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Dem Leben verpflichtet: Warum Ruben mit der Sea-Watch Menschen im Mittelmeer rettet

Nichts zu tun wäre für ihn unerträglich – warum Ruben Neugebauer mit der Sea-Watch im Mittelmeer um Leben kämpft.

Sie retten Menschen, bergen Leichen, leisten erste Hilfe für Opfer von Folter und Vergewaltigung – die Crew der Sea-Watch. Sie kreuzen als Freiwillige Helfer im Mittelmeer – und retten flüchtende Menschen vor dem Ertrinken. Ihr Einsatz bringe sie immer wieder an ihre eigenen Grenzen, sagt Seenotretter Ruben Neugebauer. Im Interview erzählt er von seinen Einsätzen – und warum Nichtstun für ihn unerträglich wäre.

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Seenotretter Ruben

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Die Sea-Watch rettet seit circa zwei Jahren Menschen in Seenot im Mittelmeer. Warum bist du dabei und was ist deine persönliche Motivation?

Vor einigen Jahren war es in Deutschland gesellschaftlicher Konsens, dass Reisefreiheit ein Grundrecht ist. Ganze CDU Ortsverbände leisteten Fluchthilfe an der Berliner Mauer. Heute baut die EU Zäune um Europa. Obwohl an Europas Grenzen viel mehr Menschen sterben als damals am Eisernen Vorhang, bleibt der große Aufschrei aus. Mit welchem Recht nehmen wir es uns heraus, zu bestimmen, wer kommen darf und wer nicht – schliesslich ist es reiner Zufall, dass ich in Deutschland geboren bin. Wenn ich von späteren Generationen gefragt werde, was ich getan habe, als die EU wissentlich und willentlich viele Tausend auf dem Mittelmeer ertrinken lies, dann möchte ich eine Antwort parat haben.

Warum können die Menschen nicht einfach mit dem Flugzeug kommen oder eine Fährverbindung nutzen?

Fluggesellschaften werden hohe Strafen angedroht, sollten sie Menschen ohne Visa ins Land bringen, falls diese nicht nach nationalem Recht Asyl bekommen. Die Prüfung der Asylanträge wird so faktisch an die Check-in Schalter im Herkunftsland delegiert und dort kommt natürlich quasi niemand durch. Die Europäische Union verweigert Menschen auf der Flucht jeglichen legalen und sicheren Zugang nach Europa.

Wie geht es den Menschen die ihr rettet? Ihr fahrt Einsätze in der Ägäis (Route zwischen Türkei und Griechenland) und vor der libyschen Küste. Über die Situation in Libyen erreichen uns nur wenige Berichte. Was erzählen euch die Geflüchteten an Bord über ihre Zeit in Libyen?

Gleich auf dem ersten Boot, das wir mit der Sea-Watch 1 damals gefunden haben, sagten uns die Leute, sie würden lieber auf See sterben als nach Libyen zurück zu gehen. Seither ist die Situation eher schlimmer geworden. Wir haben oft Folteropfer an Bord und viele Frauen in den Booten sind schwanger, weil sie vergewaltigt wurden. Die EU treibt Schutzsuchende in die Hände krimineller Banden. Libyen ist ein Bürgerkriegsland in dem das Leben Flüchtender wenig zählt.

Das Bild eines Sea-Watch-Helfers mit einem totem Baby auf dem Arm, ging um die Welt. Es hat auch uns sehr berührt. Wie oft kommt es vor, dass ihr bei euren Einsätzen Leichen bergen müsst und wie geht ihr damit um?

Das ist leider trauriger Alltag, während meines letzten Törns waren es zwanzig. Ich erinnere mich an ein Mädchen, höchstens 16 Jahre vielleicht, sie hatte gerade aufgehört zu atmen. Wir haben alles versucht um sie wiederzubeleben aber sie ist dann kurz darauf gestorben. An dem Abend haben wir die Flagge unseres Schiffes auf Halbmast gesetzt, ihr Tod war uns allen recht nahe gegangen, einige haben geweint. Es ist wichtig darüber zu sprechen und wir haben eine Struktur für die psychologische Nachsorge unserer Crews aufgebaut. Dennoch beschäftigen einen solche Situationen sehr – ihr Tod und der vieler anderer ist so unnötig.

Vertreter der EU versichern immer wieder, dass durch den Türkei-Deal und die Frontex Operationen im Mittelmeer weniger Menschen im Mittelmeer sterben. Aktuelle Zahlen von UNHCR belegen aber, dass 2016 das tödlichste Jahr im Mittelmeer war. Mindestens 4.500 Menschen sind auf der Überfahrt nach Europa bisher ums Leben gekommen. Wie passt das zusammen?

Der Türkei-Deal ist ja lange nicht das einzige Drittstaatenabkommen. Es gibt sehr viel mehr davon und die EU schreckt auch nicht vor Deals mit despotischen Regimen auf dem afrikanischen Kontinent zurück, damit diese Flüchtende fern halten. Mit solchen Deals ändert sich jedoch rein gar nichts an den Fluchtursachen. Die Menschen werden so einfach auf noch gefährlichere Routen gezwungen, da passieren natürlich mehr Unglücke. Die Route über das zentrale Mittelmeer ist die tödlichste der Welt. Während auf der Balkanroute viele Flüchtende ohne Schlepper und verhältnismäßig sicher unterwegs waren, werden sie jetzt durch den Türkei-Deal in die Hand krimineller Banden getrieben. Letztendlich sind diese Abkommen ein großes Konjunkturprogramm für die sogenannte Schlepperei, das ist absurd.

Manchen Menschen passt eure Mission nicht und sie behaupten, dass Akteure wie die Sea-Watch erst der Grund dafür sind, dass Flüchtlinge die Fahrt übers Mittelmeer riskieren und dabei sterben. Was sagst du dazu?

Zunächst sehen wir uns da ein bisschen wie die Feuerwehr. Wenn ein Haus brennt, fragt die ja auch erstmal nicht warum das brennt, sondern löscht. Die Alternative zu unserem Einsatz ist ein Straftatbestand: Unterlassene Hilfeleistung. Es gibt im Moment zahlreiche bewaffnete Konflikte im nahen Osten oder auf dem afrikanischen Kontinent, hinzu kommen Folgen kolonialer und postkolonialer Ausbeutung. Dies hat zur Folge, dass derzeit weltweit mehr als 65 Millionen Menschen auf der Flucht sind, die meisten davon in ihren Herkunftsländern. Gerade mal etwa 170 Tausend davon kamen dieses Jahr über die zentrale Mittelmeerroute nach Europa. Ich denke wer glaubt, dass wir mit einem 33 Meter langen, 50 Jahre alten Schiff ein ernsthafter Pull-Faktor wären, der sollte sich dringend mit den globalen Dimensionen von Flucht und Vertreibung auseinandersetzen.

Was muss sich deiner Meinung nach ändern, damit Menschen nicht mehr an Europas Grenzen ertrinken?

Wir brauchen unbedingt eine #safepassage, das bedeutet sichere und legale Einreisewege und zwar für alle Flüchtenden. Auffanglager in den nordafrikanischen Staaten, wie sie gerade von der Bundesregierung vorgeschlagen wurden, sind der falsche Weg. Migration ließ sich noch nie aufhalten, man kann sie nur besser und schlechter gestalten – hier macht Europa gerade keine gute Figur. Geld das jetzt in Zäune und andere Abschottungsmaßnahmen gesteckt wird, sollte man besser dafür einsetzen, ernsthaft an den Fluchtursachen zu arbeiten. Seenotrettung allein kann nie die Lösung sein – auch nicht, wenn wir noch mehr Schiffe werden. Ich erinnere mich an ein Holzboot mit 500 Menschen darauf. Vier Schiffe waren an der Rettung beteiligt, doch unter Deck waren bereits 15 erstickt. Wir müssen aufhören, die Leute auf die Boote zu zwingen. Für diejenigen, die ohnehin schon auf dem Weg sind, brauchen wir Fähren und Flugzeuge.

Was können Menschen tun, um eure Arbeit zu unterstützen? Was braucht es?

Wir sind eine größtenteils ehrenamtliche Organisation, dennoch sind unsere Rettungseinsätze teuer, so ein Schiff schluckt ganz schön viel Diesel, Rettungswesten müssen gekauft werden und 2017 wollen wir ein Flugzeug von Malta aus losschicken, um die Boote schneller zu finden. All das ist ausschliesslich durch Spenden finanziert. Spenden kann man uns unter www.sea-watch.org/2017. Darüber hinaus braucht es dringend mehr politischen Druck – wir müssen uns gemeinsam dafür Einsätzen die Zäune um Europa zu Fall zu bringen.

Danke für das Gespräch!


Aktion in Berlin: Gedenken an Tote im Mittelmeer

Am Donnerstag plant die Sea-Watch Crew eine große Gedenk Kundgebung vor dem Bundestag, um an die tausenden Toten im Mittelmeer zu gedenken. Für alle Berlinerinnen und Berliner gibt es hier mehr Informationen:

Gedenkkundgebung: 4.600 Kerzen gegen das Sterben

Wann  Donnerstag, 15. Dezember 2016, 18 – 20 Uhr

Wo:     Deutscher Bundestag
Platz der Republik 1, 11011 Berlin


Ruben Neugebauer und die Sea-Watch

Ruben NeugebauerRuben Neugebauer ist Mitbegründer der privaten Seenotrettungsorganisation Sea Watch. Er ist nicht nur bei Rettungseinsätzen im Mittelmeer dabei, sondern leitet auch das Kampagnen- und Kommunikationsteam der Sea-Watch. Die Organisation ist Ende 2014 aus einer Initiative von Freiwilligen entstanden, die dem Sterben im Mittelmeer nicht mehr länger tatenlos zusehen konnten. 2016 markiert einen traurigen Höhepunkt: So viele Menschen sind noch nie vor den Küsten Europas ertrunken.

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Autor*innen

Campaignerin- Lara Dovifat, Jahrgang 1990, hat Sozialwissenschaften an der Humboldt Universität Berlin sowie in Russland, Litauen und der Ukraine studiert. Während ihres Studiums war sie u.a bei einer PR Agentur für nachhaltigen Konsum, SumofUs.org, dem ZDF sowie am Institut für Sozialwissenschaften im Bereich Stadtentwicklung und Gentrifizierung tätig. Die letzten Jahre hat sie in der Medikamentenkampagne von Ärzte ohne Grenzen in Berlin und Johannesburg gearbeitet. Darüber hinaus setzt sie sich für Menschenrechte & Pressefreiheit in Osteuropa und Belarus ein. Alle Beiträge

2 Kommentare

Kommentare sind geschlossen
  1. Ganz übel ist ja auch der Fall von Samia Yusuf Omar, die von den Schleppern an den Strand gebracht wurde und damit mit Maschinengewehr mit anderen in eine Nussschale gezwungen wurde und die dann alle starben. Samia hatte ja einen grossen Traum, nochmals an Olympia teilzunehmen. Das olympische Feuer hatte sie in ihrem Herzen und sie hatte das goldene Herzen Afrikas, ein aufrüttelnde Geschichte, die ja Reinhard Kleist in Comic-Form niederschrieb. Möge solche grossen Träume uns alle beflügeln und über alle Hindernisse hinwegfliegen lassen!!!

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