LGBTQIA* Menschenrechte
Selbstbestimmungsgesetz: Der Kampf ums Ich
Zukünftig soll jeder Mensch in Deutschland Geschlecht und Vornamen selbst festlegen und beim Standesamt ändern können. Doch das geplante Selbstbestimmungsgesetz stößt auf teils heftigen Widerstand. Warum eigentlich?
In der Emma-Redaktion sind sie wütend. Richtig wütend sogar. Die Grünen wollen die Kategorien „Mann“ und „Frau“ abschaffen, heißt es dort. Außerdem die „physische wie psychische Unversehrtheit von Jugendlichen gefährden“. Harte Worte aus der Kölner Redaktion – und doch bezeichnend für eine Debatte, die seit Monaten andauert.
Es geht um das Selbstbestimmungsgesetz. Das ist Teil eines Aktionsplans, mit dem die Bundesregierung die Rechte queerer Menschen stärken will. Es soll das Transsexuellengesetz ablösen. Das stammt aus dem Jahr 1980 – und schreibt einen ziemlich diskriminierenden Weg vor. Wer seinen Geschlechtseintrag im Pass ändern möchte, muss dafür zwei psychiatrische Gutachten einholen. Das ist nicht nur ein teurer, sondern auch ein aufwühlender Prozess, in dem die Betroffenen teils sehr intime Fragen beantworten müssen. Bis ein Gericht entscheidet, können Monate vergehen. Auch wenn die Entscheidung so gut wie immer im Sinne des Antrags ausgeht, macht das Verfahren den Weg unnötig lang, teuer und kompliziert.
Das Ende eines diskriminierenden Prozesses
Zukünftig sollen sowohl Gutachten als auch ärztliches Attest wegfallen – und damit auch die dazugehörigen Kosten. Es reicht ein „einfacher Sprechakt beim Standesamt“. Jugendliche können die Erklärung mit 14 Jahren selbst abgeben, brauchen dafür aber die Zustimmung der Eltern. Sperren sich die Sorgeberechtigten, entscheidet ein Familiengericht.
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Justizminister Marco Buschmann (FDP) und Familienministerin Lisa Paus (Grüne) haben die Eckpunkte im Sommer vorgestellt; nun steht dem Selbstbestimmungsgesetz noch der übliche parlamentarische Prozess bevor. Und der könnte ähnlich emotional verlaufen wie die gesellschaftliche Debatte. Silvia Breher, die familienpolitische Sprecherin der Union, hat sich bereits gegen die Abschaffung der psychiatrischen Gutachten ausgesprochen. Und die AfD geht – erwartungsgemäß – in die Fundamentalopposition. Für sie ist der Plan „eine absolute Horrorvorstellung“, dem sich die Rechten „mit aller Kraft“ entgegenstellen wollen.
Sorgen und Ängste um das Gesetz
Die Gründe für die Ablehnung sind vielfältig und tauchen in allen gesellschaftlichen Kreisen auf – im feministischen Spektrum genauso wie am rechten Rand. Die einen reagieren mit einer spontanen Abwehrhaltung auf das für sie Unbekannte rund um Begriffe wie trans, intergeschlechtlich oder nicht-binär. Andere beharren darauf, dass es nur zwei biologische Geschlechter gibt. Manche haben Angst vor möglichem Missbrauch – etwa durch Männer, die den Geschlechtseintrag ändern, um an bestimmte Jobs zu kommen. Oder die versuchen könnten, mit neuer Identität in Schutzräume wie Frauenhäuser oder Toiletten einzudringen. Immer wieder taucht auch die Behauptung auf, trans sein ein Phänomen, ein medial befeuerter Hype – deshalb müssten vor allem Jugendliche geschützt werden, allzu leichtfertig das Geschlecht zu wechseln.
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Diese Ängste und Sorgen verleihen der Debatte um das Selbstbestimmungsgesetz einen schrillen Ton. Manche von ihnen sollten einen berechtigten Platz haben, andere lassen sich getrost ignorieren. Wichtige Punkte haben Buschmann und Paus in ihren Eckpunkten schon aufgegriffen, etwa den Umgang mit Minderjährigen. Die Tatsache, dass für eine Änderung der Geschlechtszugehörigkeit keine Operation nötig ist, ist auf mehreren Ebenen sinnig: Zum einen spiegelt sie die Erkenntnis wider, dass die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht nicht an körperlichen Geschlechtsmerkmalen hängt. Zum anderen nimmt sie Druck aus dem Transitionsprozess, der so in mehreren Schritten ablaufen kann.
Was dabei viel zu sehr aus dem Blick gerät, ist ein anderer Punkt – nämlich warum sich die Ampel überhaupt um das Thema kümmert. Und der liegt auf der Hand: Zum einen sollte es zum Selbstverständnis eines modernen, liberalen Staates gehören, diskriminierende Rechtsakte wie das Transsexuellengesetz endlich abzuschaffen. Zum anderen ist es das Schicksal derjenigen, um die es eigentlich geht. Die wenigsten von uns können sich vorstellen, was es bedeutet, nicht als der Mensch leben zu könne, der man tatsächlich ist – und das über Jahre oder Jahrzehnte. Auf dem Weg hin zu einem würdevollen und selbstbestimmten Leben sind der Geschlechtseintrag in Dokumenten wie der Krankenkassenkarte oder dem Führerschein und der Name im Pass viel mehr als reine Formalien. Sie sind identitätsprägend, denn sie entscheiden, wie ein Mensch wahrgenommen und angesprochen wird.
So macht’s Argentinien
Vielleicht sollten die, die das Gesetz so sehr fürchten und bekämpfen, einfach einen Blick nach Argentinien werfen. Dort gibt es seit mehr als zehn Jahren ein Selbstbestimmungsgesetz: Trans Menschen können ohne psychiatrische und medizinische Untersuchungen ihren Geschlechtseintrag in Geburtsurkunde und Pass anpassen lassen. Das Gesetz war ein weltweiter Meilenstein und hat in dem südamerikanischen Land den Weg für weiteren Fortschritt geebnet: So sind seit letztem Jahr ein Prozent aller Jobs im öffentlichen Bereich für trans Menschen reserviert. Auch wenn es an der Umsetzung noch hapert, zeigt das argentinische Beispiel doch, was an Umwälzungsprozessen möglich ist, wenn die Regierung mutig vorangeht.
„Die gesellschaftliche Akzeptanz wächst, wenn der Staat Menschen anerkennt, wie sie sind“, sagt Sven Lehmann von den Grünen, Queer-Beauftragter der Bundesregierung. Bis es in Deutschland soweit ist, stehen uns aber noch heftige Debatten – und wohl ein paar wütende Emma-Artikel – bevor.