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Müllfluencing: Abfallfabriken im Internet

Menschen machen Müll – auch im World Wide Web. Leider ist das Internet eine riesige Abfallfabrik. Denn die Verschmutzung unseres Planeten beginnen wir an vielen Stellen in aller Bequemlichkeit online. Zum Beispiel beim Müllfluencing auf YouTube, Instagram und Co.

Das Foto zeigt eine geöffnete schwarze Mülltonne. Sie ist voll mit verschiedenen Plastiktüten und zugebundenen Beuteln. Oben auf liegt eine kaputte Jeanshose.
Foto: Michael Gstettenbauer / IMAGO

Müllfluencing ist, wenn Influencing das Verhalten und Denken des Publikums so beeinflusst, dass am Ende nicht weniger, sondern mehr Müll unsere Ökosysteme belastet. Wer aktiv als Influencer:in oder passiv beim Prokrastinieren oder Nachahmen müllfluenct hat nicht verstanden, wie es um unseren Planeten steht. Darum ist es Zeit für einen ärgerlichen Text auf das Müllfluencing-Business inklusive Überlegungen zum Bessermachen.

Liebe Influencer, Follower und deren Mangements …

„Time is Up!“ – die Zeit des Rausredens und Wegschauens ist vorbei. Das sage nicht ich, das hat Mark „Dr. Made“ Benecke in seinem Vortrag im EU-Parlament gesagt Ich kann den 60 minütigen Vortrag nur empfehlen – es geht um den Gesundheitszustandes unseres Planeten, um lebensbedrohliche Hitze und Trockenheit, um flächendeckendes Artensterben, um mittelfristig drohende Lebensmittelknappheit und um die gefährlichsten Berge der Welt: unsere Müllberge.

Wer sich informiert, stellt schnell fest, dass wir keine andere Wahl haben, als unsere Gesellschaft umzustellen: Die Meere, deren Wasser wir zum Leben brauchen, vergiften wir mit Pestiziden und Öl. Schon jetzt schwimmen laut WWF 86 Millionen Tonnen Plastik in unseren Ozeanen. Wir haben Müllstrudel in den Ozeanen geschaffen. Genauso vermüllen und vergiften wir unsere Böden und unsere Luft. Laut Weltbank werden wir bis 2050 rund 70 Prozent mehr Abfall produzieren. Schon jetzt sind es etwa zwei Milliarden Tonnen Müll – dann werden es rund 3,4 Milliarden Tonnen sein. Selbst den Weltraum – die unendlichen Weiten der menschlichen Sehnsucht nach technischer Perfektion – vermüllen wir, als würde schon irgendwer anderes kommen und alles wieder aufräumen. Und was tun wir im Internet?

Ich frage mich schon länger, warum Konsum-Formate wie Unboxing-Videos, Hauls, Autobasteln, Was-Kosten-deine-Klamotten-Videos, Lebensmittelverschwendung, Flieg-grundlos-um-die-Welt-Spiele und Co. wie verrückt geklickt werden. Aber im Grunde ist es egal, warum das so ist. Viel wichtiger sind die Folgen, die das mit sich bringt. Da schrauben nie erwachsen Gewordene vollkommen unnötig viel Leistung in ihre Brumm-Brumms, damit da noch mehr Benzin pro Sekunde durchgeht und fühlen sich ganz groß damit. Andere imponieren mit Mode, die, wie Oscar Wilde unter diese Beiträge auf Instagram und Co. posten würde, zweimal pro Jahr neu gemacht werden muss, weil sie so hässlich ist. Vorgeblich naturnahe Unterhaltungskünstler:innen fliegen für ein paar Tage Videodreh in Naturparadiese, um dort zu bushcraften – was in vielen Fällen auch als Sachbeschädigung an Flora und Fauna bezeichnet werden kann.

„Shoppen und Schrotten“ ist kein Lebensstil. Es ist eine Angewohnheit, die langsam aber sicher den Planeten killt. Müllfluencing generiert Millionen Klicks, die Unmengen Produkte umsetzen, die nichts anderes sind als neuer Abfall. Hier beginnt die Müllsackgasse: Von der Bedürfnisweckung zum Konsum direkt auf die Müllkippe. Influencing bringt uns bei, in den Urlaub zu fliegen, Autos zu lieben und Kleidung zu suchten. Müllfluencing verschwendet unsere Zeit, lenkt uns von den Folgen des Klimawandels ab und erschafft Unmengen Müll. Es ist traurig, dass kreative Menschen ihre Energie und Talente dafür verwenden, den Planeten vollzumüllen.

Die Online-Müllfabrik YouTube

YouTube ist eine Abfallfabrik, in der 2,3 Milliarden Menschen monatlich aktiv sind. Damit meine ich nicht den Strom- und Hardwareverbrauch der Plattform und der mit ihr verbundenen Geräte, sondern ich meine ihre Inhalte. Die Plattform ist die am zweithäufigste besuchte Internetseite der Welt, direkt nach Google und danach gefolgt von Facebook, Twitter und Instagram. Zu den beliebtesten Formaten auf MüllTube (dem müllgetriebenen Teil der Plattform) gehören den Klimawandel verschärfende Formate.

Um die Rolle von Online-Plattformen besser zu verstehen, helfen manchmal Vergleiche mit der nicht-digitalen Welt. Wer sich vorstellt, wie eine fremde Person uns den ganzen Tag über die Schulter guckt und irgendwelche Notizen macht, während wir einkaufen, arbeiten oder uns mit jemandem unterhalten, versteht das Problem von Online-Tracking. YouTube, Instagram, Amazon und Co. sind im Vergleich dazu in etwa so, als würden an jeder Ecke Leute stehen und Unmengen von irgendwelchen Produkten auspacken und sofort neben sich auf einen Müllberg werfen, während ihnen eine Anhängerschaft zujubelt und sich nichts sehnlicher wünscht, als ihren Vorbildern nachzueifern. Aus jedem Merch wird Müll – für Kooperationen zahlt früher oder später immer unser Planet. Da hilft auch kein Greenwashing.

Beliebt ist auch die kreative Verschwendung von Nahrungsmitteln. Mit 20 Millionen Abonnent:innen ist HaerteTest in Deutschland der YouTube-Kanal mit den meisten Abos. Über die tatsächliche Reichweite sagt das wenig aus. Es gibt andere Kanäle, auf denen mehr Videos gepostet werden die wesentlich mehr Interaktion auslösen und auch bei weitem häufiger angeschaut werden. Dennoch: HaerteTest ist, gemessen an der Anzahl der Abonnent:innen, Deutschlands beliebtester YouTube-Kanal. Und was gibt es da zu sehen? Experimente. Zum Beispiel: Mit einem Auto verschiedene Lebensmittel platt fahren. Das ist wirklich, was die Welt braucht. Nicht.

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Zum Glück oder besser gesagt, dank Menschen, die den Gesundheitszustand unseres Planeten nicht ignorieren, gibt es in den Online-Müllfabriken auch klima-reflektierte und klima-aktivistische Inhalte. Schließlich erreichen Klima- und Umweltschutzengagierte über genau diese Plattform vermutlich das größte Publikum. Aber anders als für Müllfluenzing gibt es für diese Inhalte weniger Monetarisierung, weshalb nicht diese Inhalte, sondern das Müllfluenzing mit in der YouTube-Chefredaktion sitzt. Leider haben der YouTube-Algorithmus und PR-Profis den Begriff Nachhaltigkeit bereits in eine Wohlfühl-Konsumschleuder verwandelt. Zahlreiche Influencer vermarkten ihre Inhalte gern als nachhaltig – wobei es in vielen Fällen dann doch nur darum geht, dass das gute Leben aus Spielformen von Konsum, Flugreisen und Selbstdarstellung besteht. Unterhaltung ist das Zauberwort, dass alles rechtfertigt.

Zeit für die Müll-Detox-Challenge

Ein Trend, den ich sehr gern in der Welt des Influencing sehen würde, wären persönliche Klimabilanzen der Influencer:innen, ihrer Community und ihrer Teams. Das würde dann beispielsweise den Verbrauch von CO2-Equivalenten durch Auto- und Flugreisen und gekaufte, gesponserte und verkaufte Produkte umfassen inklusive des ökologischen Fußabdrucks für deren Lieferung. Interessant wäre auch die Recyclingrate und Nutzungsdauer von beworbenen Produkten. Nachahmungseffekte ließen sich vielleicht durch Umfragen abschätzen? Spannend wäre auch die Frage, welches Kaufverhalten Müllfluencer fördern: reflektiertes, bedarfsorientiertes Einkaufen oder spontanes Verschleißshopping?

Hier wäre ein sinnvolles Experiment: Influencer:innen, Follower und Mangements, schafft ihr es, eure Kanäle auf müllfrei umzustellen? Lasst das Thema doch gern auf der nächsten Convention diskutieren. Wie verhalten sich der YouTube-Algorithmus und die Werbeverträge gegenüber unserem Planten? Und was sagt die Community dazu?

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Autor*innen

Friedemann Ebelt engagiert sich für digitale Grundrechte. Im Campact-Blog schreibt er darüber, wie Digitalisierung fair, frei und nachhaltig gelingen kann. Er hat Ethnologie und Kommunikationswissenschaften studiert und interessiert sich für alles, was zwischen Politik, Technik, und Gesellschaft passiert. Sein vorläufiges Fazit: Wir müssen uns besser digitalisieren! Alle Beiträge

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