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Dein Smartphone im Niemandsland

Sodom: Das ist die Welt unserer alten Smartphones, Autos, Fernseher. Ihr kennt es nicht? Ihr solltet es kennenlernen. Sodom ist die andere Seite der Konsumwelt.

Filmszene aus Welcome to Sodom Camino Filmverleih GmbH
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Es ist ein postapokalyptisches Szenario: Ziegen mit schmutzigem Fell wandern durch eine Landschaft aus Müll. Erde, Wasser und Luft sind hier nur Erinnerungen: Der Boden besteht aus Elektroschrott, eine trübe Brühe voll giftigem Schlick ersetzt einen Fluss, der Himmel hängt voller schwarzer Rauchschwaden.

So heißt man die Zuschauer in Sodom willkommen. “WELCOME TO SODOM – DEIN SMARTPHONE IST SCHON HIER” heißt der Film, der eindrucksvoll die Zukunft der Dinge zeigt, die wir heute kaufen. Am 2. August kommt er in die deutschen Kinos.

Wohnviertel – und Giftmülldeponie

Europa hat eine Deponie. Sie ist 1600 Hektar groß. Umweltstandards gibt es nicht: Kabel und Elektrogeräte werden verbrannt, um an wertvolle Rohstoffe zu gelangen. Es wäre auch niemand da, der die Standards einhält. Es gibt keinen Arbeitsschutz, keine solide Bezahlung. Kinder arbeiten neben Erwachsenen – inmitten von ungezählten giftigen Chemikalien.

Diese Deponie liegt in Agbogbloshie, einem Stadtteil von Accra, der Hauptstadt Ghanas. Hier nennt man ihn Sodom und Gomorra – oder kurz: Sodom. Sodom ist Wohnviertel und Müllkippe in einem.

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Sodom: Das sind auch wir

Das alles geht uns nichts an? Doch. Die Dokumentation “Welcome to Sodom” macht uns klar: Wir sind hier keine unbeteiligten Zuschauer, die lediglich durch das Schlüsselloch eines Films in eine fremde Welt linsen. Wir alle haben zu Sodoms Entstehung beigetragen – und halten es am Leben.

Filmszene aus Welcome to Sodom Camino Filmverleih

Grüße aus der schwedischen Küche

Monitore, Autos, Kühlschränke, Toaster: Sie gehörten mal uns – Menschen aus Europa. Die Geräte standen zum Teil noch vor wenigen Wochen auf deutschen Schreibtischen, auf französischen Straßen, in schwedischen Küchen. Jetzt sind sie Müll und Teil von Sodom. Zwischen zigtausenden Computergerippen und Plasikteilen leben mehr als 6000 Menschen. Das verrät eine der wenigen Einblendungen von “Welcome to Sodom”.

Bewertende Kommentare aus dem Off spart der Film sich. Die Dokumentarfilmer aus Österreich (Regie: Florian Weigensamer und Christian Krönes) lassen lange Phasen der Ruhe zu – und die Menschen in Sodom selbst sprechen.

Gift essen Seele auf

Was die Menschen zu sagen haben, ist spannend, manchmal ergreifend, vor allem aber erschütternd. “Ich bin 44 Jahre alt und sehe aus wie 60”, sagt eine Frau, die auf der Deponie lebt und Wasser an die Arbeiter verkauft. Die Gifte, die Arbeit, die schlechte Ernährung: All das hat sich tief in ihr Gesicht eingefräst. Ernüchtert setzt sie nach: 

Dieser Ort isst dein Leben sehr schnell auf.

Eine Wasserverkäuferin in Sodom

Die Ausgestoßenen

“Ich lebe auf der Müllkippe, weil es eine Art Niemandsland ist. Menschen kommen und gehen. Alles bewegt sich hier. Niemand stellt zu viele Fragen”, erklärt ein Mann, warum er in Sodom ist. Seine Geschichte: Er kommt aus Gambia, hat dort Medizin studiert. Als Homosexueller hat man ihn ins Gefängnis gesperrt – eine Zeit, über die er nur sagt, dass er sie nie vergessen konnte. Und Grund dafür, dass er sich in Sodom versteckt.

In einem Verschlag aus gesammelten Autoreifen, Decken und Planen. Doch ewig wird er nicht hier sein, ist er sich sicher. “Das ist kein Ort, an dem man lange bleiben kann.”

Müllkippe und Stadtteil: In Sodom haben die Menschen zwischen Autoteilen und Metallschrott nur wenig Platz für sich und ihren Alltag.

Sodom ist nicht Afrika

Sodom ist ein besonderer Fleck – und genau da liegt eine Gefahr des Films. Genauer gesagt ist es eine Verwechslungsgefahr. Sodom ist nicht Ghana. Ghana ist nicht Afrika. Wer nicht über den Rand des Films schaut, könnte das übersehen und in das Stereotyp verfallen: “Dort” gibt es nur Armut, Kinderarbeit und Umweltverschmutzung. Und das wäre falsch.

Ghana ist ein wirtschaftlich bedeutendes Land. Es gibt Universitäten, Nationalparks und einen zunehmenden Wohlstand. Nur sind diese Seiten von Ghana und ganz Afrika nicht Teil des Films.

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Wer ist dieser Junge?

“Welcome to Sodom” führt die Zuschauer entlang vieler einzelner Lebensgeschichten durch die Welt der Deponie. Die Eindrücke sind oft kurz, aber prägen sich ein. Gerade, weil sie unbewertet bleiben. Da ist dieser Junge – er mag vielleicht fünf Jahre alt sein. Wir erfahren von ihm weder wie alt er ist, noch wie er heißt. Er spricht auch nicht. Aber wir schauen ihm beim Arbeiten über die Schulter.

Wir erleben, wie er eine Steckdosenleiste auf einem Stein zerschlägt, dann eher langsam aber professionell Kabel und Kupfer voneinander trennt. Und danach kennen wir ihn ein wenig besser – auf jeden Fall fühlt es sich so an. Man wünscht sich, ihn näher kennenzulernen. Es ist keine direkt traurige Szene. Und auch sonst ist die Doku nicht mitleidheischend. Sie ist mehr als eine lange Brot-für-die-Welt-Werbung.

Der Westen begegnet sich selbst

Ja, wir sehen arbeitende Kinder und resignierte Erwachsene. Aber wir sind auch dabei, wenn eine Gruppe junger Männer auf einem alten Röhrenfernseher einen Kampf schaut. Wir sehen ein Fußballspiel, einen Gruppentanz und hören Musikern zu, die in einem improvisierten Tonstudio einen Song aufnehmen – über das Leben in Sodom.

Ab und zu  begegnen wir uns selbst: Zum Beispiel, wenn zwei Männer begeistert durch die Bildergalerie eines Smartphones stöbern. Der frühere Eigentümer hat seine Fotos offenbar nicht gelöscht. “Sieh dir den weißen Mann an”, sagt der neue Smartphonebesitzer zu einem Freund. “Sie genießen den Strand.”

Besonders fasziniert scheinen sie von den Aufnahmen im Haus: “Guck, die Küche!” Beide sind – aus welchem Grund auch immer – überzeugt: “Das ist bestimmt in New York.”

Tausende Gesichter, tausende Geschichten. Einige davon lernen wir in „Welcome to Sodom“ näher kennen.

Zwischen „bankrott“ und „Bar“

Deutschland hat auch einen kurzen Auftritt. Ein Deutsch-Englisch-Wörterbuch hat es bis auf die Müllkippe geschafft – und findet wie so vieles hier einen neuen Besitzer. “Bankkonto – bank account” liest ein Mann aus dem Langenscheidt vor – und arbeitet sich von “bankrott” zu “Bar” vor.

Seine Kollege sitzt neben ihm, aber scheint kaum zuzuhören. Er wäscht sich den Ruß und Schlamm des Tages von den Füßen – ein schwerer Job, wenn Wasser Mangelware ist.

Keine Antwort

Und jetzt? Das ist die Frage, die man sich früher oder später stellt, wenn man “Welcome to Sodom” schaut. Der Film selbst gibt keine einfache Antwort. Auch keine komplizierte. Er konfrontiert uns mit einer Realität, die wir alle mit zu verantworten haben. Nach der Vorstellung kennen wir die Zukunft unserer Konsumgüter – was wir mit diesem Wissen machen, müssen wir selbst herausfinden.

Weitere Infos zum Film “Welcome to Sodom” sowie den Trailer gibt es hier. 

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Autor*innen

Tina Hayessen ist Journalistin und arbeitet seit 2017 als Online-Redakteurin bei Campact. Schon als Kind hat sie gerne Worte so aneinandergereiht, dass sie gut klingen und sich im Idealfall reimen. Im Blog verbindet sie ihr politisches Interesse mit Poesie. Alle Beiträge

8 Kommentare

Kommentare sind geschlossen
  1. Wie kann das sein? Wir zahlen für die Müllabfuhr, alte Elektrogeräte bringe ich zur Wertstoff-Sammelstelle. Der Handel von mit Elektroschrott ist Illegal. Wie gelangt mein altes Smartphone auf diese Art und Weise nach Afrika? Ich finde das schrecklich. Das muss man doch unterbinden können, bzw. man muss doch eine saubere Lösung für die Entsorgung von Elektroschrott finden können.

  2. Danke für den Tipp, der Beitrag ist gut geschrieben. Ich werde mir „Welcome to Sodom“ ansehen. Ist interessant den Kontrast zu sehen, wie man in der westlichen Welt lebt. Vielleicht lernen wir etwas daraus und sehen auch was wir anders machen können.

    • Die Frage ist jedoch, was wir ändern können. Und wenn wir annehmen das wir es ändern, was wird mit dieser Region werden? Wie würden die sich verändern. Es währe interessant zu sehen ob es Beispiel gibt aus der Vergangenheit, wo Identisches passiert ist und diese Regionen nicht mehr Zugang zu diesen wahren haben.

  3. Es muß ja immer das neuste Smartpohn sein wen die Hersteller
    die neusten Geräte auf dem Markt bringen an statt das alte Gerät
    zu benutzen,wen man ein kaputtes Smartpohn zum reperieren
    bringt will der Verkäufer gleich ein neues verkaufen weil er
    der Meinug ist das eine Reperratur zu teuer werde
    ich bin der Meinug das die Hersteller da zu per Gesetz zu
    einer nachhaltigen Produktion gezwugen werden und die
    EU muß den Mülturismus stoppen da mit in Afrika keine
    Menschen mehr für ein Hungerlohn schuften müssen
    und ihre Gesundheit gefährden.

  4. Ich muß nicht immer das neuste Smartphon haben nur wen
    man das Smartphon zum repperiren geben will sagen sie das
    es sich nicht lohnt,da es zu teuer were und wollen gleich ein
    neues verkaufen die EU muß den Müll export stoppen es muß
    nachhaltig produzirt werden,und Müll vermieden werden nicht
    nur wir wollen eine saubere Umwelt die Afrikaner auch.

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