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Licht im Schatten: Schritte zu einer Welt ohne Todesstrafe

Im Iran werden Protestierende öffentlich hingerichtet. Das Regime will die Bevölkerung mit Gewalt zum Schweigen bringen. Doch nicht nur Iran hält an der Todesstrafe fest – auch Länder wie China, Indien und die USA setzen sie ein.

Ein Strick hängt an einem Galgen, im Hintergrund ist eine iranische Flagge zu sehen. Das Bild wurde bei einer Demonstration von Iraner*innen in Berlin aufgenommen.
Mit einem Galgen machen Iraner*innen bei einer Demo in Berlin auf die Gräueltaten des Regimes im Iran aufmerksam. Foto: IMAGO

Mit 23 trat ich einer noch kleinen und (wie ich fand) revolutionären Oppositionspartei bei. Außer Zeit und Nerven kostete mich das nichts. Ich studierte Philosphie und traf mich mit Kommiliton*innen, um im Café die ganz großen Fragen zu diskutieren. Leise sprechen mussten wir dabei nie. Ich überquerte alle paar Wochen problemlos Ländergrenzen, weil mein Freund im Ausland lebte. Echte Risiken musste ich nie eingehen (und muss es noch heute nicht). Was hast Du mit 23 gemacht? Falls Du jünger bist: Was willst Du mit 23 gerade machen? Eine große Backpacking-Reise, ein Auslandssemester, die fertige Ausbildung feien?

Mohsen Shekari und Majidreza Rahnavard waren 23 Jahre alt, als sie nach unfairen Scheinprozessen am 8. und 12. Dezember hingerichtet wurden. Sie hatten an regierungskritischen Protesten im Iran teilgenommen. Mohsen Shekari wurde am 8. Dezember hingerichtet, Majidreza Rahnavard am 12. Dezember. Zahlreichen weiteren Protestierenden droht die Todesstrafe, viele werden während der Proteste getötet, darunter auch Minderjährige.

Abschaffung der Todesstrafe – ein Hoffnungsschimmer?

Inmitten dieser Hiobsbotschaften gab es drei Tage nach Majidreza Rahnavards öffentlicher Hinrichtung aber auch eine positive Nachricht, ein wenig Licht im Schatten – und die liest sich so: „The General Assembly (…) calls upon all states (…) to establish a moratorium on executions with a view to abolishing the death penalty.“

Am 15. Dezember machte die Staatengemeinschaft nämlich einen historischen Schritt in Richtung einer Welt ohne Todesstrafe. Bei der UN-Generalversammlung stimmten 125 der 183 UN-Mitgliedsstaaten für eine Resolution, die sich für ein Todesstrafen-Moratorium ausspricht – die größte Zustimmung, die bisher je erreicht werden konnte. Einen Monat zuvor fand in Deutschland der Internationale Weltkongress zur Abschaffung der Todesstrafe statt. Gastgeber*innen waren Außenministerin Annalena Baerbock und Justizminister Marco Buschmann, die mit über 1500 angereisten Menschenrechtsverteidiger*innen, Politiker*innen und Wissenschaftler*innen aus 128 Ländern über notwendige Schritte zur Abschaffung der Todesstrafe diskutierten. Sambia und Liberia verkündeten auf der Veranstaltung in Berlin, keine Hinrichtungen mehr durchführen zu wollen. Die französische Anti-Todesstrafe-NGO ECPM, die den Kongress ins Leben gerufen hat, erklärte 2022 zu einem „Jahr großartiger Siege für die Abschaffungsbewegung“. Noch nie habe ein Jahr so viele Fortschritte gebracht.

Auf die Hinrichtungen im Iran hat das leider keine unmittelbaren Auswirkungen. Die UN-Resolution ist rechtlich nicht verbindlich. Dennoch ist die Abstimmung ein gutes Zeichen, sie erzeugt politisch-moralischen Druck und belegt einen Trend: Bei der Gründung der UN 1945 hatten nur acht der damals 51 Mitgliedsstaaten die Todesstrafe abgeschafft. Im Jahr 2021 fand dagegen in 175 Mitgliedsstaaten keine Hinrichtung statt, was einem Anteil von über 90 Prozent entspricht. Eine deutliche Mehrheit hat sie auch gesetzlich abgeschafft.

Zwei Drittel aller Menschen leben in Ländern mit Todesstrafe

Weil unter den Ländern, die an der Praxis festhalten, die bevölkerungsreichsten Länder der Welt sind – China, Indien, die USA, Indonesien, Pakistan und Nigeria – , gilt umgekehrt trotzdem: Noch immer leben zwei Drittel der Weltbevölkerung in Staaten, in denen ihnen die Todesstrafe droht. Und obwohl jede positive Stimme für die UN-Resolution eine gute Nachricht ist, ist nicht bei allen klar, ob sie im eigenen Land eigentlich wirklich ernst genommen wird. Myanmar etwa hat im Dezember erstmals für das Todesstrafen-Moratorium gestimmt. Zugleich verurteilten die Behörden der Militärregierung 2021 in einer augenscheinlich gezielten Repressionskampagne gegen Demonstrierende und Journalist_innen beinahe 90 Menschen willkürlich zum Tode, mehrere von ihnen in Abwesenheit. Zivilpersonen wurden nach dem eingesetzten Kriegsrecht vor Militärgerichte gestellt, wo sie in Eilverfahren zum Tode verurteilt wurden und keine Rechtsmittel einlegen konnten. Die Militärregierung ist damit für einen drastischen Anstieg an Hinrichtungen in Myanmar verantwortlich.

Wie Myanmar nutzen auch andere Länder die Todesstrafe wieder vermehrt als Werkzeug zur gezielten Unterdrückung und Einschüchterung von Protestierenden und Minderheiten, darunter Belarus und der Iran. Belarus ist nicht nur der letzte Staat in Europa und Zentralasien, der die Todesstrafe noch anwendet – er weitete dies 2022 sogar noch aus. Auch für „versuchte terroristische Akte“ droht jetzt der Tod. Das ist alarmierend, denn die belarussischen Behörden bezeichnen auch politischen Protest als „Terrorismus“, wie Marie Struthers, Direktorin von Amnesty International für Osteuropa und Zentralasien, erklärt: „Inmitten eines erstickend repressiven politischen Klimas in Belarus droht Regierungsgegnern jetzt, erschossen zu werden, wenn sie es wagen, sich zu äußern.“ Nach Angaben des belarussischen Menschenrechtszentrums Viasna wurden bereits Dutzende politische Aktivist*innen wegen „versuchtem Terrorismus“ angeklagt. Vermutlich ist das neue Todesstrafen-Gesetz eine Reaktion auf Sabotageaktionen gegen das Eisenbahnnetz. Mit ihnen wollten Gegner*innen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine Berichten zufolge verhindern, dass in Weißrussland stationierte russische Streitkräfte die Grenze in die Ukraine überqueren.

Im Iran wurde 2022 in den ersten 6 Monaten durchschnittlich mindestens eine Person pro Tag hingerichtet. Die tatsächliche Zahl ist wegen der behördlichen Geheimhaltung vermutlich noch viel höher. Seit Beginn der Massenproteste werden Todesurteile gezielt gegen die Demonstrant*innen eingesetzt. Unverhältnismäßig häufig werden im Iran außerdem Angehörige ethnischer Minderheiten hingerichtet, etwa Belutsch*innen und Kurd*innen, sowie Menschen aus der LGBTIQ+-Community. Zuvor erhalten sie Anklagen wie „Feindschaft zu Gott“, erleiden unfaire Prozesse, Folter und sexualisierte Gewalt. Selbst zum Tatzeitpunkt Minderjährige wurden im Iran hingerichtet, obwohl das Völkerrecht dies verbietet. Nach China – das Hinrichtungen so geheim hält, dass keine belastbaren Zahlen vorliegen, Schätzungen gehen aber von Tausenden aus – war der Iran damit 2021 für den zweitgrößten Teil der weltweiten Hinrichtungen verantwortlich. Es folgten Ägypten, Saudi-Arabien und Syrien.

Werde aktiv: So kannst Du Dich engagieren

Hier kannst Du mehr über den Appell mit dem Woman*-Life-Freedom-Kollektiv erfahren. Gleich lesen und unterzeichnen!

Während Du diesen Text liest, sind im Iran mindestens weitere 26 Menschen in Gefahr, in Zusammenhang mit den aktuellen Protesten hingerichtet zu werden. Unter dem Motto „Stop killing the future generation of Iran!“ finden deshalb Mahnwachen vor der iranischen Botschaft in Berlin statt – die nächste am kommenden Freitag. Wer dabei sein kann, findet hier mehr Informationen. Für diejenigen, die nicht mal eben nach Berlin reisen können, gibt es viele Möglichkeiten, sich online einzusetzen: Amnesty International hat eine Aktionsseite zu drohenden Hinrichtungen iranischer Protestierender eingerichtet und Campact mit dem Woman*-Life-Freedom-Kollektiv einen Appell aufgesetzt.

Allgemeine und aktuelle Informationen zur Todesstrafe weltweit gibt es bei der internationalen Dachorganisation World Coalition Against the Death Penalty. Wer sich gerne gute, wenn auch nicht einfache Filme zum Thema ansehen möchte, findet hier Tipps – zum Beispiel den iranischen Berlinale-Gewinner „Doch das Böse gibt es nicht“. 2022 war ein Jahr voll schlechter Nachrichten und zugleich ein gutes Jahr für den weltweiten Kampf gegen die Todesstrafe – mit Deiner Unterstützung könnte 2023 noch besser werden!

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Autor*innen

Lena Rohrbach ist Referentin für Menschenrechte im digitalen Zeitalter und Rüstungsexportkontrolle bei Amnesty International. Sie hat als Campaignerin für Campact und im Journalismus gearbeitet und war Sprecherin der Piratenpartei. Lena hat Philosophie, Kulturwissenschaft und Geschichte in Berlin und International Human Rights Law an der University of Nottingham studiert. Auf Twitter ist sie als @Arte_Povera unterwegs. Alle Beiträge

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