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Özdemirs Tierhaltungs-Label: Mit Magie gegen Massentierhaltung

Vorhang auf, die Bundesregierung lädt zur Vorstellung: Ein neues Label auf Fleischprodukten soll das Leid im Stall verschwinden lassen. Dekonstruktion eines Zaubertricks.

Schweine in einem Stall mit Außenklimareiz. Im Campact-Blog analysiert Chris Methmann, warum das neue Tierhaltungs-Label nur ein Trick ist und sich so an der Massentierhaltung nichts ändert.
Foto: IMAGO

Als die Sparkasse Flensburg Mitte der 80er Jahre einen Magier engagierte, um ihren jüngsten Kunden an sich zu binden, war ich extrem fasziniert. Aus durchlässigen Knoten und bodenlosen Zylindern war ein Traum geworden: Ich wollte Zauberer werden.

Heute bin ich solcher Illusionen beraubt. Ich weiß: Die Kaninchen verschwinden gar nicht. Zaubernde lenken den Blick der Zuschauenden lediglich auf ein unbedeutendes Detail – und lassen ihr Tier lautlos in ein Versteck gleiten. Daher beeindruckt mich die jüngste Vorstellung der Bundesregierung auch gar nicht: Sie will das Tierleid verschwinden lassen – indem alle im Supermarkt auf das neue Tierhaltungs-Label starren.

So stellt sich das zumindest Agrarminister Cem Özdemir vor. In Zukunft soll alles Fleisch im Supermarkt ein Siegel tragen. Zuerst nur Frisches vom Schwein, später auch Verarbeitetes, noch später Rind, Geflügel etc. Als Verbraucher:innen sollen wir dann erkennen, wie das Tier zuvor gelebt hat: Die Stufe 1 soll zeigen, dass die gesetzlichen Mindestvorgaben eingehalten sind. Ab Stufe 3 haben die Tiere Kontakt zur Außenwelt, zum Beispiel durch ein Fenster. Die höchste Stufe, Stufe 5, steht für Bio-Haltung. Die Hoffnung: Weil wir Verbraucher:innen wollen, dass es den Tieren besser geht, greifen wir dann eher zum Schnitzel mit höherer Stufe. Und da beginnt das Problem: Ob es den Tieren wirklich besser geht, darüber sagt das Siegel nichts.

Wie beim Tierhaltungs-Label getrickst wird

Das fängt bei den Kontrollen an. Schon jetzt dauert es in Bayern 48 Jahre, bis ein landwirtschaftlicher Betrieb kontrolliert wird – in anderen Bundesländern geht das oft schneller, passiert aber immer noch erschreckend selten. Und stehen dann endlich mal Kontrollierende auf dem Hof, dann bemängeln sie schon jetzt in einem Drittel der Fälle die Zustände auf dem Hof. Die Frage ist also: Wenn es schon mit der Einhaltung der gesetzlichen Mindeststandards nicht klappt, wie sollen wir als Verbraucher:innen darauf vertrauen können, dass ein Stufe-3-Schwein auch wirklich in einem „Frischluftstall“ gelebt hat, wenn das kaum kontrolliert wird?

Dann die Fixierung auf den Stall. Sie ist der Grundpfeiler des Zaubertricks. Seit Jahren bläuen uns Industrie und Politik nämlich ein: Der Stall entscheidet. Und keine Frage – für eine Kuh macht es einen Unterschied, ob sie den ganzen Tag im Neonlicht im engen Stall steht, mehr Platz hat oder auch mal raus darf. Doch für das Wohlergehen der Tiere werden diese formalen Haltungsbedingungen überschätzt. Drei Beispiele:

Mehr zum Thema hören? Im Campact-Podcast diskutieren Katrin Beushausen und Chris Methmann, wie die Bedingungen in der Tierhaltung verbessert werden müssen.

  1. In der Schweiz haben Forscher:innen bei 97 Prozent der untersuchten Legehennen ein gebrochenes Brustbein festgestellt. Das Problem zog sich durch alle Haltungsstufen, von konventionell bis Bio. Und das ist kein Wunder: Weil viele Tiere fast täglich ein Ei legen, geht das Kalzium in die Schalen. Die Knochen brechen.
  2. Eine Kuh, die so gezüchtet ist, dass sie täglich zig Liter Milch aus dem Euter gezogen bekommt, ist nach wenigen Jahren bereits komplett ausgelaugt. Und selbst wenn der Stall vergoldete Tröge hätte – eine solche Kuh wird niemals glücklich. Kein Wunder also, dass sich bei 90 Prozent der Kühe Euterentzündungen finden, oft auch in den besseren Haltungsstufen.
  3. Dänische Forscher:innen diagnostizierten bei einem Drittel der untersuchten Schweine verschiedene Krankheiten – völlig unabhängig von der Haltungsform. Es gibt konventionelle Betriebe, wo es den Tieren relativ gut geht, wie es Biobetriebe gibt, in denen die Tiere leiden.

Das heißt: Der Stall ist wichtig. Aber ob es den Tieren gut geht, hängt von vielen weiteren Faktoren ab. Von der Robustheit der Rasse, dem Geschick der Landwirt:innen und Tierärzt:innen oder den hygienischen Zuständen im Stall. Lediglich auf den besseren Stall zu zeigen, und zu hoffen, dass dann niemandem mehr auffällt, dass die Tiere weiter krank sind, ist schlicht ein billiger Zaubertrick.

Wie wäre es also, wenn wir weniger danach schauten, wie der Stall aussieht, und mehr danach, wie es den Tieren geht?

Foodwatch schlägt eine Alternative zum Label vor – eine Strategie, wie wir die Gesundheit der Tiere einfach überprüfen können. Der Ansatz: Tierische Produkte werden in Deutschland schon jetzt umfassend kontrolliert – allerdings erst, sobald sie den Stall verlassen haben. Zum Beispiel muss eine Molkerei prüfen, wie viel Entzündungsmarker Milch enthält. Denn ab einem bestimmten Gehalt darf sie nicht mehr in Verkehr gebracht werden. An diesen Werten ließe sich ablesen, wie viele Tiere in einem Betrieb an Euterentzündungen leiden – eine häufige Produktionskrankheit. So könnten Kontrollteams dann genau jene Betriebe untersuchen und sanktionieren, in denen besonders viele Euter entzündet sind. Die Treffergenauigkeit wäre um ein vielfaches höher.

Ähnlich könnte es mit der Schlachtkörper-Untersuchung bei Schweinen und anderen Tieren aussehen. Sie finden regelmäßig in den Schlachthöfen statt. Dabei sehen die Veterinär:innen, ob Krankheiten vorliegen – ob das Schwein zum Beispiel an einer Lungenentzündung leidet. Die Daten liegen vor. Wenn die Behörden sie systematisch erheben und nutzen würden, könnte vielen Betrieben, in denen Tiere leiden, das Handwerk gelegt werden.

Du ärgerst Dich über schlechte Haltungsbedingungen in der Fleischindustrie und viel zu laxe Kontrollen in den Ställen? Dann unterzeichne hier die Aktion von foodwatch für bessere Tiergesundheit!

Das würde man sich wünschen: Dass die Regierung endlich konkret handelt. Und die Standards in den Ställen endlich politisch erhöht, die Kontrollen verschärft und tatsächlich beim Tier ansetzt – statt uns Verbraucher:innen mit einem neuen Label in die Irre zu führen.

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Autor*innen

Dr. Chris Methmann ist Geschäftsführer von foodwatch Deutschland. Vorher hat er bei Campact Kampagnen geleitet. Als langjähriger Aktivist und Campaigner in der Klimabewegung streitet er für ein Ernährungssystem, das die Grenzen unseres Planeten endlich respektiert – und setzt sich dafür ein, dass nur ehrliches, gesundes und zukunftsfähiges Essen auf unseren Tellern landet. Alle Beiträge

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