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Lieferkettengesetz: #YesEUcan… save Christmas!

Was ein neues EU-Gesetz mit unserem Weihnachtseinkauf zu tun hat – und wo genau dieses Gesetz noch verbessert werden könnte.

Ein Farmer versprüht Pestizide auf einer Bananen-Plantage.
Ein Farmer versprüht Pestizide auf einer Bananen-Plantage. Deutsche Supermarktketten sind mitverantwortlich für die unhaltbaren Zustände in der Bananenproduktion: Sie nutzen ihre Marktmacht aus, um einen starken Preisdruck auf die Produzenten auszuüben. Untersuchungen decken diverse Arbeits- und Menschenrechtsverletzungen auf - für die Konsument*innen in Deutschland bleibt das alles unsichtbar. Foto: IMAGO

Dieses Jahr werde ich nicht alle Weihnachtsgeschenke auf den letzten Drücker besorgen. Das habe ich mir jedenfalls vorgenommen. Und so verbringe ich in diesen Tagen immer mal wieder Zeit in Spielzeugläden, schlendere durch Buchhandlungen und klicke mich durch die unerschöpfliche Welt des Online-Versandhandels. Was schenke ich bloß der Freundin, die gern liest, aber schon alles gelesen hat? Bekommt mein Kind die Actionfigur, die es sich wünscht, auch wenn ich sie fürchterlich finde? Bekommt mein Baby genauso viel wie das große Geschwisterkind, auch wenn es Ungerechtigkeiten noch nicht realisiert (und ist es überhaupt eine Ungerechtigkeit, wenn sie nicht als solche empfunden wird)?

Aber da sind auch noch die ganz großen Ungerechtigkeiten: Wie viel wir schenken und geschenkt bekommen, während so viele weniger oder gar nichts haben. Ich denke an den CO2-Fußabdruck des deutschen Geschenkeberges und die Frage, unter welchen Bedingungen die fragliche Actionfigur produziert wurde: „Von Kindern für Kinder gemacht?“

Wo steckt überall Kinderarbeit mit drin?

Ich bemühe mich, Kinderarbeit und Menschenrechtsverletzungen bei der Herstellung auszuschließen; versuche das Kleingedruckte auf dem Schoko-Weihnachtsmann zu erkennen, um zu wissen, woher der Kakao stammt. Und ärgere mich, dass ich selbst bei deutschen und europäischen Unternehmen nicht sicher sein kann, Produkte ohne Kinderarbeit und Menschenrechtsverletzungen zu kaufen. Auch beim Laptop, auf dem ich diesen Text tippe, weiß ich nicht, wer seine Rohstoffe abgebaut und die Einzelteile zusammengesetzt hat. Aber ich weiß, dass das jüngste Kind, das Amnesty International in den Kobaltminen im Kongo antraf, sieben Jahre alt war, und dass Kobalt in der Batterie meines Laptops steckt. Ikea, wo ich die Beine für meine Schreibtischplatte gekauft habe, wird vorgeworfen, Produkte aus Zwangsarbeit in Belarus zu verkaufen. Weil ich das Bananenbrot, das ich beim Schreiben futtere, im Café gekauft habe, weiß ich nicht, ob die Menschen, die die Bananen pflückten, dabei mit giftigen Pestiziden besprüht wurden, wie es Oxfam recherchiert hat.

Ich könnte den gesamten Blogbeitrag mit solchen Beispielen füllen und Dich und mich dann ratlos und deprimiert zurücklassen. Doch zum Glück arbeitet die Europäische Union gerade an einem Vorhaben, das wichtige Mindeststandards für Lieferketten setzen könnte. Am vergangenen Donnerstag hat sich der Rat der Europäischen Union – dort kommen die Minister*innen der Mitgliedsstaaten zusammen – auf eine gemeinsame Position für ein zukünftiges europäisches Lieferkettengesetz geeinigt. Es soll große Unternehmen verpflichten, ihre Lieferketten auf Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung zu untersuchen und gegen Missstände vorzugehen.

Endlich: Ein Lieferkettengesetz

Falls Du jetzt denkst, Moment, da war doch schon mal was: Richtig. Schon im Januar wird nämlich erst einmal das deutsche Lieferkettengesetz in Kraft treten, das – leider mit verschiedenen Schlupflöchern – Mindeststandards für große deutsche Unternehmen festlegt. Diese können sich ab dem kommenden Jahr nicht mehr so leicht damit herausreden, von Menschenrechtsverletzungen in ihren Lieferketten nichts gewusst zu haben. Das EU-weite Lieferkettengesetz ist aber ein noch größerer Wurf: Es wird für alle EU-Staaten gelten und schon jetzt ist absehbar, dass es gegenüber dem deutschen Gesetz einige Fortschritte geben wird. Geplant ist zum Beispiel, dass Betroffene von Menschenrechtsverletzungen vor europäischen Gerichten gegen die Verantwortlichen vorgehen könnten.

Rückmeldungen, Kritik und Lob zum Blog kannst Du gerne an blog@campact.de schicken.

Viele Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften haben lange Jahre für die Lieferkettengesetze gekämpft. Dass diese jetzt kommen, ist ein großer Schritt. Doch wie so oft liegt der Teufel im Detail. Alarmierend ist etwa, dass der Rat plant, den Finanzsektor größtenteils aus dem Gesetz auszuklammern. Dabei hat der einen besonderen Einfluss, wenn er zum Beispiel Projekte finanziert, die zur Abholzung von Regenwald und der Vertreibung dort lebender Indigener führen. Auch sollen ausgerechnet die Rüstungsindustrie und Überwachungsunternehmen nicht erfasst sein, obwohl gerade diese Branchen große Auswirkungen auf die Menschenrechte haben. Zusätzlich will der Rat auch die Verwendung der Produkte ausklammern. Wenn ein europäisches Unternehmen also zum Beispiel ein Pestizid herstellt, müsste es zwar künftig untersuchen, ob zugelieferte Chemikalien aus Fabriken stammen, in denen Arbeiter*innen ausgebeutet und vor giftigen Dämpfen nicht geschützt werden. Das Unternehmen müsste aber keine Verantwortung dafür übernehmen, wenn Käufer*innen des Pestizides damit die Umwelt und Menschen schädigen.

Wie es jetzt weitergeht

Zum Glück gibt es aber noch eine Chance auf Verbesserungen. Im europäischen Gesetzgebungsprozess ist die Position der Regierungsvertreter*innen im Rat zwar sehr wichtig, aber nicht allein entscheidend. Im nächsten Schritt wird sich das Europäische Parlament zu den Vorschlägen positionieren und dann mit dem Rat verhandeln. Deshalb ist es wichtig, in den kommenden Monaten genau hinzusehen und öffentlich Druck für ein starkes Gesetz zu machen. Schon am morgigen Dienstag will die „Initiative Lieferkettengesetz“, ein Bündnis aus über 130 Organisationen, über 80 000 Unterschriften an das Bundeskanzleramt übergeben. Ihr Motto: #YesEUcan! Falls Du gerade in Berlin bist, schaue doch mal vorbei!

Als größter europäischer Volkswirtschaft kommt Deutschland ein besonderes Gewicht bei den Verhandlungen zu. Bei WeMove, einer europäischen Petitionsplattform, kannst Du Dich an die Verantwortlichen in Deutschland wenden und ein starkes Lieferkettengesetz einfordern. (Falls Du diesen Text in einem anderen Land liest: Bitte hier entlang.)

Halte gerne die Augen und Ohren offen, wie es mit dem europäischen Lieferkettengesetz weitergeht. Informieren kannst Du Dich auf der Bündnis-Webseite. Bis dahin viel Erfolg beim Shoppen fairer Geschenke!

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Autor*innen

Lena Rohrbach ist Referentin für Menschenrechte im digitalen Zeitalter und Rüstungsexportkontrolle bei Amnesty International. Sie hat als Campaignerin für Campact und im Journalismus gearbeitet und war Sprecherin der Piratenpartei. Lena hat Philosophie, Kulturwissenschaft und Geschichte in Berlin und International Human Rights Law an der University of Nottingham studiert. Auf Twitter ist sie als @Arte_Povera unterwegs. Alle Beiträge

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