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Kreuz und queer

Mit 800.000 Beschäftigten ist die katholische Kirche eine der größten Arbeitgeberinnen in Deutschland. Immer wieder mischt sie sich in das Privatleben ihrer Mitarbeiter*innen ein. Das ist vor allem für queere Menschen ein Problem. Nun haben die Bischöfe das kirchliche Arbeitsrecht reformiert. Gehen die Pläne weit genug?

Kreuz und queer: Kein Sonderarbeitsrecht für Kirchen
Ein Herzluftballon in den Farben der LGBTQ vor dem Kölner Dom / Foto: Chris Emil Janßen, Imago

Ich bin schon lange aus der Kirche ausgetreten. Gründe gab’s genug. Eine Sache aber hat mich zögern lassen: meine Mutter. Die arbeitete damals nämlich für einen kirchlichen Träger. Ich war mir nicht sicher, ob sie meinen Austritt vielleicht zu spüren bekommt. Denn die Kirche ist bekannt dafür, sich für das Privatleben ihrer Angestellten zu interessieren – und Konsequenzen zu ziehen, sobald sie auf etwas stößt, das ihr nicht gefällt.

Für Mitarbeiter*innen der katholischen Kirche gilt das kirchliche Arbeitsrecht. Und das hat es in sich: Schwul, lesbisch, geschieden, wiederverheiratet – wer privat gegen katholische Glaubens- und Sittenlehre verstößt, musste bislang mit harten Konsequenzen bis hin zur Kündigung rechnen.

Vor dem Gesetz sind nicht alle gleich

Der Grund liegt in unserer Verfassung. „Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes“, heißt es im Grundgesetz. Das sogenannte Selbstbestimmungsrecht stammt noch aus der Weimarer Reichsverfassung und hat es nach dem Krieg ins Grundgesetz geschafft. Es räumt der Kirche bis heute weitgehende Rechte und Eingriffsmöglichkeiten in der Arbeitswelt ein – und macht Menschen, die nicht ins Weltbild der Kirche passen, das Leben schwer. 

WeAct-Petition: Kein Sonderarbeitsrecht für Kirchen 

Das regt viele Menschen auf. So wie Martin Becker aus dem fränkischen Arnstein. 2021 startete er eine Petition auf WeAct, der Petitionsplattform von Campact, die bis heute fast 100.000 Menschen unterzeichnet haben.

Das kirchliche Arbeitsrecht ist mit meinem Menschenbild unvereinbar – gerade weil das Leitbild der Kirche eigentlich die Nächstenliebe sein sollte.

WeAct-Petent Martin Becker

Wie Becker finden es viele Christ*innen nicht mehr haltbar, dass der Arbeitgeber Kirche so stark in das Privatleben von Erzieher*innen, Pflegekräften oder Religionslehrer*innen eingreifen kann.

2021 bündelte sich der Widerstand an der Basis gleich mehrfach: Anfang des Jahres outeten sich Hundert Gläubige, die im Dienst der katholischen Kirche stehen, in der ARD-Doku „Wie Gott uns schuf“. Kurz darauf erhöhte die Initiative Out in Church den Druck und übergab bei der Frühjahrsvollversammlung der Bischöfe rund 117.000 Unterschriften. Der Limburger Bischof Georg Bätzing, Vorsitzender der Konferenz, kündigte daraufhin an, das Arbeitsrecht ändern zu wollen.

Die Kirche bewegt sich – ein bisschen

Ein halbes Jahr später war es dann soweit: Im November 2021 verabschiedeten die Bischöfe ein überarbeitetes kirchliches Arbeitsrecht. „Der Kernbereich privater Lebensgestaltung unterliegt keinen rechtlichen Bewertungen und entzieht sich dem Zugriff des Dienstgebers“, heißt es in der sogenannten „Grundordnung des kirchlichen Dienstes“. Das soll „insbesondere das Beziehungsleben und die Intimsphäre“ umfassen. Für die katholische Kirche ein großer Schritt – aber reicht der aus? 

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Nicht wirklich. Zum einen hat der Beschluss der Bischöfe erst einmal nur empfehlenden Charakter. Die Bistümer müssen ihn nun in diözesanes Recht umsetzen. Zum anderen ist es immer noch die Kirche, die die Spielregeln bestimmt. Sie mag sich öffnen und der Lebenswirklichkeit der Menschen im Land annähern – anderen Beschäftigten komplett gleichgestellt sind die Angestellten der Kirche damit aber noch immer nicht. Um nur ein Beispiel zu nennen: Die sexuelle Orientierung der Mitarbeitenden soll zukünftig kein Problem mehr sein – die geschlechtliche Identität wird jedoch nicht erwähnt.

Der Staat ist dran

Auch ver.di gehen die Reformschritte nicht weit genug. Den Arbeitgebern vor Ort bleibe noch viel Spielraum für Willkür, kritisiert die Gewerkschaft. Beschäftigte können immer noch ihre Stelle verlieren, wenn sie aus der Kirche austreten. Zudem sei sogenannte „kirchenfeindliche Betätigung“ weiterhin ein Kündigungsgrund. Was genau das umfasse, lege jedoch die Kirche selbst fest. „Die Bischöfe haben erneut gewichtige Argumente für ein Eingreifen des Gesetzgebers geliefert. Die Bundesregierung muss die nötigen Konsequenzen ziehen“, findet ver.di-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler.

Das kannst Du jetzt machen

Das deckt sich mit den Forderungen von Martin Becker. Seine Petition auf WeAct ist immer noch aktuell. Hunderttausende Beschäftigte der katholischen Kirche sind erst dann wirklich geschützt, wenn das Sonderarbeitsrecht vollständig abgeschafft ist. Unterzeichne jetzt, damit sich Justizminister Marco Buschmann (FDP) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) mit der angekündigten Reform der katholischen Kirche nicht zufriedengeben.

Unterzeichne hier die WeAct-Petition für eine Abschaffung des Sonderarbeitsrechts
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Autor*innen

Henrik Düker ist Politikwissenschaftler und Soziologe. Bei Campact arbeitet er als Redakteur, im Blog beschäftigt er sich vor allem mit LGBTQIA+-Themen. Alle Beiträge

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