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Der gespiegelte Gender Pay Gap

Lange ging man in der Wissenschaft davon aus, dass vor allem das niedrige Gehalt von Frauen für die große Lücke bei den Gehältern verantwortlich ist, den sogenannten Gender Pay Gap. Neue Forschungen zeigen jetzt aber: Es ist das regional sehr unterschiedlich hohe Gehalt der Männer, das diese Lücke erst schafft und vergrößert. Der Blick auf die regionalen Unterschiede in West- und Ostdeutschland zeigt, welche Maßnahmen besonders helfen können, die Lohnungerechtigkeit endlich zu beenden.

Die Grafik zeigt eine Karte von Deutschland mit unterschiedlich farbigen Flächen. Es werden die Forschungsergebnisse des Instituts der Agentur für Arbeit dargestellt.
Die Karte zeigt die Unterschiede beim Gender Pay Gap sehr deutlich: Während in Ostdeutschland die Gehälter im Schnitt eher angeglichen sind, sind sie im Westen eher unterschiedlicher. Grafik: Institut der Agentur für Arbeit

Buntfarbige Infokarten von Deutschland zeigen noch heute meist das gleiche Muster, nämlich das der deutschen Teilung von 1949 bis 1990. Und meist verheißt das wenig Gutes für die gar nicht mehr so neuen Bundesländer: AfD-Wahl-Anteile, durchschnittliches Einkommen, Geschlechtergleichgewicht – die einstigen Gebiete der DDR heben sich oft negativ ab. Auch ich schreibe über eine solche Karte, die dieses vertraute Verhältnis jedoch geradezu umdreht: Denn in Ostdeutschland ist der Gender Pay Gap, die Einkommenslücke zwischen den Geschlechtern, andersherum als im Westen. Frauen verdienen dort vergleichsweise mehr als Männer. 

Der Gender Pay Gap ist schon seit vielen Jahren ein zentrales Feld feministischer Politik. Denn abgesehen davon, dass der Lohnunterschied zutiefst ungerecht ist, ist er folgenschwer für das Leben vieler Frauen: 17,5 Prozent der Frauen in Deutschland waren 2021 armutsgefährdet. Und das setzt sich bis zum Lebensende fort: Wer in der Berufsbiografie weniger Geld in die Kasse einzahlt, bekommt später weniger Rente. Deutschland weist unter den Ländern der OECD den höchsten Unterschied zwischen den Renten auf, die Frauen und Männer beziehen. 

Der Gender Pay Gap und seine Ursachen

Um mich den Gründen für den Gender Pay Gap zu nähern, will ich erst ein paar Zahlen und Fakten erklären. Zuerst der Gender Pay Gap: Der Unterschied im Durchschnittsgehalt von Männern und Frauen liegt hierzulande aktuell bei 18 Prozent. Das bedeutet: Für jede Stunde, die Frauen arbeiten, werden sie durchschnittlich knapp ein Fünftel schlechter entlohnt als Männer. Basis für diese Berechnung ist der Durchschnitt aller Gehälter von Männern auf der einen und Frauen auf der anderen Seite. Legt man diese Zahlen zugrunde, dann beträgt der Lohnunterschied im Westen, Süden und Nordwesten der Republik rund 19 Prozent. In Ostdeutschland hingegen sind es nur 6 Prozent

Um die Sache noch etwas komplizierter zu machen, gibt es eine weitere Berechnungsgrundlage, nämlich das Median-Einkommen: Hier wird nicht ein Durchschnittswert ermittelt, sondern das mittlere Einkommen. Schreibt man etwa sämtliche Gehälter von Frauen in eine lange Reihe, dann wäre der Median jenes Einkommen, das exakt in der Mitte dieser Reihe steht. Der Vorteil an dieser Berechnungsmethode: Exorbitant hohe Einkommen am Ende der Reihe, sogenannte „Ausreißer“, haben weniger Einfluss auf das Gesamtbild. Wenn wir dieses Median-Einkommen für Ostdeutschland ansehen und damit die extrem hohen Gehälter einiger weniger – insbesondere Männer – ausblenden, dann können wir sehen, dass viele Frauen in Vollzeitarbeit in Ostdeutschland mehr verdienen als viele Männer in Vollzeit. Warum ist das so?

Mit den Gründen für den Gender Pay Gap befasst sich die Forschung schon lange. Einige davon sind statistisch sehr genau nachvollziehbar: So arbeiten Frauen oft in Bereichen wie Pflege oder Erziehung, die grundsätzlich schlechter entlohnt werden. Und wenn Frauen in Teilzeit arbeiten, dann verdienen sie einerseits weniger und haben andererseits weniger Möglichkeiten in Führungspositionen aufzusteigen, wo sie deutlich mehr verdienen würden. Es arbeiten ohnehin schon wenig Frauen in Führungsetagen. Auch während Eltern- oder beruflichen Auszeiten können Frauen kein „Humankapital“ ansammeln, das sie für den beruflichen Aufstieg qualifiziert. 

Werden alle diese statistisch nachvollziehbaren Erklärungen aus dem Gender Pay Gap herausgerechnet, dann verbleibt im deutschen Durchschnitt eine Lücke von 6 Prozent, die nicht erklärt werden kann. Für sie sind statistisch kaum nachvollziehbare Faktoren verantwortlich wie etwa Genderstereotype oder die Tatsache, dass Frauen in intransparenten Verhältnissen meist weniger Gehalt aushandeln (können). Schon lange ist bekannt, dass Tarifverträge, die Gehälter einheitlich und transparent regeln, ein gutes Mittel sind, um dieser Form der Ungleichheit entgegenzuwirken. 

Care-Arbeit oder Sorgearbeit beschreibt die Tätigkeiten des Sorgens und Sichkümmerns: Darunter fällt Kinderbetreuung oder Altenpflege, aber auch familiäre Unterstützung, häusliche Pflege oder Hilfe unter Freunden. Praktische Beispiele: Die Wäsche machen, die Kinder zum Sport bringen oder zu planen, welche Dinge im Haushalt noch erledigt werden müssen, sind Teil von Care-Arbeit.

Dessen ungeachtet ziehen politische Entscheider*innen immer wieder die falschen Schlussfolgerungen aus den vorliegenden Forschungsergebnissen. Demnach ist dann nicht die schlechte Bezahlung in Pflege- und Erziehungsberufen das Problem. Stattdessen wird beklagt, dass junge Frauen nur selten MINT-Fächer studieren. Politiker*innen attestieren Frauen kurzerhand fehlende Verhandlungskompetenzen. Anderen Frauen wird wiederum vorgeworfen, dass sie einen Großteil der Care-Arbeit leisten, statt Männer dafür in die Pflicht zu nehmen. Tatsächlich übernehmen Frauen im Durchschnitt weitaus häufiger die Pflege von Verwandten und Kindern, Arbeit im Haushalt oder Ehrenämter. Der sogenannte Gender Care Gap liegt – Stand 2019 – noch weitaus höher als der Gender Pay Gap – nämlich bei über 52 Prozent.

Neue Erkenntnisse: regionale Arbeitsmärkte zählen!

Neuere Forschung zeigt nun weitere Gründe für den Gender Pay Gap auf, die auch große Teile des Ost-West-Unterschieds erklären können. Forscher*innen des Instituts der Agentur für Arbeit haben nämlich herausgefunden, dass nicht, wie lange angenommen, die niedrigeren Gehälter von Frauen für die hierzulande regional sehr unterschiedlichen Gender Pay Gaps verantwortlich sind, sondern vielmehr die Gehälter der Männer. 

In Westdeutschland gibt es große Unternehmen, in denen gerade Männer verhältnismäßig hohes Einkommen beziehen. Insbesondere in Regionen, in denen viele Männer tarifgebunden in industriellen Firmen wie VW oder Daimler arbeiten, sind die Lohngefälle zwischen den Geschlechtern besonders hoch. 

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Ein wichtiger Grund dafür ist die Tarifbindung, die bei diesen Unternehmen die hohen Gehälter absichert – und zugleich auch für die höheren Löhne von Frauen in Ostdeutschland verantwortlich ist. Denn im Osten arbeiten besonders viele Frauen im tarifgebundenen öffentlichen Dienst, während Berufe, in denen Männer arbeiten, häufig nicht tarifgebunden und damit schlechter bezahlt sind. Zudem fehlen im Osten oftmals gewerkschaftlich organisierte Jobs bei großen Industrieunternehmen. 

Gerade dort, wo in Ostdeutschland solche Branchenstrukturen fehlen, können Frauen ihr dort durchschnittlich höheres Bildungs- und Humankapital ausspielen: Während im Berg- oder Tiefbau vor allem Männer die manuellen, schlechter bezahlten, Tätigkeiten ausführen, sind Frauen eher in den höher bezahlten Bürotätigkeiten zu finden. Dementsprechend liegt in den vier ostdeutschen Städten Frankfurt/Oder, Cottbus, Schwerin und Dessau nicht nur das Median-Einkommen, sondern auch das Durchschnittseinkommen von Frauen über dem der Männer. Besonders ausschlaggebend mit Blick auf das unterschiedliche Lohnverhältnis aber ist die Tatsache, dass die bestbezahlten Jobs, in denen zumeist Männer arbeiten, im Osten schlichtweg fehlen.

Was wir von den Unterschieden zwischen West- und Ostdeutschland lernen können

Erstens zeigt die neuere Forschung, dass nicht Frauen den Gender Pay Gap erweitern, weil sie etwa die falschen Berufe wählen oder in Teilzeit gehen. Stattdessen ist es die Arbeitsmarktstruktur, die Männer an vielen Orten in Westdeutschland bevorteilt und im Osten benachteiligt. Frauen können hohes Humankapital erst dann ausspielen, wenn nicht die Ansiedlung großer Firmen zu einem hohen Lohngefälle in der Region führt. Eine wichtige Maßnahme wäre es, an solchen Orten die räumliche Mobilität von Frauen zu fördern, damit sie besser bezahlte Arbeitsplätze in angrenzenden Regionen annehmen können. Hier sind einerseits ein gutes Informationsangebot über Stellen und andererseits die Schaffung von Angeboten wie ganztägigen Kita-Plätzen notwendig.  

Zweitens zeigen die Zahlen einmal mehr, wie wichtig die Tarifbindung von Branchen ist – sowohl um vor ungleichen Gehältern innerhalb von Betrieben zu schützen als auch dafür, um gut bezahlte Jobs verfügbar zu machen. Gewerkschaften müssen demnach den Fokus darauf legen, auch Sektoren, in denen hauptsächlich Frauen arbeiten, wie den Pflegesektor oder Erziehung, besser zu organisieren und arbeitskampffähig zu machen. 

Nicht zuletzt müssen die Regierung und die Kommunen für ausreichende Finanzierung und Bereitstellung von Pflegeangeboten und Kita-Plätze sorgen. Dies würde es erleichtern, die Care-Arbeit unter Partner*innen gerechter zu verteilen und Paare zu entlasten. Nicht zuletzt sind aber auch Männer persönlich gefragt, ihren fairen Teil der unbezahlten Sorgearbeit zu übernehmen (die Hälfte) – und so Frauen* den gleichen Anteil bezahlter Arbeit zu ermöglichen.

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Autor*innen

Inken Behrmann ist für Klimaschutz und Feminismus unterwegs. Nachdem sie als Campaignerin bei Campact und in der Klimabewegung Kampagnen für Klimaschutz organisiert hat, promoviert sie aktuell an der Universität Bremen. Für den Campact-Blog schreibt sie Texte gegen das Patriarchat. Alle Beiträge

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