AfD Rechtsextremismus
10 Jahre Sozialfeindlichkeit der AfD (3): Rassismus und Klassenrassismus des Höcke-Flügels
Zehn Jahre AfD: Im dritten und letzten Teil seiner Reihe betrachtet Andreas Kemper die Sozialfeindlichkeit des Faschisten Björn Höcke.
Am Wahlabend des 20. Januar 2013 wurde die AfD gegründet. Der Plan, als Wahlalternative 2013 mit Hilfe der Freien Wähler in den Bundestag einzuziehen, erschien aussichtslos. Bernd Lucke war als ein Spitzenkandidat in Niedersachsen angetreten, dieser erreichte jedoch nur 1,1 % der Wähler*innenstimmen. Im ersten Teil dieser Reihe hatte ich diese Entstehungsphase des ersten Sprecher*innen-Teams mit Bernd Lucke, dessen Hamburger Appell die Abschaffung des Sozialstaates forderte, mit Konrad Adam, der in der WELT offen das Wahlrecht für Arbeitslose in Frage stellte, und mit Dagmar Metzger, die dem Mises-Institut nahestand, welches nicht nur den Sozialstaat abschaffen, sondern den Staat komplett zerschlagen und durch eine totale Privatisierung ersetzen will, veröffentlicht. Im zweiten Teil habe ich das klerikal-aristokratische Netzwerk um Beatrix von Storch beleuchtet. Im dritten und letzten Teil wird nun die Sozialfeindlichkeit des Faschisten Björn Höcke genauer betrachtet.
Björn Höckes aka Landolf Ladigs Weltkriegsthesen
Faschisten wie Björn Höcke und Andreas Kalbitz traten bereits im März 2013 der AfD bei und machten sehr schnell Karriere. Kalbitz wurde aus der Partei geworfen, als seine jahrzehntelange politische Arbeit in faschistischen Organisationen bekannt wurde. Als „Strippenzieher“ muss er auch gar nicht unbedingt Parteimitglied sein. Höcke hingegen ist mit seinem Oberstudienrats-Habitus der bürgerlichen Halbbildung (Adorno) ein Repräsentant der faschistischen Bewegung, was vielleicht erklärt, warum er im Gegensatz zu Kalbitz nicht aus der Partei geworfen oder auch nur der Ämter enthoben wurde. Anlässe hierfür gab es genug.
Als ich 2014/15 aufdeckte, dass Höcke 2011/12 hinter den neonazistischen Texten unter dem Pseudonym Landolf Ladig in den Publikationen von Thorsten Heise stand, gab es innerparteilich Versuche, Höcke zu entmachten. Schließlich ging es hier nicht einfach „nur“ darum, ob Höcke in NPD-Blättern Texte verfasst habe, wie dies in verschiedenen Medien verkürzt-verharmlosend dargestellt wurde, sondern um eine Zusammenarbeit mit Thorsten Heise, der den rechten Rand der NPD repräsentiert – mit Bezügen zu rechtsterroristischen Organisationen wie dem „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) und „Combat 18“ („Kampfgruppe Adolf Hitler“). Der damalige Parteivorsitz um Bernd Lucke und Hans-Olaf Henkel forderte im Sommer 2015 daher Björn Höcke auf, er solle mich anzeigen und im Gerichtsprozess eidesstattlich erklären, er sei nicht Landolf Ladig. Ihm wurde ein Ultimatum gesetzt: Schaffe er die Vorwürfe nicht gerichtlich aus der Welt, würden ihm alle Parteiämter entzogen. Höcke hat im Laufe seines Landesparteivorsitzes der AfD Dutzende von Prozessen geführt, mich jedoch hat er trotz dieser ultimativen Aufforderung nie angezeigt. Diese Geschichte endete damit, dass mehrere tausend Mitglieder um Lucke und Henkel die AfD verließen, die Partei zwischenzeitlich bei fünf Prozent landete, unter Frauke Petry dann aber erstmals laut Umfragen über fünfzehn Prozent erreichte.
2017 kam es dann unter Frauke Petry zu einem Parteiausschlussverfahren gegen Björn Höcke. Ein Gutachten, das vom Parteivorstand der AfD in Auftrag gegeben wurde, kam wörtlich zum Schluss: Andreas Kemper habe Recht, Björn Höcke sei der Nazi Landolf Ladig. Das Verfahren wurde vom Landesschiedsgericht Thüringen mit einer nicht-öffentlichen Begründung abgeschmettert und Frauke Petry verließ zusammen mit ihrem Ehemann Marcus Pretzell und einigen Getreuen wenig später die Partei. Jörg Meuthen, der 2022 die AfD verließ, begründete nachträglich, warum er als Parteivorsitzender Kalbitz (aber nicht Höcke) aus der Partei entfernte, damit, dass dies in der Partei nicht machtbar gewesen sei. Schon bei Kalbitz war es ein knappes Ergebnis gewesen.
Von Energieknappheit bis zu Präventivkriegen
Es geht in diesem Artikel zur Sozialfeindlichkeit der AfD bei der Frage der Identität von Höcke mit Ladig nicht um „Kontaktschuld“, sondern vor allem darum, was Höcke kurz vor seinem Eintritt in die AfD unter dem Pseudonym „Landolf Ladig“ verfasste. In einem früheren Campact-Beitrag bin ich bereits darauf eingegangen, dass Höcke/Ladig in dem Nazi-Blatt „Volk in Bewegung“ eine Energieknappheit voraussagte, die die Möglichkeit einer Revolution in Aussicht stellte, auf die die nationalistische Systemopposition sich vorzubereiten habe.
Höcke/Ladig vertritt die Auffassung, „daß eben nicht die Aggressivität der Deutschen ursächlich für zwei Weltkriege war, sondern letztlich ihr Fleiß, ihre Formliebe und ihr Ideenreichtum. Das europäische Kraftzentrum entwickelte sich so prächtig, daß die etablierten Machtzentren sich gezwungen sahen, zwei ökonomische Präventivkriege gegen das Deutsche Reich zu führen. Der zweite Krieg war allerdings nicht nur ökonomisch motiviert, sondern darf auch als ideologischer Präventivkrieg angesprochen werden, hatte sich im nationalsozialistischen Deutschland doch eine erste Antiglobalisierungsbewegung staatlich etabliert, die, wären ihr mehr Friedensjahre zur Erprobung vergönnt gewesen, wahrscheinlich allerorten Nachahmer gefunden hätte.“ (Höcke 2011)
Der Zweite Weltkrieg war also laut Höcke/Ladig ein ökonomisch-ideologischer Präventivkrieg fremder Mächte gegen die Antiglobablisierungsbewegung im nationalsozialistischen Deutschland. Hier sollte man sich vor Augen führen, dass der Zweite Weltkrieg mit dem deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939 begann. Wie sah zu diesem Zeitpunkt die „Antiglobalisierungsbewegung“ im Nationalsozialismus aus?
Exkurs zur NS-Wirtschaftpolitik
Da ich weder Historiker, noch Wirtschaftsexperte bin, beziehe ich mich auf den Artikel „Wirtschaft und Gesellschaft unterm Hakenkreuz“ von Hans-Ulrich Thamer, abgedruckt 2005 bei der Bundeszentrale für politische Bildung.
In den 1930er Jahren erholte sich die Weltwirtschaft von ihrer Krise Ende der 1920er und auch die deutsche Industrie profitierte von den drastisch gesunkenen Arbeiter*innenlöhnen. Und Hitler hatte bereits 1933 verkündet, dass im Kampf gegen das „internationale Judentum“ eine „Wiederwehrhaftmachung des deutschen Volkes“ notwendig sei. Die Rüstungsausgaben stiegen von „720 Millionen Reichsmark im Jahre 1933 auf 10,8 Milliarden Reichsmark bereits im Jahre 1937“ (Thamer 2005). Die Finanzierung der 90 Milliarden Reichsmark für die Aufrüstung wurde vor allem mit Wechsel für die Rüstungsindustrie, für die der Staat die Bürgerschaft übernahm, praktiziert. Diese Praxis war aufgrund des Inflationsrisikos nur bis 1938 vorgesehen, wurde ab diesem Zeitpunkt stattdessen aber noch erheblich ausgedehnt. Zugleich kapselte sich das Regime vom Weltmarkt ab und baute eine autarke Struktur auf, ebenfalls vor allem aus dem Grund, im Kriegsfall autark zu sein. Allerdings behielt sie das kapitalistische System bei. Thamer: „Die kapitalistische Wirtschaftsstruktur wurde nicht abgeschafft, sondern auf ein vorrangiges Ziel ausgerichtet“ (ebd.), nämlich die Aufrüstung. Die Gewerkschaften waren bereits am 2. Mai 1933 zerschlagen worden und auch die NS-Gewerkschaftsbewegung der Nationalsozialistischen Betriebsorganisationen (NSBO) wurden schon im November 1933 wieder abgeschafft und durch ein „Führerprinzip im Betrieb“ (ebd.) und ein autoritäres Überwachungssystem von „Betriebs-, Straßen- und Blockwarten“ (ebd.) ersetzt. Auch Arbeitsrechte wurden abgeschafft, beispielsweise die Möglichkeit der freien Arbeitsplatzwahl. 1935 führte die NSDAP die „Arbeitsdienstpflicht“ ein.
Entgegen aller Versprechungen litt der Mittelstand eher unter der NS-Wirtschaftspolitik, die vor allem die Rüstungsindustrie-Konzerne puschte. Beschwichtigt wurden große Teile des Mittelstandes durch die verklärende NS-Ideologie und die Plünderung jüdischer Geschäfte und Vermögen – auch diese als „Arisierungen“ bezeichneten Maßnahmen begannen bereits vor dem Krieg.
Ideologisch wurden Frauen im Nationalsozialismus zu Gebärmaschinen für das Vaterland erklärt, ihr Ort sei das Heim. Tatsächlich wurden Frauen im Nationalsozialsozialismus aber von qualifizierten, gut bezahlten, in unqualifizierte, schlecht bezahlte Berufe gedrängt.
Im Mai und Juni 1938 wurden mit der Aktion „Arbeitsscheu Reich“ Menschen, unter ihnen viele Jüd*innen, verhaftet und in KZs interniert, weil sie nicht dem NS-Konzept von Volksgemeinschaft und deutscher Arbeitsfront entsprachen. Hierauf möchte ich im übernächsten Abschnitt konkreter eingehen. Doch zunächst noch ein paar Worte zur sogenannten „Antiglobalisierungsbewegung“.
Höckes „Antiglobalisierungsbewegung“
Der Begriff „Globalisierung“ entstand erst in den 1960er Jahren und wurde im Nationalsozialismus nicht verwendet. Statt von „Globalisierung“ wurde von „Internationalismus“ gesprochen. Wenn Höcke also von einer „Antiglobalisierungsbewegung“ im nationalsozialistischen Deutschland spricht, dann meint er damit die Bewegung gegen das internationale Finanzkapital und das war im Nationalsozialismus ohne jeden Zweifel die Bewegung gegen das von den Nazis so genannte „internationale Judentum“.
Es gab im Nationalsozialismus keine Bewegung eines Anti-Internationalismus, die nicht zugleich auch antisemitisch war. Das zu wissen, unterstelle ich dem Geschichtslehrer Björn Höcke. Bereits im 19. Jahrhundert sprachen Marr und Treitschke von einer Gefahr des internationalen Judentums. Anfang des 20. Jahrhunderts tauchten die gefälschten „Protokolle der Weisen von Zion“ auf. Hitler kennzeichnete das „Weltjudentum“ bereits in den 1920er Jahren als Hauptfeind. Im Januar 1939, noch vor Kriegsbeginn, wurde das „internationale Judentum“ zu „dem“ Problem ernannt. Und in seinem „Politischen Testament“, welches er unmittelbar vor seinem Suizid diktierte, heißt es bei Hitler: „Es ist unwahr, dass ich oder irgendjemand anderer in Deutschland den Krieg im Jahre 1939 gewollt haben. Er wurde gewollt und angestiftet ausschliesslich von jenen internationalen Staatsmännern, die entweder jüdischer Herkunft waren oder für jüdische Interessen arbeiteten. […] Es werden Jahrhunderte vergehen, aber aus den Ruinen unserer Städte und Kunstdenkmäler wird sich der Hass gegen das letzten Endes verantwortliche Volk immer wieder erneuern, dem wir das alles zu verdanken haben: dem internationalen Judentum und seinen Helfern. […] Vor allem verpflichte ich die Führung der Nation und die Gefolgschaft zur peinlichen Einhaltung der Rassegesetze und zum unbarmherzigen Widerstand gegen den Weltvergifter aller Völker, das internationale Judentum.“ (Hitler 1945)
Der Text Höckes „Krisen, Chancen und Auftrag“ unter dem Pseudonym „Landolf Ladig“ in der neonazistischen Zeitschrift „Volk in Bewegung“ übernimmt nicht nur Hitlers Deutung, dass fremde Mächte für den Krieg verantwortlich seien, weil sich hier eine „Antiglobalisierungsbewegung“ / „Bewegung gegen das Internationale Judentum“ etabliert habe; er liest sich wie eine Übernahme des Auftrags von Hitlers, wie die Absicht der Vollstreckung seines Testaments:
Höcke aus dem Beamtenverhältsnis entlassen!
Ein Faschist, der Kinder unterrichtet? Dagegen wehrt sich Ulf Berner auf WeAct, der Petitionsplattform von Campact. Er fordert: Björn Höcke muss der Beamtenstatus entzogen werden. Unterzeichne hier die Petition!
„Trotz der beinahe totalen Zerschlagung des europäischen Zentrums ist hier die Glut immer noch nicht erloschen. Eine kleine politische Avantgarde existiert, die in der Lage ist, dieser Welt den Weg aus der kapitalistischen Sackgasse zu weisen. Ob sie sich eine Chance erkämpfen kann, hängt auch von den äußeren Umständen ab. […] Sollte die Menschheit weiter wachsen, wird die Natur ihre seit Jahrmillionen erprobten Selbstregulierungsmechanismen in Gang setzten. Wenn der große Hunger eine neue Wolfszeit einleitet, wird der heute herrschende Humanitarismus lange vergessen sein. Schon einige Dekaden vorher wird der Mangel, die Industrieländer eingeschlossen, überall bemerkt werden. Man spricht in diesem Zusammenhang von Peak Oil, Peak Soil und Peak Everything. […] Der Zusammenbruch globaler Wertschöpfungsketten könnte nicht nur spürbare Auswirkungen auf den Handel und das Preisgefüge haben, sondern recht rasch Engpässe bei der Versorgung mit lebenswichtigen Gütern hervorrufen. […] Der Systemkollaps wäre wohl unausweichlich. Wenn in dieser Situation dann bereits eine allgemeine und anhaltende Vertrauenskrise gegenüber zentralen staatlichen Institutionen und der Problemlösungsfähigkeit der Politik besteht, wie sie sich seit dem Beginn der Finanzkrise 2008 in stetig wachsendem Maße manifestiert, wird eine politische Revolution denkbar. […] Begreift sich die identitäre Systemopposition als in der Tradition der deutschen Ideenschmiede stehend und begehrt sie politischen Führungsanspruch, muß sie jetzt beginnen, die Fragen einer mittelfristigen Zukunft zu beantworten.“
Höcke schrieb diesen Text als Geschichtslehrer (der er formal noch immer ist, nur freigestellt aufgrund seiner Tätigkeit als Landtagsmitglied; hier besteht dringender Handlungsbedarf) ein Jahr vor Gründung der AfD und trat parallel mit Neonazis wie Andreas Kalbitz bereits im März 2013 in die AfD ein, um dort seine Agenda fortzuführen.
Rassenhygiene, Familismus und Bevölkerungspolitik
Integraler Bestandteil der Wirtschafts- und Arbeitspolitik im Nationalsozialismus war deren rassenhygienische Bevölkerungspolitik. Das Konzept der Rassenhygiene entstand Anfang des 20. Jahrhunderts, als in den Besserungs- und Korrektionsanstalten für Alkoholiker*innen, Alleinerziehende, Prostituierte, „schwererziehbare“ Jugendliche, Obdachlose, also kurz: für die Menschen, die als „Asoziale“ bezeichnet wurden, deutlich wurde, dass sich diese Menschen auch mit den brutalsten Maßnahmen nicht „korrigieren“ ließen zu den ausbeutbaren Arbeiter*innen, die man gerne gehabt hätte. Ich zitiere den Anstaltsarzt Monkemöller zur Inhaftierung „pflichtvergessener Mütter“ in Korrektionsanstalten und Armenhäusern. Dieser zeigt sich pessimistisch hinsichtlich der Korrektionsmöglichkeiten, begrüßte aber trotzdem die Maßregel der Inhaftierung:
„Vor allem aber ist eine Durchführung dieser Maßregel ist eines der wenigen prophylaktischen Mittel, die das Gemeinwesen zur Verfügung hat, um die vielen Schädlinge, die an ihm nagen, auszurotten. Wenn es sich seiner Haut wehrt, will ich nicht einmal den Hauptakzent auf die pekunären Vorteile legen, die es durch die Unschädlichmachung dieser gefühllosen Naturen sich erwirbt. Die Hauptursache ist jedenfalls die, daß sie für die Zeit, die sie im Armenhaus verbringen, gehindert werden, die Welt mit einer recht entbehrenswerten Nachkommenschaft zu beschenken. Was sie zur Welt bringen, wird dereinst sicher zum Fähnlein der Degenerierten und erblich Belasteten stoßen. Praktisch wird so daß erreicht, was man durch das sonst nicht durchführbare Verbot der Heiraten Geisteskranker zu erreichen sucht – es wird eine Quelle der Degeneration verstopft.“ (Monkemöller 1908: 218)
Wenn also die Korrektionsanstalten daran scheitern, die einzelnen Menschen zu korrigieren, muss die Bevölkerungsentwicklung korrigiert werden: Die nicht-korrigierbaren Menschen dürfen erst gar nicht geboren werden. Dies war der Beginn der Sozialeugenik und der Rassenhygiene, die dann in den Vernichtungs- und Züchtungsprogrammen der NS-Politik voll entfaltet wurde. Der NS-Rassismus richtete sich in erster Linie gegen Jüd*innen und dann gegen alle „nicht arischen Rassen“. Diesem Rassismus liegt aber auch ein dynamischer Rassenbegriff zugrunde, denn ebenso, wie mit einer „Züchtung“ eine Verbesserung der „Rasse“ erzeugt werden kann, droht andererseits ständig die Dekadenz und Degenerierung der eigenen „Rasse“. Erforderlich sei daher die Rassenhygiene mit der Parole „Halte deine Rasse sauber“, zu der auch Hitler in seinem letzten Satz seines politischen Testaments implizit aufrief. Diese richtete sich dann nicht nur gegen „fremde Rassen“, sondern auch gegen Menschen „der eigenen Rasse“, nämlich gegen diejenigen, die nicht im Sinne der Nazis „arbeitsfähig“ waren, sondern eine wirtschaftliche „Belastung“ darstellten: Menschen, die nicht den körperlichen oder geistigen Nazi-Normen entsprachen oder die als Frauen gegen das Idealbild der Nazis verstießen.
Ein Bekannter von mir, Paul Wulf, wurde als Sohn einer verarmten Arbeiter*innenfamilie zwangssterilisiert. Weil sie ihn aufgrund der Armut nicht ernähren konnten, gaben sie ihn in ein Kinderheim. Mit der Diagnose „erblicher Schwachsinn“ wurde er zwangssterilisiert. Paul Wulf erhielt auch nach dem Zweiten Weltkrieg nie eine vernünftige schulische Ausbildung, was ihn allerdings nicht daran hinderte, zu den Tätern der Rassenhygiene zu recherchieren. Als Hilfsgärtner an der Uniklinik Münster fiel ihm auf, dass dort der Mediziner Verschuer anzutreffen war. Wulf machte publik, dass der 1951 zum Dekan der Uni-Klinik ernannte Otmar Freiherr von Verschuer eine NS-Vergangenheit hatte. Er war der Doktorvater vom Auschwitz-„Arzt“ Mengele und von 1942 bis 1948 Chef des Dahlemer „Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik“ und ließ sich von seinem Doktoranden Mengele Leichenteile von Auschwitz nach Dahlem schicken, um erbbiologische Forschung zu betreiben. Nach 1945 war der „Dahlemer Kreis“ unter Verschuer weiter eugenisch-bevölkerungspolitisch aktiv. Unter anderem war Verschuer 1961 beteiligt an der Gründung der internationalen sozial- und rassen-eugenischen Zeitschrift „Mankind Quarterly“, finanziert vom Pioneer Fund. Und hier schließt sich wieder der Kreis zu Höcke.
Lies hier die ersten beiden Artikel der Reihe
Autor bei Mankind Quarterly war J. Philippe Rushton, der von 2002 bis 2012 Vorsitzender des Pioneer Fund war und zuvor bereits 700.000 US-Dollar Fördergelder von dieser rassistischen Stiftung erhielt, um unter anderen sein Hauptwerk „Rasse, Evolution und Verhalten“ zu schreiben. Hier vertritt er die These, dass sich die Arterhaltungsstrategien der „Großrassen“ unterscheiden würden. Während die afrikanische „Rasse“ die biologische r-Strategie verfolge, nämlich viele Kinder zu gebären, von denen nur wenige überlebten, würden die kaukasische und asiatische „Rasse“ die K-Strategie verfolgen: Sie erfanden die fürsorgende Familie, bekämen weniger Kinder, sorgten sich aber besser um sie, und mit dem Konzept der Familie, welches Afrikaner*innen artfremd sei, wäre zugleich die Keimzelle für die entstehende Hochkultur gelegt worden.
Höcke vertrat diese rassenbiologische These dezidiert in einem Vortrag beim „III. Staatspolitischen Kongress ‚Ansturm auf Europa'“ am 21. November 2015 beim Institut für Staatspolitik in Schnellroda, welcher über den Antaois-Verlag des Instituts das Rushton-Buch vertreibt. Konkret sagte Höcke: „In Afrika herrscht nämlich die sogenannte Klein-R-Strategie vor, die auf eine möglichst hohe Wachstumsrate abzielt. Dort dominiert der sogenannte Ausbreitungstyp. Und in Europa verfolgt man überwiegend die Groß-K-Strategie, die die Kapazität des Lebensraums optimal ausnutzen möchte. Hier lebt der Platzhaltertyp. Die Evolution hat Afrika und Europa vereinfacht gesagt zwei unterschiedliche Reproduktionsstrategien beschert. Sehr gut nachvollziehbar für jeden Biologen. Das Auseinanderfallen der afrikanischen und europäischen Geburtenrate wird gegenwärtig natürlich noch durch den dekadenten Zeitgeist verstärkt, der Europa fest im Griff hat. Kurz: Im 21. Jahrhundert trifft der lebensbejahende afrikanische Ausbreitungstyp auf den selbstverneinenden europäischen Platzhaltertyp.“ (Höcke 2015)
Der Pioneer Fund, der bereits den NS-Propagandafilm „Erbkrank“ in den Vereinigten Staaten verbreitete, hat mit den 700.000 Dollar für Rushton gezielt eine Theorie entwickeln lassen, die extrem perfide einen Zusammenhang von „Rassen“, Familien- und Kulturfähigkeit herbei phantasiert. Und ich überlasse es der Phantasie der Leser*innen dieses Artikels, sich die Politik einer Regierung auszumalen, die sich diesen biologistischen Rassismus einer rassengenetisch verankerten Familien- und Kulturunfähigkeit zu eigen macht. Wichtig ist der Hinweis, dass die von den Rechten propagierte Politik der sogenannten „Traditionelle Familie“ nur für die vermeintlichen Träger*innen der Hochkultur gilt. „Artfremde“ aber auch „Asoziale“ sollen besser von Familiengründungen fern gehalten werden. Der Familismus zeigt sich hier nicht nur als Pro-Familismus, sondern auch als rassistischer/rassenhygienischer Anti-Familismus.
Höcke provoziert nicht, er beißt sich auf die Lippen
Höckes Übernahme von Rushtons rassenbiologischen Thesen impliziert nicht nur eine rassistische Migrationspolitik, sondern die Denkweise der Rassenbiologie umfasst natürlich auch das gesamte Konzept der Rassenhygiene, also auch „Degenerations-“ und „Entartungstendenzen“ der „eigenen Rasse“. Wäre die AfD ein oder zwei Jahre später entstanden, hätte Höcke/ Ladig seine Artikelserie von 2011/2012 vielleicht noch 2013 fortsetzen können und gegebenenfalls noch offener ausgeführt, was Rassenbiologie für ihn in der sozialpolitische Umsetzung heißt. Auch wenn es schwer zu glauben ist, müssen wir davon ausgehen, dass Höcke als Landespolitiker sich mit der Äußerung seiner wirklichen Gedanken zurückhält. Er provoziert nicht, im Gegenteil: Er beißt sich auf die Lippen, denn er weiß, dass das, was er im Nazi-Blatt „Volk in Bewegung“ unter Pseudonym geäußert hat, ihn heute seinen Parteiposten kosten könnte. Selbst noch in der AfD.
Literatur:
Hitler, Adolf (1945): Mein politisches Testament
Höcke, Björn (2015): Asyl – eine politische Bestandsaufnahme. Vortrag beim Institut für Staatspolitik, Schnellroda
Ladig, Landolf (2011): Krisen, Chancen und Auftrag, in: Volk in Bewegung. Nr. 5/2011, S. 6-9
Monkemöller, Otto (1908): Korrektionsanstalt und Armenlandhaus. Ein soziologischer Beitrag zur Kriminalität und Psychopathologie des Weibes, Leipzig
Rushton, J. Philippe (2005): Rasse, Evolution und Verhalten. Eine Theorie der Entwicklungsgeschichte. Ares-Verlag, Graz
Thamer, Hans-Ulrich (2005): Wirtschaft und Gesellschaft unterm Hakenkreuz, in: Bundeszentrale für politische Bildung