Bundestagswahl Wahlen AfD Ampel CDU Montagslächeln Alltagsrassismus Antisemitismus Feminismus Rechtsextremismus

Extremisten aus der Mitte

Der Putsch der "Patriotischen Union" wurde vereitelt. Das Personal kommt – entgegen der weitläufigen Annahme – nicht vom gesellschaftlich Rand.

Drei Beamte von Polizei und BKA verladen kleine graue Boxen in einen Transporter. Um sie herum ist es dunkel, in Pfützen auf dem Asphalt spiegelt sich das Licht der Laternen.
Im Rahmen der europaweiten Razzia gegen Reichsbürger und die "Patriotische Union" werden in Chemnitz in Sachsen während einer Durchsuchung durch Landespolizei und BKA Kisten mit Material und Computer auf Kleintransporter verladen. Foto: HärtelPRESS / IMAGO

Er schweigt. Bei Friedrich Merz eher selten. Der Bundestags-Fraktionsvorsitzende der Union und CDU-Bundesvorsitzende hat sich auch fünf Tage nach der Razzia gegen die „Patriotische Union“ (PU) nicht geäußert. Der CDU-Generalsekretär Mario Czaja kann das laute Schweigen erklären. „Unsere Haltung ist ja völlig klar in dieser Frage, dass wir uns klar abgrenzen vom linksextremistischen Rand und vom rechtsextremistischen Rand“, versichert Czaja und betont: auch Merz vertrete diese „klare Haltung“.

Eine Haltung in der sogleich, wenn die Gefahr eines rechten Terrornetzwerks betont werden müsste, eine Gleichsetzung zum „linken Rand“ erfolgt. In den vergangenen Wochen warnten sowohl konservative Politiker*innen, als auch Medien viel mehr vor „Klimaterroristen“ und „Grüner RAF“. Ein paar Tage nach dem Einsatz am 7. Dezember – 3000 Beamt*innen des Bundeskriminalamtes (BKA) und Spezialeinsatzkommandos gegen 52 PU-Anhänger*innen – wird auch schon wieder von der PU als „Rentner-Truppe“ und „Wirren“ gesprochen und geschrieben. In diesen Kreisen scheint das „sich auf der Straße ankleben“ schwerer zu wiegen, als den Bundestag stürmen zu wollen.

Was die Patriotische Union vorhatte

Das Netzwerk um Heinrich XIII Prinz Reuß, den ehemaligen Oberstleutnant der Bundeswehr Rüdiger von Pescatore, sowie der früheren AfD-Bundestagsabgeordneten und Richterin Birgit Malsack-Winkemann plante, am Tag X im Bundestag Bundestagsabgeordnete festzusetzen und bundesweit die Stromversorgungen zu unterbrechen. Ihr Ziel: in den Unruhen eine neue Regierung mit dem Prinzen an der Staatsspitze zu bilden. Der Tod von Betroffenen wurde „billigend in Kauf genommen“, so der Generalbundesanwalt.

Bei den Durchsuchungen am frühen Donnerstagmorgen stellten die Ermittelnden in rund 50 der 150 durchsuchten Objekte mehrere Waffen und Munition sicher. In elf Bundesländern sowie in Italien und Österreich fanden die Razzien statt, bei der Beamt*innen sowohl hohe Geldsummen, als auch besondere Militärtechnik sicherstellten. Der Prinz, der als Rädelsführer des „politischen Flügels“ für die Bundesanwaltschaft gilt, fiel früh mit einschlägigen Positionen auf. 2019 sagte er beim sogenannten Worldwebforum in Zürich, dass Deutschland kein souveräner Staat sei und bis heute von den Alliierten besetzt wäre. Der Prinz fabulierte schon länger von jüdischen Finanzkapital und Familien, die im Hintergrund wirken würden.

Polizisten, ein Spitzenkoch und eine Ärztin

Dass Profis den Putsch planten, darf den involvierten Personen aus Bundeswehr und Polizei unterstellt werden. Den „militärischen Flügel“ soll der ehemalige Oberstleutnant der Bundeswehr Rüdiger von Pescatore geleitet haben, der zu einer Vorgänger-Einheit des Kommando Spezialkräfte (KSK) gehörte. Die Bundeswehr musste er 1999 verlassen, weil er nach der Wende 165 funktionsfähige Pistolen und Gewehre aus Beständen der Nationalen Volksarmee abzweigte. Nur 11 Waffen wurden damals gefunden. Vor der Pandemie erklärte er bereits im Internet: „Die Wahrheit wird der Menschheit erst nach dem Systemwechsel zugängig sein.“

Ein Gründungsmitglied der KSK, Maximilian Eder, sollte den Angriff auf den Bundestag anführen. In den vergangenen Monaten redete er regelmäßig bei Demonstrationen der Querdenkenden und hatte Kontakt zu deren zentralen Akteuren, von Michael Ballweg bis Bodo Schiffmann. Er meinte, die KSK sollte „in Berlin aufräumen“. Reichsideologie- und Querdenken-bewegt sind auch der Polizist Michael Fritsch, der sich zu Dienstzeiten um den Schutz einer jüdischen Gemeinde kümmern musste und als Bundestagskandidat für dieBasis antrat, sowie ein Beamter des Landeskriminalamtes, der beim Staatsschutz für den Bereich Rechtsextremismus tätig war. Zu den Putschist*innen gehörten auch eine Ärztin, ein Tenorsänger, ein Pilot, ein Unternehmer und ein Spitzenkoch, sowie zwei weitere Personen mit AfD-Nähe.

Rückmeldungen und Kommentare zum Beitrag und zum Blog liest die Redaktion unter blog@campact.de.

Mit Hilfe von Malsack-Winkemann wäre der Zugang zum Bundestag auch gar nicht so schwer gewesen. Die Ex-AfD-Bundestagsabgeordnete hatte bis zu ihrer Festnahme am Donnerstag noch einen Hausausweis. Bis dahin durfte sie auch als Richterin tätig sein. In der AfD, wo sie in dem Bundesschiedsgericht saß, galt die Richterin als moderat. Bei der vermeintlichen Alternative sind Aufrufe zum Widerstand gegen den „Great Reset“ und Behauptungen, dass Geflüchtete „mit antibiotika-resistenten Bakterien besiedelt“ seien und „die Eliten“ mit der Corona-Pandemie eine „große Neuordnung“ starten wollen, offensichtlich nicht extrem. Der AfD-Wahlslogan „Deutschland, aber normal“ könnte neu gedeutet werden.

Nicht von den Rändern der Gesellschaft

Das Personal der Putschist*innen legt nahe, dass einer der größten Antiterroreinsätze in der Bundesrepublik sich gegen Personen aus der Mitte der Gesellschaft richtete – teilweise auch aus der vermeintlich besseren Gesellschaft. Gediegen, gebildet und gepflegt. Über einen Extremismus der Mitte wird aber nicht gerne geredet. Die Bösen sind bekanntlich immer die anderen an den angeblichen Rändern der Gesellschaft. Die Guten in der Mitte sind frei von Extremismen – und bestimmen die Grenzen des Ertragbaren. Keine Überraschung, dass Merz sich schon öfters so über die Klimaaktivist*innen äußerte: „Das sind kriminelle Straftäter“ – und sogleich eine Strafverschärfung forderte. Klare Worte, die das Schweigen verdichten.

TEILEN

Autor*innen

Andreas Speit ist Journalist und Autor und schreibt regelmäßig für die taz (tageszeitung). Seit 2005 ist er Autor der Kolumne "Der rechte Rand" in der taz-nord, für die er 2012 mit dem Journalisten-Sonderpreis "Ton Angeben. Rechtsextremismus im Spiegel der Medien" ausgezeichnet wurde. Regelmäßig arbeitete er für Deutschlandfunk Kultur und WDR. Er veröffentlichte zuletzt die Werke  "Verqueres Denken – Gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus" (2021) "Rechte Egoshooter" (Hg. mit Jean-Philipp Baeck, 2020), "Völkische Landnahme" (mit Andrea Röpke, 2019), "Die Entkultivierung des Bürgertums" (2019). Alle Beiträge

Auch interessant

Feminismus, Rechtsextremismus Frauenhasser: Wie Incels die Demokratie bedrohen Globale Gesellschaft, Rechtsextremismus, Wahlen Der Trump-Schock AfD, Globale Gesellschaft, Rechtsextremismus Erik Ahrens und die NS-Rassenbiologie LGBTQIA*, Ostdeutschland, Rechtsextremismus „Stabile“ Bürger Erinnern, Rechtsextremismus Volkssturm kurz vor Kriegsende: Bis der letzte Mann fällt Erinnern, Rechtsextremismus Das Morden hat System Klimakrise, Rechtsextremismus Von der Klimakrise zum Rechtsruck: Was Österreichs Wahl bedeutet Europa, Rechtsextremismus, Wahlen Montagslächeln: Rechtsruck Österreich AfD, Demokratie, Rechtsextremismus Warum die AfD keine demokratische Partei ist, obwohl sie demokratisch gewählt wurde AfD, Ostdeutschland, Rechtsextremismus Jetzt erst recht