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Was Malte und Cristina eint

Malte C., totgeschlagen beim CSD in Münster. Cristina Kirchner, beinahe erschossen in Argentinien. Leicht entsteht der Eindruck: "Einzelfälle" ohne Struktur. Doch das stimmt nicht. Strukturelle Homophobie und Anti-Feminismus wirken mit.

Kerzen und Karten sind in Münster aufgestellt, um an den auf dem CSD ermordeten trans Mann Malte zu erinnern. Homophopie und Antifeminismus toeten
Trauer um Malte. Quelle: IMAGO

Zwei Meldungen tauchten in der letzten Woche am Rande der Nachrichten auf: Beim Christopher Street Day in Münster beleidigt ein Mann zwei lesbische Frauen. Dann geht jemand dazwischen: Malte, ein trans Mann. Er versucht zu vermitteln, wird daraufhin ebenfalls beleidigt und niedergeschlagen. Malte geht zu Boden und prallt mit dem Kopf auf den Asphalt. Fünf Tage später verstirbt er im Krankenhaus an den Hirnblutungen.

Am selben Tag auf der anderen Seite der Erde: Als die argentinische Vize-Präsidentin Cristina Kirchner am 2. September nach Hause kommt, erwarten sie Unterstützer*innen vor ihrem Haus. Aus der Menge hebt sich plötzlich eine Hand mit einer Pistole, die direkt auf ihren Kopf gerichtet ist. Ein junger Mann drückt ab, doch wie durch ein Wunder – ein technischer Defekt, wie sich später herausstellt – löst sich kein Schuss. Cristina Kirchner überlebt den Mordversuch.

In großen Zeitungen und Medienportalen in Deutschland waren beide Nachrichten gerade einmal Randnotizen, behandelt als einzelne Tragödien. Im Fall von Cristina Kirchner ein Fall von großem Glück im Unglück, im Fall von Malte als zu bedauernder und überraschender Einzelfall. Doch blickt man genauer auf die beiden Geschichten, zeigen sie sich als Teil desselben gefährlichen Problems: als Hass radikalisierter Männer gegen Frauen, queere Frauen und trans Menschen.

Antifeminismus als Bindeglied rechter Verschwörungsmythen

Frauen*feindliche Ideologien erlebten im letzten Jahrzehnt massiven Aufwind. Besonders in rechten, faschistischen und rechtspopulistischen Bewegungen weltweit funktionieren Anti-Feminismus und Anti-„Genderismus“ als Bindeglied rassistischer und nationalistischer Ideologien. Die Kernidee: Feminismus und Frauen, die unabhängig sein wollen, untergraben die „natürliche Geschlechterordnung“ und leisten so der „Umvolkung”, also dem Schrumpfen der bio-nationalen Bevölkerung, Vorschub. Die „natürliche Geschlechterordnung“: Das wäre die Familie aus Vater-Mutter-Kind, in der die Frau zuerst Kinder bekommt und diese dann zu guten Bürger*innen erzieht. Die Familie ist damit die „Keimzelle“ der Nation – und wird gegen die „kinderreichen Anderen“, die immigrieren, in Stellung gebracht. Die weiße, heterosexuelle Familie, die neue Bürger*innen für das Staatsvolk produziert, wirkt als Bollwerk gegen die befürchtete „Überfremdung“ oder gar „Umvolkung“. Antifeminismus wird so das Bindeglied zwischen der rassistischen Vorstellung von „Nation“ und „Volk“, sicherheits- und identitären Bedrohungen.

Von Brasilien über die USA bis hin zu Polen oder Russland: In nationalen Variationen ist das der Kern des rechten Gedankenguts, das sich weltweit gegen Feminismus stellt. Er bietet die Grundlage, auf der Rechtspopulisten wie Jair Bolsonaro in Brasilien oder Björn Höcke in Deutschland das Recht auf Schwangerschaftsabbruch attackieren und Frauen ihr Selbstbestimmungsrecht absprechen. Feminist*innen und Linke, sowie alle Menschen mit sexuellen Identitäten und Orientierungen, die vom heterosexuellen Mann-Frau-Schema abweichen, werden zum Feindbild und affektiver Bedrohung – schließlich stellen sie den Lebensentwurf, der im Kern dieser nationalen Kleinfamilie steht und Macht zugunsten von Männern verteilt, in Frage.

Einfallstor der neuen Rechten in die Mitte der Gesellschaft

Doch neben der affektiven und identitären Aufladung der Selbstbestimmung von Frauen*, hat der Anti-Feminismus eine zweite Funktion: Er öffnet rechten Ideolog*innen Türen ins bürgerliche Lager. Jede Debatte um geschlechtersensible Sprache, #MeToo oder sexuelle Belästigung verunsichert den Status Quo der Geschlechterordnung wenigstens ein bisschen – und das in einem Feld, auf dem jede*r betroffen ist, sich bewegt und mitmischt. Wir alle verorten uns schließlich mit unseren Identitäten – entweder bestätigend, da wir die uns gesellschaftlich zugeschriebenen Rollen annehmen, oder eben auch queer, indem wir sie infrage stellen oder versuchen, sie abzulegen.

Homophobe und LGBTQ-feindliche Männer haben bei einer Versammlung im georgischen Tiflis eine Regenbogen-Flagge zerstört.
Homophobe und LGBTQ-feindliche Männer haben bei einer Versammlung im georgischen Tiflis eine Regenbogen-Flagge zerstört. Quelle: IMAGO

Fast immer spielen deshalb beim Thema Gender persönliche Fragen mit: Bin auch ich schon von sexuellen Übergriffen, Gewalt oder unangenehmen Situationen betroffen gewesen? Habe ich vielleicht selbst schon einmal wissentlich oder unwissentlich Grenzen überschritten? Bin ich bei fraglichen Situationen nicht eingeschritten? Wie geht es mir mit meiner geschlechtlichen Identität? Diese Fragen betreffen uns alle auf persönlicherer Ebene, als die meisten anderen politischen Themen. Potenziell berühren uns hier alle Gefühle von Scham und Schuld.

Über diese Grenzen und Gefühle endlich zu sprechen, ist gesellschaftlich ein großer Fortschritt. Gleichzeitig öffnet die damit einhergehende Verunsicherung über anti-feministische Ideologien ein Einfallstor für rechte Narrative: Statt über Verunsicherung in Bezug auf Sexualität und gesellschaftliche Rollen zu sprechen, weisen Rechte klare Schuldige aus – es sind Frauen und queere Menschen selbst, die aus ihrem „natürlichen“ Platz ausbrechen. „Gendern“ wird als kompliziert und übertrieben angesehen. Trans Menschen werden immer wieder absichtlich misgendert, um ihnen ihr Selbstbestimmungsrecht abzusprechen und an der Ideologie der eindeutigen Zweigeschlechtlichkeit festzuhalten. Erst in diesem Jahr machte der Fall der Grünen-Politikerin Tessa Ganserer, die von Beatrix von Storch als „biologischer und juristischer Mann“ bezeichnet wurde, Schlagzeilen. Von einer Eva Herrmann, die die Familie in Deutschland nicht geschützt sieht, über Beatrix von Storch, die AfD bis zum konservativen Flügel der CDU: Der Weg ins bürgerliche Lager ist hier nicht weit.

Radikalisierung und Antifeminismus in Internet-Foren und Terror Einzelner

Während Anti-Feminismus auf der einen Seite in leichten Übergängen die Tür ins bürgerlich-konservative Lager öffnet, radikalisieren sich auf der anderen Seite des Spektrums Einzelne in Internetforen. Auf Plattformen wie reddit, 4chan oder 8chan finden sich sogenannte „Incels“ zusammen. Incel steht für „involuntary celibate“, also unfreiwillig im Zölibat lebend. Die jungen Männer, die dieser Ideologie anhängen, glauben, dass keine Frauen Sex mit ihnen haben würden – und das, weil sie zu hässlich wären. Daran sei der Feminismus schuld.

Denn: Eigentlich würden alle Männer und Frauen auf einem Attraktivitätslevel zusammenpassen. „Natürlicherweise“ würde so zum Beispiel ein Mann mit einem Attraktivitätslevel von 4 mit einer Frau mit einem Attraktivitätslevel von 4 zusammenkommen. So hätten eigentlich alle Männer ein Anrecht auf Sex mit einer Frau ihres Attraktivitätslevels. Durch den Feminismus würden nun aber Frauen mit immer attraktiveren Männern schlafen wollen, weshalb die schlecht aussehenden Männer übrig blieben. So krude diese Theorie klingt, so wirklich ist sie doch für diese Männer: In den Foren bewerten sie sich gegenseitig in Rating-Systemen, reden sich gegenseitig ihr schlechtes Aussehen ein – und kultivieren ihren Hass auf Frauen in Gewaltphantasien. Mörder wie die Attentäter von Halle, Christchurch oder Columbine radikalisierten sich in Foren wir 4chan oder 8chan und werden dort als Helden gefeiert.

Argentiniens Vize-Präsidentin Cristina Kirchner entkommt bei einem Anschlag nur knapp dem Tod
Argentiniens Vize-Präsidentin Cristina Kirchner entkommt bei einem Anschlag nur knapp dem Tod. Quelle: IMAGO

Mit diesem online radikalisierten Frauenhass, der das Grundübel im Feminismus sieht, entsteht eine neue Form von Terror, der sich stellvertretend gegen alle Frauen richtet und potenziell jede treffen kann. Erhöht wird die Zufälligkeit der Gefahr dadurch, dass in den Foren Einzelne radikalisiert und zu Taten ermutigt werden, aber nicht konkret organisiert sind.

Es gibt also für die Täter keine Mitgliedschaft in kriminellen Vereinigungen und keine konkreten Aufrufe, wie häufig in der Vergangenheit. Stattdessen agieren die Anti-Feministen heute in losen schwarmförmigen Netzwerken. Die Täter treffen ihre Entscheidung loszugehen und zu morden, oft alleine vor dem Bildschirm. Möchte man Taten verhindern, so lässt sich keine Gruppe oder Organisation greifen. Stattdessen erscheinen die Taten jedes Mal wieder im Gewand des Einzelfalls eines radikalisierten oder psychisch kranken Täters.

Hass auf alles, das abweicht

Was hat das alles mit Malte und Cristina zu tun? Über die Täter in beiden Fällen und konkrete Tathintergründe ist wenig bekannt – jedoch soviel: Der Tatverdächtige im Fall Maltes ist laut bisherigen Angaben ein 20-jähriger Tschetschene, in dessen Herkunftsland Trans- und Queerfeindlichkeit wenig widersprochen etabliert sind. Der Angreifer auf Cristina Kircher ist ein aus Brasilien eingewanderter Neonazi. In beiden Fällen spielten Antifeminismus und der Hass auf alles, was von der heteronormativen Ordnung abweicht, eine wichtige Rolle und trugen möglicherweise zur Radikalisierung beider Täter bei. In der Berichterstattung jedoch wurde im Fall Maltes das Narrativ des Einzeltäters wiederholt und nicht konsequent in den gesellschaftlichen Kontext von erstarkendem Anti-Feminismus, Queer- und Transfeindlichkeit eingeordnet. Das Attentat auf Cristina Kirchner wiederum wurde lediglich in den Kontext der aktuellen Korruptionsvorwürfe gegen sie gestellt – die rechtsnationale und faschistische Gesinnung des Täters, der gezielt die prominenteste linke Politikerin des Landes angriff, wurden kaum genannt.

Wir nehmen gerne konstruktives Feedback an:

blog@campact.de

Diese Berichterstattung ist Zeichen einer Gesellschaft, in der nur „Einzelne“ Hassverbrechen gegen Frauen, queere und trans-Menschen verüben – und dieser dezentrale Terror gar nicht als solcher erkannt wird. Die breite Gesellschaft kann so im Glauben leben, sie wäre persönlich nicht betroffen. Doch ist uns unser Leben in Freiheit und Selbstbestimmung lieb, dann sollten wir jetzt den erstarkenden Antifeminismus in seinen Facetten von Terror bis Hoffähigkeit erkennen – und aufhören, ihn gesellschaftlich zu tolerieren.

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Autor*innen

Inken Behrmann ist für Klimaschutz und Feminismus unterwegs. Nachdem sie als Campaignerin bei Campact und in der Klimabewegung Kampagnen für Klimaschutz organisiert hat, promoviert sie aktuell an der Universität Bremen. Für den Campact-Blog schreibt sie Texte gegen das Patriarchat. Alle Beiträge

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