliche System, und der Demütigung die darin steckt. Und mir wurde klar: Die einzige Möglichkeit, daran etwas zu ändern, und nicht an dieser Wut und Ohnmacht krank zu werden, ist, selbst aktiv zu werden und meine Stimme zu erheben.

Was genau sind denn die Pläne des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und was fordern Sie von Andrea Nahles?

Das geplante Gesetz zur “Rechtsvereinfachung SGB II” soll, wie der Name schon sagt, angeblich viele Abläufe in den Jobcentern vereinfachen. Der Teufel steckt jedoch im Detail: Bisher liegt es im Ermessen der Jobcenter, ob sie Alleinerziehenden Geld für die Tage streichen, an denen sie ihren Kindern Umgang mit dem anderen Elternteil ermöglichen. Diese äußerst fragwürdige Praxis soll nun im SGB II fest verankert werden – dann wäre es keine Ermessensfrage mehr. Aus meiner Sicht geht dieser Gesetzesvorschlag allerdings an der Lebensrealität alleinerziehender Eltern völlig vorbei: Die Kosten wie etwa Miete, Einrichtung, Kleidung, Schulsachen, werden ja nicht weniger, nur weil das Kind mal nicht da ist. Die Scheibe Frühstücksbrot und die Tasse Milch weniger am Tag machen schließlich das Kraut nicht fett, sondern die ganz normalen laufenden Kosten. Deswegen ist meine Forderung: Keine Kürzungen des Hartz-IV bei Alleinerziehenden – die Kapazitäten sind dafür in den Familien einfach nicht da. Es geht mir also darum, die gängige Praxis abzuschaffen, statt sie festzuschreiben, wie Frau Nahles es will.

Sie sind selbst alleinerziehende Mutter. Was glauben Sie, wie diese Pläne Ihre Situation verändern würde?

Momentan würden sie meine persönliche Situation zwar nicht unmittelbar betreffen, da ich aktuell kein Hartz-IV beziehe. Aber Hartz-IV ist ein Damoklesschwert, das in Deutschland über jeder alleinerziehenden Mutter und jedem alleinerziehenden Vater hängt. Also mal angenommen, ich würde meinen Job verlieren – und als Alleinerziehende habe ich da wesentlich mehr Risikofaktoren als andere – dann wäre Hartz-IV sofort wieder ein Thema, und das macht mir Angst. Aus meiner Erfahrung ist schon ohne Kürzungen ständig das Geld zu knapp. Mit noch weniger auskommen zu müssen, halte ich für absolut unmöglich, ohne sich immer mehr zu verschulden und irgendwann in tiefe Verzweiflung zu stürzen.

Die Petition hat sich innerhalb kürzester Zeit in den Sozialen Medien verbreitet und mehr als 3.000 Unterschriften aus eigener Kraft gesammelt. Wie haben Sie das geschafft?

Ein paar Unterstützer/innen und ich haben die Petition vor allem auf Facebook geteilt und an die einschlägigen Bloggerinnen und Verbände geschickt: mutterseelenalleinerziehend, Mama arbeitet, und den Verband alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV) e.V., um nur einige zu nennen. Das Entsetzen über die geplanten Gesetzesänderungen waren schon vorher so groß, dass viele froh reagiert haben, dass es nun endlich die Möglichkeit gibt, sich dagegen stark zu machen.

Hat es von Seite der Politik schon Reaktionen auf Ihre Petition gegeben?

Ich habe auf der Facebook-Seite von Frau Nahles gelesen, dass wir ja alles nicht richtig verstanden hätten, weil das ja alles schon vorher so gehandhabt worden wäre. Dies wurde nun auch auf Reaktion unserer Kommentare auf der Facebook-Seite des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales so wiedergegeben. Was dort suggeriert wird, stimmt aber nicht – bisher lag es im Ermessensspielraum der Kommunen. Ich persönlich wurde zum Beispiel nie danach gefragt, wie oft mein Kind bei seinem Vater wäre, und das ist die Erfahrung, die in den Foren einhellig alle Alleinerziehenden bestätigen. Hier wird also versucht abzuwiegeln, ohne dass man sich wirklich mit den Argumenten, geschweige denn der Lebenswirklichkeit Alleinerziehender und ihrer Kinder auseinandersetzen würde. Ich hoffe, dass sich das durch unsere Petition ändert!

Haben Sie schon Ideen, wie es jetzt weitergehen soll?

Ja, wir versuchen online wie offline, bis zum 30. Mai weiterhin Druck aufzubauen. Dann sollen die Unterschriften in Berlin übergeben werden. Bis dahin wollen wir natürlich noch mehr Unterschriften sammeln, und möglichst viele Menschen zu dem Thema sensibilisieren und sie dazu bewegen, Frau Nahles und den anderen Zuständigen ihre Meinung und ihre Bedenken mitzuteilen. Wir wollen uns bemerkbar machen und denen zeigen: Ihr könnt die Würde von Alleinerziehenden und ihren Kindern nicht einfach so verkaufen, ohne dass es irgendwen juckt.

Wenn Sie auf die Ereignisse der letzten Tage blicken: Was hat sich für Sie verändert, seit Sie die Petition gestartet haben?

Ich bin froh, endlich etwas gegen diese Ungerechtigkeiten zu tun. So viele Leute verstehen überhaupt nicht, mit welchen immensen Schwierigkeiten wir Alleinerziehenden jeden einzelnen Tag des Jahres zu kämpfen haben. Dieses Gefühl des „Nicht gesehen werden“ und der Ohnmacht nicht mehr länger runterzuschlucken, sondern mich nun stellvertretend für eineinhalb Millionen Menschen zur Wehr zu setzen, bedeutet mir sehr viel. Jede weitere Unterschrift motiviert mich weiterzumachen.


Alleinerziehende in Deutschland

In Deutschland leben 1,6 Millionen Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern in einem Haushalt. Das heißt jede fünfte Familie ist alleinerziehend, in 90 Prozent der Fälle sind es alleinerziehende Mütter. 70 Prozent der Alleinerziehenden sind erwerbstätig, darunter 45 Prozent in Vollzeit. Dennoch beziehen 39 Prozent aller Alleinerziehenden Hartz-IV, ein Drittel davon sind so genannte „Aufstocker“. Das heißt: Trotz Erwerbstätigkeit reicht das Geld nicht aus, um die Familie zu ernähren, so dass Transferleistungen vom Staat zur Sicherung des Existenzminimus beantragt werden müssen.

Insgesamt leben 2,2 Millionen Kinder in Ein-Eltern-Haushalten – Tendenz steigend. Ein-Eltern-Familien sind die einzige Familienform, die Zuwachsraten verzeichnet. Diese Kinder sind überdurchschnittlich häufig von Armut betroffen: Die Hälfte aller Minderjährigen, die Hartz-IV beziehen, lebt in Alleinerziehenden-Haushalten.

Quellen:


Alleinerziehende startet Petition gegen absurde Hartz-IV-Reform

Anna Petri-Satter ist 33 Jahre alte Musikpädagogin und unterrichtet an einer Schule sowie einer Musikschule. Sie ist selbst alleinerziehende Mutter und lebt mit ihrem achtjährigen Kind in Aachen. Alleinerziehend zu sein und ergänzend zur Arbeit auf Hartz-IV angewiesen zu sein, kennt sie aus eigener Erfahrung.

 

 

WeAct Logo

Diese Petition wurde auf WeAct, der neuen Petitionsplattform von Campact, gestartet. Es ist also keine Kampagne von Campact. Da Campact aber die Ziele der Petition unterstützt, möchten wir Dich auf die Kampagne hinweisen.

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Autor*innen

Simone Katter, Jahrgang 1979, hat Soziologie mit dem Schwerpunkt Entwicklungspolitik studiert und ist ausgebildete Journalistin. Sie hat für das Deutsche Institut für Menschenrechte, Oxfam und zuletzt als Referentin für Online-Kommunikation beim INKOTA-netzwerk gearbeitet. Nach Stationen in Mexiko und Nicaragua lebt die gebürtige Ruhrgebietlerin heute in Berlin. Ob bei der Antifa, Anti-Atombewegung oder attac – gemeinsam mit anderen für Gerechtigkeit zu streiten, das treibt sie an. Bei Campact hat sie die Petitionsplattform WeAct betreut. Alle Beiträge

29 Kommentare

Kommentare sind geschlossen
  1. Ich denke, dass ein wichtiger Faktor gar nicht so richtig zur Kenntnis genommen wurde. Es gibt sicherlich auch eine ganze Menge an Alleinerziehenden, die das geplante Gesetz nutzen würden, um ihrem ungeliebten Exmann/frau die Kinder ganz oder teilweise zu entziehen, sollte er oder sie nicht zahlen oder nicht zahlen können.

  2. Das dürfen wir nicht zulassen stoppt Frau Nales
    sie soll doch mal von Hartz IV mit Kind leben

  3. Kürzungen des Alleinerziehendengeldes verschlechtern erheblich die Lebenssituation der Kinder. Es ist auch zu fragen, ob dem andern Erziehungsberechtigten im Ausgleich Tagessätze zugesprochen werden, insbesondere, wenn dieser auch Hartz IV bezieht. Durch ungerechte Regelungen und weitere Geldkürzungen werden die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern behindert.

  4. Kleinlichkeit bis zum Exzess bei den Ärmsten und Großzügigkeit bis über die Grenzen des rechtlich zulässigen hinaus für die Reichen und Mächtigen. Die SPD muss noch viel tiefer sinken in der Wählergunst, bis sich hier etwas ändert, und es wird Zeit, diese Pseudo-Sozialdemokraten à la Nahles dahin zu schicken, wo sie hingehören: aufs Abstellgleis!

  5. Alleinerziehende brauchen Unterstützung und nicht noch mehr Hindernisse. Wer bewerkstelligt denn die tägliche Volkszählung in den Privathaushalten der Alleinerziehenden, wenn die Oma kommt und das Kind hütet und eine Scheibe Käse mit ißt; wer zählt die Milchportionen, die die Spielkameraden verputzen, wer die Tage, an denen das Kind bei der Nachbarin klingeln darf und dort ein paar Reibekuchen mitessen darf? Gehts noch? Frau Nahles sollte sich schämen, wenn sie überwiegend Frauen in den Rücken fällt. Erziehungsleistungen sollten endlich gesellschaftich angemessen gewürdigt werden und nicht auch noch in ihrer Privatsphäre herum geschnüffelt werden. Familienarbeit gehört unterstützt, auch wenn die Familie getrennt lebt!

  6. Ich bin wieder mal erschüttert; ich habe zwei Kindern alleine „durchgebracht“, mein Sohn lebt noch bei mir.Ich erhalte null Unterhalt vom KV(Kindsvater),der rechnet sich arm. Mein erstes Kind ist von einem anderen Mann, der brav seinen Unterhalt gezahlt hat , deswegen habe ich aber keine Unterstützung vom Ämtern bekommen, da……der Unterhalt meines 1sten Kindes als Familieneinkommen mitgerechnet wurde. Ausserdem zahlt das Jugendamt auch nur für 7 Jahre Unterhaltsvorschuss, das ist immer noch so.
    Ich musste lernen, das ein Kind nach 7 Jahren Vorschuss,kein Geld mehr verbraucht, da es nicht mehr wächst, nicht mehr isst, nicht mehr zur Schule geht usw….Naja, das spart doch auch wenn ein Kind mal ein paar Tage nicht zu Hause ist??? Es geht doch noch immer schlimmer!
    Ich hoffe Ihr findet viele Menschen,die Euch unterstützen.
    Ich mach das gerne.
    lg Silvia

  7. Ich war vor 30 Jahren auch alleinerziehende Mutter. Meine (gottseidank) gut geratenen Kinder arbeiten heute fuer unsere Renten. Und was hatte ich davon? Steuerklasse 1 ! – waehrend gleichgeschlechtliche Partner ohne Kinder vom Ehegattensplitting profitieren… Um es gleich vorwegzunehmen, ich hatte nie etwas gegen gleichgeschlechtliche Beziehungen, aber die Relationen stimmen nicht mehr in Deutschland. Waehrend ich meine Kinder auf meine Kosten zu ihrem Vater in Urlaub nach Mexiko schickte, fiel dem nichts anderes ein, als in der Zeit keinen Unterhalt zu zahlen, weil sie ja jetzt bei ihm essen… Wie schon erwaehnt, hatte sich weder die Miete noch anderes dadurch reduziert, dass die Kinder nicht da waren. Mit solchen Massnahmen erreicht man doch nur, dass das eh schon angespannte Verhaeltnis der EXpartner sich weiter verschlechtert – zum Nachteil der Kinder. Und dann schreit man, dass es in D zu wenig Kinder gibt und dass unsere Renten nur durch Zuzug gesichert werden koennen !?

  8. Sozialkürzungen in der heutigen Zeit, sind nicht faire und menschlich, sind sind einfach nicht in der menschlichen Ebene bedacht worden.
    Ich fordere mehr Entscheidungen für den Menschen und nicht für das System immer.

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