AfD Rechtsextremismus
Heißer Herbst, kalter Winter
Gehen extreme Rechte und Linke im „heißen Herbst“ gemeinsam auf die Straße? Passiert ist das kürzlich – allerdings in kleinem Rahmen. Offizielle Vorschläge zur Zusammenarbeit gibt es nicht. Und es sieht auch nicht so aus, als würden sie kommen.
Die ersten Proteste fanden schon vor dem offiziellen Herbstbeginn statt. Seit Wochen warnen Polizei- und Verfassungsschutzstrukturen vor einem „heißen Herbst“ wegen der Folgen des Krieges in der Ukraine. Eine explosive Stimmung könnte auf die explodierenden Preise folgen, befürchten auch Medien und Politik. Verschiedenste Organisator*innen haben bereits Demonstrationen gegen die steigenden Lebensmittel- und Energiekosten ausgerichtet. In Hamburg, Leipzig, Chemnitz, Dresden, Halle oder Neubrandenburg protestierten tausende Menschen mit unterschiedlichem Motto „Jetzt reicht‘s – Wir frieren nicht für Profite“, „Insolvenzen verhindern“, „Genug ist genug – Entlastung jetzt“ oder „Stoppt den Raub – Steuern runter“. Der mediale Sound scheint einhellig: Die Rechte und die Linke gehen auf die Straße. Eine Querfront von Rechten und Linken bahne sich an.
Die Frontverläufe der letzten Demonstrationen sind aber nicht ganz so verlaufen. Quer durch offiziell Verantwortliche lief kein Links mit Rechts oder Rechts mit Links. In Leipzig versuchte die rechtsextreme Bewegung „Freie Sachsen“ mit einer Demonstrationsankündigung zu suggerieren, dass Gregor Gysi von der Linken auch mit Jürgen Elsässer vom rechtsextremen „Compact-Magazin“ als Redner auftreten würde. Die Ankündigung ging viral. Am Tag nach den getrennten Kundgebungen von die Linke und Freie Sachsen in der sächsischen Stadt präsentierte das Morgenmagazin dennoch die suggestive Ankündigung, die längst als Fake ausgemacht war.
Linke und NPD gemeinsam in Brandenburg an der Havel
Allerdings demonstrierten am vergangenen Samstag Kommunalpolitiker der Linken mit Anhänger*innen der „Alternative für Deutschland“ (AfD), Querdenkenden und der „Nationaldemokratische Partei Deutschland“ (NPD.) Das „Bündnis für Frieden“ hatte zu dem Protest in Brandenburg an der Havel aufgerufen. Die Anmeldung übernahm ein Kreisvorstandsmitglied der Linken in Potsdam-Mittelmark, unterstützt von einem Co-Fraktionsvorsitzenden der Linken in der Stadtverordnetenversammlung Brandenburg an der Havel. Die Netzwerke „Oberhavel steht auf“ und „Falkensee zeigt Gesicht“ waren nicht die einzigen aus dem rechten Querdenken-Milieu, die mobilisierten. An die 1200 Demonstrierenden kamen in der brandenburgischen Stadt zusammen. Aufnahmen von „Pressefuchs“ bei Twitter belegen, dass die Rechtsextremen mit Reichsfahnen oder Schilderbotschaften wie „Stopp die Zuwanderung von Sozialschmarotzern“ offen auftraten. Weder im Vorfeld, noch bei Verlauf wurde in der Öffentlichkeit bekannt, dass die Organisator*innen eine Grenze nach rechts zogen.
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Der Verlauf des 17. Septembers in Brandenburg an der Havel dürfte Elsässer freuen. Auf dem Titel der aktuellen Ausgabe des von ihm verantworteten „Compact-Magazin für Souveränität“ prangt in roten Lettern „Heißer Herbst“. Eine Mistgabel, ein Stinkefinger und zwei Fäusten drohen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Im Editorial wiederholt Elsässer, was er schon lange herbeisehnt: eine „Querfront“ gegen die „Obrigkeit“, die entstünde, wenn „rote Sozialisten, blaue Patrioten und bunte Querdenker durcheinanderlaufen“. Im Artikel „Heißer Herbst“ hebt er hervor, dass die „Angst der Regierung vor dem Volk“ berechtigt sei und macht eine „Querfront im Wartestand“ aus.
Im Kontext der Krise in Deutschland wegen des Kriegs in der Ukraine hofft auch Götz Kubitsckek auf einen „Aufstand“, der „unumgänglich“ sei. Mehr noch, so der Mitbegründer des neu-rechten „Instituts für Staatspolitik“ (IfS): Die Widerstandsgeflechte, zu dem er das IfS zählt, sollten dafür sorgen, dass „die Proteste nachhaltig, unversöhnlich und grundsätzlich werden“. Von einer Querfront schreibt Kubitschek auf dem vom ihm verantworteten Portal „Sezession.net“ am 24. August nichts. Schon 2017 legte der Sezession-Autor Benedikt Kaiser allerdings den schmalen Band „Querfront“ vor, erschienen im Antaios Verlag, den Kubitschek führt. Das Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet den Verlag als Verdachtsfall für Rechtsextremismus, das „Compact-Magazin“ hat das Amt als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft.
Die Idee der Querfront ist virulent, hat eine lange Tradition – und kommt nicht aus dem linken Spektrum. Nach der Gründung der Weimarer Republik 1918 überlegten Herren aus der „Konservativen Revolution“ (KR), den Sozialismus vom Marxismus zu lösen, um eine nationale Volksgemeinschaft, preußischen Sozialismus oder proletarischen Nationalismus entwickeln zu können. Die KV war von 1918 bis 1932 ein reiner Männerverein mit radikal-antidemokratischen Positionen und antiliberalen Ressentiments. Drei der Herren – Oswald Spengler („Preußentum und Sozialismus“, 1920), Arthur Moeller van den Bruck „(Das dritte Reich“, 1923) und Ernst Niekisch (Artikel in „Widerstand. Zeitschrift für nationalrevolutionäre Politik“ – forcierten in diesem heterogenen Kreis vermeintlich revolutionäre Positionen, die damals auch ein Weg aus dem Westen und ein Hin zum Osten bedeuteten. Raus aus der westlichen Aufklärung und rein in die deutsch-russische Mystik.
Goebbels und Ulbricht Seit an Seit
Eine organisatorische Querfront strebte der letzte Reichskanzler, General Kurt von Schleicher, mit der Reichswehr und dem Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsverbund an, sowie mit rechtsgerichteten Sozialdemokraten und linksausschlagenden Nationalsozialisten, um seine Macht zu sichern. Bereits bei dieser Querfrontüberlegung sind die linken Ideale von Solidarität und Internationalismus verloren gegangen. 1932 erfolgte bei einem Bahnstreik in Berlin ein Zusammenwirken von KPD und NSDAP, der Berliner KPD-Vorsitzende Walter Ulbricht und der Berliner NSDAP-Gauleiter Joseph Goebbels organisierten den Protest – obwohl sich die Parteien längst untereinander Saal- und Straßenschlachten lieferten. Taktische Überlegen vor der Reichswahl 1932 waren mitentscheidend.
Diese punktuelle Allianz änderte nichts an Goebbels Einstellungen. In seinem Tagebuch notierte er nach dem Streik und der Wahl: „Jetzt müssen wir an die Macht und den Marxismus ausrotten. So oder so!“. Die nationalsozialistische Bewegung übernahm nicht bloß im Namen einem sinnentfremdeten Begriff aus der proletarischen Bewegung. Ihre Kapitalkritik begrenzte sich auf die Trennung von raffendem und schaffendem Kapital und eröffnete damit einen eliminatorischen Antisemitismus.
Nach 1945 versuchten Rechtsextreme auch mit nationalrevolutionären Positionen – einem dritten Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus – linke Bewegungen anzusprechen. Sie suchten erst die Nähe zur Studenten- und später zur Friedens-und Ökologie-Bewegung. Um 2002 griffen sie verstärkt Codes und Styles der autonomen Szene auf. Eine „rechte Diskurspiraterie“ nennen die Expert*innen Regina Wamper, Helmut Kellershohn und Martin Dietzsch diesen Trend. Sie weisen aber auch auf etwas anders hin: Themen sind Themen. Sie als Rechte oder Linke aufzugreifen, wenn schon Rechte oder Linke sie thematisieren, macht noch keine Querfront. Selbst wenn Personen von links kommen und nach rechts gehen.
Einer, der das selbst weiß, ist nach rechts gegangen: Elsässer. Er kommt vom Kommunistischen Bund, schrieb lange für viele linke Publikationen. 2009 gründete er die „Volksinitiative gegen das Finanzkapital“, der Linken hielt er allgemein vor, sich nicht mehr um die einfachen, arbeitenden Leute zu kümmern. Die NPD begrüßte die Initiative, Elsässers Distanz zur Linken forcierte sich. Die Querfrontidee sollte anfänglich auch das „Compact“-Blatt ausmachen, deutet Andreas Abu Bakr Rieger 2016 in der taz an. 2009 hatte er Elsässer für die„Islamische Zeitung“ interviewt, danach saßen sie zusammen. „Wir waren uns einig: Es gibt zu wenige Magazine, die unterschiedliche Positionen vereinen“, berichte Rieger. Die Idee für „Compact“ war entstanden.
Unser Autor Andreas Speit schreibt unter anderem für das Fachmagazin „Der rechte Rand“ und die taz
Schon zu Beginn hätte er die „Titelbilder zum Kotzen“ gefunden, sagt Rieger, der 2014 das Magazin verließ. Die Bilder lockten keine Linke. Elsässer sei der Revolutionäre von einst geblieben, meint Volkmar Wölk. Der Rechtsextremismus-Experte kennt ihn von früher persönlich, er habe aber „sein revolutionäres Subjekt ausgetauscht. An die Stelle des Proletariats ist die Nation getreten“. Und Deutschland – das einfache Volk, die schweigende Mehrheit – werde zur proletarischen Nation verklärt.
Björn Höcke schwärmt von Sahra Wagenknecht
Das Magazin mit seinen Veranstaltungen und Online-TV-Angeboten scheut sich auch nicht, linke Proteste so darzustellen, als wenn sie sich bei den rechten Protesten einordnen würden. In der aktuellen Ausgabe ist eine Grafik namens „Brennpunkte des Protestes“, bezogen auf die Folgen des Krieges. Auf einer Deutschlandkarte sind die Brennpunkte markiert – dabei symbolisiert die rote Faust linken Protest, eine blaue Faust rechten Protest.
Von Links nach Rechts wanderten nach 1945 wenige bekannte Linke. Über die Kategorie Volk fand auch Horst Mahler neue Freunde – weit rechts in der politischen Landschaft, wo zusammen auch der Holocaust relativiert wird. Das gegenwärtige Querfrontangebot von rechts ist auch der momentanen Ambivalenz in der Linken geschuldet. Die Positionen der Bundestagsabgeordneten der Linken, Sahra Wagenknecht, offenbaren den Konflikt. Hier sehen Teilen der AfD die Querfront kommen. Auch ein Björn Höcke schwärmt von Wagenknecht.
Ein offenes Bündnisangebot der Linken an Organisation von rechts erfolgte bisher aber nicht. Die Querfront suchte bisher nur die Rechte. In Brandenburg an der Havel gab es jedoch keine Grenzmarkierung. Im Diskurs klingt öfters die Hoffnung an, mit linken Protestangeboten rechte Wähler*innen zum Umdenken bewegen zu können. War das am 17. September die Motivation? Dann ist der Ansatz gescheitert. Die AfD in Sachsen-Anhalt sucht keine Querfront. Über zwanzig Kundgebungen listet sie auf – mit dabei eine rechtsextreme Gruppe.
In seinem Blatt zeigt Elsässer im Artikel eigentlich die Grenze des Quergehens auf, wenn er ausführt, dass der Staat die gesamten Miet- und Heizkosten bei „Asylanten, Hartzern“ übernehme und anmerkt, dass „etwa 2,6 Millionen sogenannte Flüchtlinge“ hier leben und „drei der knapp vier Millionen Hartzer (…) ebenfalls Ausländer“ seien. Er resümiert: „Alleine diese Ungleichheit birgt schon sozialen Sprengstoff mit ethnischer Zündschnur“.
Lies auch: Wärmestrom von AfD-Experte Andreas Kemper
In der medialen Berichterstattung werden die Differenzen des Protestes zwischen Linken und Rechten kaum aufgegriffen. Nuancen gehen verloren – das könnte auch zur Delegitimierung von sozialem Protest führen. Jedoch haben gerade die Proteste gegen die staatlichen Pandemiemaßnahmen den dünnen Firnis der Solidarität und Empathie der bürgerlichen Mitte offenbart. Eine rohe Bürgerlichkeit, die weiter auftreten könnte, wenn die Belastungen durch den Krieg noch mehr spürbare Belastungen werden.