Koalitionsvertrag: Der Klima-Check
„Mehr Fortschritt wagen”: Damit hat die Ampel aus SPD, Grünen und FDP ihren Koalitionsvertrag überschrieben. Doch wie viel Fortschritt wagt sie beim Klimaschutz – für den diese Regierung so entscheidend ist? Campact-Vorstand Christoph Bautz hat die 177 Seiten des Vertrags gewälzt. Lies hier seine Analyse!
Was hat das alles fürs Klima gebracht – Hunderttausende auf der Straße, Millionen Türhänger an Deutschlands Haustüren, unser Trommeln auf allen Kanälen für die Klimawahl? Seit dem 24. November wissen wir mehr: Der Koalitionsvertrag der Ampel steht – und das Klima hat nach Jahren des Stillstands endlich zentrale Priorität. Das ist ein riesiger Erfolg für uns alle.
Ist damit alles paletti beim Klimaschutz? Mitnichten. Denn die Ampel-Koalition verfehlt ihren eigenen Anspruch, Deutschland auf den 1,5-Grad-Pfad des Pariser Klimaabkommens zu führen. Überall stand die FDP auf der Bremse – und häufig auch die SPD. Dabei haben beide im Wahlkampf noch selbst eine 1,5-Grad-Politik versprochen. Wenn es nächstes Jahr um die Umsetzung der Gesetzesvorhaben geht, kann und muss die Ampel hier noch massiv nachbessern. Wir werden alles dafür tun.
Die Analyse
In den einzelnen Bereichen – Energie, Verkehr, Agrar und Wärme – sind die Fortschritte höchst unterschiedlich verteilt. Teilweise sind sehr konkrete Maßnahmen formuliert; teilweise gute Ziele, aber ohne die nötigen Schritte, um sie zu erreichen. Und an vielen Stellen klaffen große Leerstellen. Wir haben den 177 Seiten starken Vertrag analysiert. Wo ist etwas für den Klimaschutz erreicht – und wo müssen wir in den nächsten vier Jahren gemeinsam für mehr streiten?
Energiesektor: Der größte Erfolg
Dieser Doppelerfolg für das Klima sticht aus dem Koalitionsvertrag heraus: der Kohleausstieg 2030 und der massive Ausbau der erneuerbaren Energien. Acht Jahre früher soll Deutschland aus der Kohle raus. Gleichzeitig soll der Anteil der erneuerbaren Energien am Gesamtverbrauch bis 2030 auf 80 Prozent steigen. Besonders wertvoll wird diese Zahl dadurch, dass auch ein wesentlich höherer Gesamtstrombedarf angenommen wird. Der entsteht vor allem durch 15 Millionen neue Elektroautos, die 2030 auf unseren Straßen fahren sollen und Millionen neuer Wärmepumpen für Gebäude.
Das alles zusammen genommen ist ein riesiger Erfolg für uns alle. Für Fridays for Future und die Hunderttausenden auf den Straßen, für die Aktivist*innen im Hambacher Wald, für die Menschen in den Dörfern im Rheinland und der Lausitz, die von den Kohlebaggern bedroht sind. Unser jahrelange Protest hat sich gelohnt – und gewirkt!
Verkehr: Es ändert sich wenig
Sehr dünn fällt die Bilanz für den Klimaschutz im Verkehrssektor aus. Er ist für 20 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich und diese wurden in den letzten 30 Jahren überhaupt nicht gesenkt. Die Ampel-Koalition beschränkt sich bei diesem Thema vor allem auf eine Antriebswende: 15 Millionen E-Autos sollen bis 2030 auf den Straßen unterwegs sein und das Ende des Verbrennermotors Anfang der 2030er Jahre einläuten. Das ist ambitioniert – doch wie das konkret erreicht werden soll, bleibt völlig offen.
Was es neben einer Antriebswende braucht: Eine grundlegende Verkehrswende, weg vom Auto, hin zu Fahrrad, Bus und Bahn. Und genau diese blockierten die Autoparteien SPD und FDP in den Verhandlungen. Deshalb schreckt die Ampel vor allem, was die Verkehrswende wirklich stärken würde, zurück: Weder soll der CO2-Preis mehr als geplant steigen noch werden klimaschädliche Subventionen wie das Diesel-Privileg oder die Pendlerpauschale abgebaut.
Da passt ins Bild, dass die Grünen unverständlicherweise das Verkehrsministerium der FDP überlassen haben. Volker Wissing wird sich nur bewegen, wenn wir ihn als Bürger*innen mit breitem Protest dazu antreiben. Ganz konkret etwa bei einem sehr wichtigen Vorhaben der Ampel: Alle neuen Straßenbau-Projekte im Bundesverkehrswegeplan sollen auf den Prüfstand.
Agrar: Hier könnte was gehen
Unter der GroKo blockierte der Konflikt zwischen Umwelt- und Agrarministerium jeden Fortschritt hin zu einer Agrarwende, die dem Klima und der Artenvielfalt dient. Dies könnte sich jetzt ändern. Beide Ministerien sind in der Hand der Grünen und der Koalitionsvertrag enthält etliche Fortschritte.
So plant die Ampel, den Anteil des Ökolandbaus in der Landwirtschaft von derzeit 10 auf 30 Prozent bis 2030 zu erhöhen. Die Agrarsubventionen der EU will sie stärker an ökologische Auflage binden. Der Standard in der Tierhaltung soll für uns Verbraucher*innen auf Produkten klar gekennzeichnet werden. Wichtig ist zudem, dass der Umfang der Tierbestände von Landwirt*innen an die Größe ihrer Ländereien gebunden wird – das erschwert die Massentierhaltung.
Doch ähnlich wie beim Verkehr – es gibt keine tiefgreifende Veränderung. Die nötige, grundlegende Agrarwende fehlt: Weg von der bisherigen Orientierung am Weltmarkt, wo unsere Landwirt*innen zu Dumpingpreisen konkurrieren. Und hin zu einer Landwirtschaft, die gutes Essen zu fairen Preisen klimagerecht für die Region erzeugt. Genau hierfür wollen wir bereits am 22. Januar bei der “Wir haben es satt”-Demo in Berlin zusammen mit Verbraucher*innen und Bäuer*innen protestieren – soweit es die Corona-Lage zulässt.
Bauen: Erste Ansätze
16 Prozent der CO2-Emissionen entstehen im Gebäudebereich. Doch bisher werden jährlich nur 1 Prozent des Gebäudebestands energetisch saniert. In 2020 wurden sogar 600.000 neue Gasheizungen eingebaut – ein großes Problem für den Klimaschutz. Die Ampel will hier etwas ändern: Jede neue Heizung soll auf der Basis von 65 Prozent Erneuerbaren betrieben werden – de facto das Aus für Gas- und Ölheizungen. Leider greift dies erst ab 2025. Auch die Standards für die energetische Sanierung von Gebäuden sollen strenger werden.
400.000 neue Wohnungen will die Ampel pro Jahr bauen lassen. Allerdings anscheinend weiter mit Stahl, Beton und Styropor – die erzeugen schon bei der Herstellung so viel CO2, wie das Gebäude im Betrieb sein ganzes Leben lang ausstößt. Ökologische Baustoffe werden kaum berücksichtigt. Wichtig ist, dass der CO2-Preis künftig nicht mehr alleine von Mieter*innen, sondern auch von den Vermieter*innen getragen werden soll. Doch an die sozial gerechte Erhöhung des CO2-Preises traut sich die Ampel nicht heran.
Fazit: Was fehlt
Insgesamt bleibt festzuhalten: Die Pläne der Ampel sind weder von den Zielen noch von den konkreten Maßnahmen her ehrgeizig genug. Das für den 1,5-Grad-Pfad viel zu niedrige Klimaziel der GroKo von minus 65 Prozent CO2-Emissionen bis 2030 (im Vergleich zu 1990) wird nicht angehoben. Hier wäre mindestens minus 70 Prozent nötig. Und der Koalitionsvertrag weist nicht den richtigen Mix an Maßnahmen auf.
Überall wo mit neuen Technologien Klimaschutz vorangebracht werden kann, ist die Koalition ambitioniert. Windräder und Solarzellen aufstellen, Autos auf Elektroantrieb umstellen, Gebäude dämmen. So richtig diese Schritte sind – sie alleine reichen nicht, um die Klimakrise zu lösen. Dazu braucht auch dieses: weniger. Weniger Autos, weniger Flugverkehr und weniger Fleischkonsum.
Fast alle Mittel, die wir hierfür benötigen, haben SPD und FDP verhindert. Den derzeit völlig unwirksamen CO2-Preis von aktuell 25 Euro will die Ampel nicht mehr als geplant erhöhen – obwohl die Grünen im Wahlkampf hier noch 60 Euro versprochen hatten. Damit entfällt ein zentrales Lenkungsinstrument für eine Mobilitäts- und Wärmewende komplett aus. Ordnungspolitik und klare Regeln – im Wahlkampf von SPD und FDP als Verbote diskreditiert – sind kaum zu finden. Und an die Milliarden klimaschädlicher Subventionen trauen sich die Koalitionär*innen fast nirgendwo heran.
Klimabewegung: Was jetzt ansteht
Was heißt das für uns und die gesamte Klimabewegung? Zum einen: Wir müssen auch mit einer Ampel-Regierung weiter für grundlegenden Wandel streiten. Zum zentralen Feld der Auseinandersetzung wird hier die Verkehrspolitik. Überall im Land sollen weiter Autobahnen und Fernstraßen gebaut werden. Doch an vielen Orten wächst der Widerstand – lokale Bürgerinitiativen und Klimaaktivist*innen kämpfen gemeinsam. Gleichzeitig wird in vielen Städten darum gerungen, wie viel Platz das Auto noch beanspruchen kann und wo öffentlicher Raum für Spielstraßen, Fahrrad, Bus und Bahn umverteilt wird.
Zum anderen wird sehr viel an der konkreten Ausgestaltung der beschlossenen Klimaschutz-Maßnahmen hängen. Und über diese entscheidet die Ampel in den nächsten 12 Monaten. 2022 wird das Jahr der Umsetzung. Wie schnell und mit welchen Instrumenten der Kohleausstieg kommt, wie grundlegend der Bundesverkehrswegeplan neu gestaltet wird, wie genau der Ausbau der Erneuerbaren vorangebracht wird: All das entscheidet sich nächstes Jahr. Die Wirtschaftslobbies der fossilen Industrien werden alles dafür tun, um die Details zu verwässern. Das müssen wir verhindern – und umgekehrt dafür sorgen, dass wichtige Stellschrauben weiter gedreht werden als bisher vorgesehen.
Dieser Koalitionsvertrag zeigt, wie viel wir gemeinsam als Bürgerbewegung erreichen können. Und gleichzeitig, wie viel es noch zu tun gibt. Streite auch Du mit uns für konsequenten Klimaschutz. Die Bedingungen dafür sind unter einer Ampel-Regierung besser denn je.
PS: Der Koalitionsvertrag dreht sich natürlich nicht nur ums Klima. Doch auch insgesamt fällt unsere Bilanz gemischt aus. Gesellschaftspolitisch kommen mit der Ampel riesige Fortschritte, die jahrelang von CDU/CSU verhindert wurden. Auch sozialpolitisch setzt die neue Regierung progressive Akzente – etwa beim Mindestlohn und der Kindergrundsicherung. Einen schweren Stand haben hingegen Transferhilfe-Empfänger*innen. Und ein Totalausfall: Die Verteilungsgerechtigkeit, der FDP sei Dank. Für uns als Bürgerbewegung bleibt also auch unter der Ampel viel zu tun!
Wieso wird die Pendlerpauschale immer als klimaschädliche Subvention bezeichnet? Da es eine Pauschale ist, kann man sie beanspruchen, egal wie man zur Arbeit kommt, ob zu Fuß, mit der Bahn oder per Anhalter oder Mitfahrer. Daher fördert sie nicht die Benutzung des eigenen PKW. Man kann die Abschaffung der Pauschale ja durchaus politisch diskutieren, aber die Bezeichnung als Subvention ist einfach falsch. Die Möglichkeit zur Nutzung der Pendlerpauschale steht mit Sicherheit ganz hinten bei der Wahl des Wohnorts. Viel wichtiger sind doch: Der Partner arbeitet in der entgegengesetzten Richtung, die Mieten in der Stadt sind zu teuer, die Eltern brauchen Unterstützung oder die Freunde wohnen in der Nähe. Leider hat auch Campact den Sinn der Pauschale nicht verstanden, eine Bitte um Erläuterung der Position blieb nach drei Wochen noch unbeantwortet.