Klassismus
Vetternwirtschaft – ein Kommentar zu #nepobaby
Ob Louis Klamroth, Hailey Bieber oder die Ochsenknecht-Kinder – Soziologin Katharina Warda fordert: Es wird Zeit über intergenerationelle vetternwirtschaftliche Strukturen zu reden.
Ich war gerade auf Instagram, meine drei drängendsten Informationsbedürfnisse befriedigen:
- Koalabären-Babys (so süß!)
- Beispiele gelungener Inneneinrichtung mit Holzvertäfelung
- Vegetarisches #comfortfood fürs Abendessen
… als plötzlich überall das Bild auftauchte von Hailey Bieber, Model und Ehefrau von Justin Bieber: wie sie aus dem Auto steigt, mit T-Shirt mit der Aufschrift „Nepo Baby“. Innerliches Augenverdrehen. Ich wünschte, ich wäre bei den Koalabären-Babys geblieben. Aber nun müssen wir uns mit Hailey Bieber beschäftigen.
Karriere dank der Eltern: Hallo „Nepo Babys“!
„Nepo Babys“ sind Kinder, die ihre Stellung in der Gesellschaft vor allem ihren Eltern zu verdanken haben. „Nepo“ heißt „ferner Verwandter“. Im Deutschen ist „Nepotism“ also Vetternwirtschaft. Nur klingt das weniger sexy, mehr nach Gemeinderat, der seinem Cousin einen Auftrag des Straßenbauamts unterschiebt. In den USA aber hat sich um den Nepotismus und seine Babys eine rege Debatte auf TikTok, Twitter und Co. entfacht. Neulich brachte sogar das „New York Magazine“ ein Cover, auf dem satirisch bekannte Hollywood-Gesichter in Stramplern und mit Babykörper abgebildet wurden, darunter: Zoë Kravitz (Tochter von Lenny), Maya Hawke (Tochter von Ethan), Lily-Rose Depp (Tochter von Jonny).
Selbst in der Schauspielerei, wo man keine Firma geerbt haben muss, um groß rauszukommen, wo es allein auf das schauspielerische Talent ankommen sollte, sind familiäre Netzwerke so stark, dass sie sich laufend selbst reproduzieren. Hailey Bieber (Sprössling der Schauspieldynastie Baldwin) wollte sich mit ihrem T-Shirt gleich selbst in die Reihe der Cover-Babys eingliedern.
Von „Hart aber fair“ bis zu Fridays for Future
Seither kann ich mich nicht mehr durch Instagram scrollen, ohne in Gedanken Leuten das „Nepo Baby“-Shirt anzuziehen. Gerade gehen Luisa Neubauer und Louis Klamroth durch die Presse. Sein Wikipedia-Eintrag beginnt schon mit dem Satz: „Louis Klamroth wurde als Sohn der …“. Gefolgt von seinem Schauspielervater, der ihn bereits als Kind im Film „Das Wunder von Bern“ neben sich gestellt hat. Luisa Neubauer entstammt einer superreichen Zigarettenhändler-Familie, was erstmal nach Kiosk-Verkäufer klingt. Aber der Urgroßvater besaß die Fabrik (und spendete den Nazis mehr als nur mal eine Zigarette).
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Wenn ich mir vorstelle, wie Klamroth in der nächsten Sendung von „Hart aber fair“ und sie bei Fridays for Future mit einem „Nepo Baby“-Shirt rumlaufen, sieht man sie sofort ganz anders: die altbekannten Fragen von Sichtbarkeiten und Zugängen stellen sich, Fragen von Chancengleichheit im Fernsehen und selbst in Protestbewegungen. Bei anderen erfolgreichen Nichten, Söhnen und Töchtern bringt mich das imaginäre Nepo-Shirt eher zum Schmunzeln: Moritz Bleibtreu aus der Bleibtreu-Schauspieldynastie, die Ochsenknecht-Kinder, die Schweighöfers, und natürlich Leni Klum. Immerhin tragen sie alle im Namen, wessen Kinder sie sind. So wie die Balsens, Schwarzkopfs, Burdas und Co.
Chancengleichheit und vetternwirtschaftliche Strukturen
Ich bin auf Instagram. Ich möchte niemanden haten. Niemand sucht sich seine Geburt aus – niemand würde auf die Vorteile und Zugänge, die damit einhergehen können, verzichten. Und auch viele Nepo-Babys arbeiten hart, manche gar für gute Sachen.
Das Problem sind unsere gesellschaftlichen Strukturen, die vetternwirtschaftlich organisiert sind: Wie viele Journalist:innen, Politiker:innen oder Unternehmer:innen kommen aus bekannten Familiendynastien? Wer hat durch seine Geburt Zugang und wer dadurch eben nicht? In den letzten Jahren haben Diskussionen über mangelnde Chancengleichheit und Diversität zunehmend Gehör gefunden. Intergenerationelle vetternwirtschaftliche Strukturen sollten noch stärker eine davon werden und bedingt auch Fragen um mangelnde Vielfalt und Repräsentation. Nepo Babys zeigen, dass nicht nur Geld und Unternehmen, sondern auch Netzwerke und Zugänge erblich sind, und dass wir noch weit entfernt sind, uns davon zu lösen. Zeit, mehr über sie zu reden.