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Die Nachfolge von Christine Lambrecht, oder: „Es gibt nur einen kompetenten Mann“

Am 16. Januar trat Christine Lambrecht als Verteidigungsministerin zurück. „Kompetenz statt Parität“ forderten umgehend Mitglieder von CDU bis SPD. Doch Ministerinnen sind kompetent – wir müssen nur damit aufhören, einen strengeren Maßstab an sie anzulegen als an ihre männlichen Kollegen.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier überreicht der Bundesministerin der Verteidigung, Christine Lambrecht, die Entlassungsurkunde und Boris Pistorius die Ernennungsurkunde
Christine Lambrecht und ihr männlicher Nachfolger Boris Pistorius. Foto: IMAGO / Bernd Elmenthaler

#LambrechtRuecktritt – unter diesem Hashtag forderten Twitter-User*innen und Trolls über Monate, dass die Bundesverteidigungsministerin ihr Amt räumen soll. Immer wieder fand sich der Hashtag im vergangenen Jahr in den Twitter-Trends. Nun ist Christine Lambrecht zurückgetreten – und auf sie folgt ein Mann. Sofort nach der Ankündigung von Lambrechts Rücktritt wurden Rufe aus dem konservativen Lager laut, dass bei der Neubesetzung Kompetenz statt Parität zählen müsse. Die Debatte um die Neubesetzung des Verteidigungsministeriums lehrt uns einiges über den Stand der Gleichstellung zwischen Frauen* und Männern in der Politik: Noch immer gilt ein Doppelstandard, bei dem Frauen insbesondere in ihrer öffentlichen Performance härter bewertet werden als ihre männlichen Kollegen. Statt aber die ungleiche Messlatte zu kritisieren und festzustellen, wie wichtig Maßnahmen zum Ausgleich der gesellschaftlichen Diskriminierung – wie die Quote – sind, wird genau diesen Ausgleichsmaßnahmen ein angeblicher Doppelstandard vorgeworfen: Sie würden Frauen gegenüber kompetenteren Männern bevorzugen.

Lambrecht: Fehltritte, aber keine politischen Skandale

Der Rücktritt von Christine Lambrecht folgte auf ein ereignisreiches Jahr. Ende 2021 war sie von Olaf Scholz ins Verteidigungsministerium berufen worden – ein seit Jahren reformbedürftiges, zur damaligen Zeit aber vergleichsweise unbedeutendes, Ministerium. Doch dann griff Russland im Februar 2022 die Ukraine an und plötzlich stand Lambrechts Haus im Fokus: Waffenlieferungen, finanzielle Ausstattung, der Zustand der Bundeswehr und vieles mehr. Christine Lambrecht, die gegen Ende der Großen Koalition eigentlich schon aus der Politik ausscheiden wollte, stand plötzlich im Scheinwerferlicht.

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Im vergangenen Jahr leistete sich Lambrecht dann einige Fehltritte, die für einige Tage die Medien beschäftigten – aber keine Skandale von nennenswerter politischer oder finanzieller Tragweite. So trat sie im April bei dem Besuch deutscher Soldat*innen im Ausland mit Pumps auf, was vor allem die BILD-Zeitung zu Hohn und Spott verleitete. Kurz darauf nahm sie ihren Sohn im Bundes-Helikopter mit und er postete ein Bild davon auf seinem Instagram-Kanal. Das mag man ungünstig finden, Lambrecht hatte jedoch formell alles korrekt angemeldet und den Flug ihres Sohnes auch selbst bezahlt. Zu guter Letzt postete sie zu Silvester eine Neujahrsansprache, die so unprofessionell war, dass es zu einem PR-Fiasko kam und in deren Folge die Ministerin schließlich zurücktrat. Wichtig zu betonen: Das Video war peinlich, es richtete jedoch keinen tatsächlichen Schaden an.

Frauen unter deutlich schärferer Beobachtung

Stellen wir den vielen kleinen Patzern und Pannen der Ex-Ministerin Lambrecht die Skandale prominenter Minister*innen der letzten Jahre gegenüber, wird der tatsächliche Doppelstandard noch deutlicher: die Milliarden-Verschwendungen für unbrauchbare Masken (Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn, CDU), Steuergelder für eine Maut, die nie kam (Ex-Verkehrsminister „Andy“ Scheuer, CSU) oder überteuerte Beraterverträge (Ex-Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, CDU) zogen keine personellen Konsequenzen oder nennenswerte Rücktrittsforderungen nach sich. Der Punkt ist hier nicht, Christine Lambrecht für ihre Fehler in Schutz zu nehmen – wir haben berechtigterweise hohe Ansprüche an die Bundesregierung und ihre Minister*innen. Doch stehen Frauen* in öffentlichen Ämtern einerseits unter deutlich schärferer Beobachtung und werden zweitens härter beurteilt: Schon kleinere Fehltritte, insbesondere in der öffentlichen Performance, reichen zum Rücktritt.

Lambrecht, Pistorius, Högl: Wer ist denn nun (in)kompetent?

Frauen, das zeigen verschiedene Studien immer wieder, haftet auch heute noch das Vorurteil an, weniger kompetent und führungsstark zu sein als Männer. Zuerst werden sie deshalb weniger in Führungsetagen befördert – und dann reichen bereits geringste Fehltritte für einen Rücktritt aus. Rückwirkend wird nun fortwährend von der „schwachen Ministerin“ und ihrer mangelnden Kompetenz gesprochen. Das Verteidigungsministerium zu führen, ist ohne Zweifel ein anspruchsvolles Amt: Es geht um die politische Führung – eines Ministeriums und der Bundeswehr. Diese Aufgaben sind nicht deckungsgleich, denn das Interesse der Bundeswehr entspricht nicht immer jenem der Bundesregierung und umgekehrt. Darüber hinaus ist das gesamte Ressort auch noch von etlichen Krisen, Fehlplanungen und Skandalen geprägt – von defekten Waffen über rechtsextreme Gruppierungen innerhalb der Truppe bis hin zu überteuerten Verträgen mit der Waffenindustrie. Christine Lambrecht musste sich – wie auch der nun amtierende Boris Pistorius – in die Themen einarbeiten. Anders als ihr Nachfolger brachte sie aber immerhin Führungs- und Regierungserfahrung auf Bundesebene mit. Denn mit dem Justiz- und Familienministerium hatte sie bereits zwei Häuser teilweise sogar parallel geleitet und verschiedene Gesetzesvorhaben auf den Weg gebracht.

Robust und kantig

Boris Pistorius ist bislang vor allem als resoluter Innenpolitiker aufgefallen. Mit knapp 63 Jahren gehört er jetzt erstmals einer Bundesregierung an. Dennoch trauen ihm die Leute mit seinem „robusten“ und „kantigen“ Auftreten zu, das Ministerium erfolgreich zu leiten. Eine der Frauen, die viele auf dem Zettel hatten und die qua Kompetenz gut ins Amt gepasst hätte – die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Eva Högl, SPD – wurde laut Medienberichten noch nicht einmal angefragt. Auch die Staatssekretärin im Verteidigungsministerium, Siemtje Möller, SPD, kam offenbar nicht in Frage. Ein Argument gegen Eva Högl war laut Medienberichten ihre „Robustheit“ sowie ihre klaren Forderungen, etwa jene nach einer deutlichen Erhöhung des Wehr-Etats. Auch Christine Lambrecht wurde immer wieder ihr „kantiger“ Kommunikationsstil vorgeworfen. Was bei diesen Frauen als Problem angesehen wird, gilt bei Pistorius als Führungsstärke. Es scheint, als wären Gesellschaft und Medien immer noch nicht bereit für Frauen* in Führung.

Frauen an der „Glasklippe“

Geht es um Frauen* in hohen politischen Ämtern, zeigen sich frauenfeindliche Muster: Zuerst wird Frauen von vornherein die Führungsstärke abgesprochen, die es für hohe politische Ämter braucht. Was bei Männern kantig und klar ist, ist bei Frauen bossy und unsensibel. Darin steckt eine ordentliche Portion Sexismus: Die öffentliche Performance von Männern und Frauen wird noch immer mit zweierlei Maß gemessen. Christine Lambrecht ist nur ein Beispiel, das zweite die mögliche Nachfolgerin Eva Högl.

Werden Frauen in Führungsämter befördert, dann häufig in die, in denen Männer vor ihnen schon gescheitert sind. In der Wissenschaft heißt dieses Phänomen die „Glasklippe„: Es beschreibt, dass Frauen in Krisensituationen häufiger politische Führungsämter anvertraut werden – sie aber aufgrund der widrigen Umstände auch häufiger scheitern. Auch am Verteidigungsministerium, dessen Reformbedürftigkeit und gleichzeitiger Reformunfähigkeit hatten sich schon Franz Joseph Jung und Karl-Theodor zu Guttenberg die Zähne ausgebissen, bevor 2013 Ursula von der Leyen als erste Frau das Amt übernahm. Weder sie noch ihre Nachfolgerinnen kamen an den Baustellen der Beschaffung von Waffen oder rechten Umtrieben in der Bundeswehr signifikant voran. Dass auch Christine Lambrecht mit den Reformen, noch dazu während eines laufenden Kriegs, wenig Erfolg hatte, ist keine Überraschung – wird ihr aber nun als Inkompetenz ausgelegt.

Rücktritt wird zum Beleg der These

Nun kommt ein drittes Muster dazu: Denn tritt eine Frau in Führung – wie Christine Lambrecht – nach Fehlern zurück, wird der Rücktritt selbst zum Beleg der These gemacht, dass Frauen grundsätzlich weniger kompetent und nur aufgrund der paritätischen Kabinettsbesetzung in ihre Ämter gekommen seien. Wird im Nachhinein von der „langen Mängelliste“ und den vielen Fehlern von Lambrecht geschrieben, die allerdings kaum fachlich, sondern eher in ihrer Performance als Ministerin liegen – dann scheint es so, sie hätte das Amt nur bekommen, weil sie eine Frau ist. Das verstaubte Argument gegen Parität, wonach Frauen im Vergleich zu Männern schlichtweg die Kompetenz fehle, ist scheinbar rückwirkend bewiesen. Ein paritätisch besetztes Kabinett erscheint so gleichsam wie ein Luxus, den man sich nur in guten Zeiten und unwichtigen Ämtern leisten könne. Wirklich wichtige Aufgaben – noch dazu in Kriegszeiten – könnten demnach nur Männer gut leiten. Und ins Bild kommt: Boris Pistorius.

Die Gesellschaft muss Fehlerkompetenz lernen

Weitere Beiträge von Inken Behrmann zum Thema Feminismus findest Du hier.

Wenn wir aber eine gleichberechtigte Gesellschaft wollen, dann müssen wir uns dieser Strategie entgegenstellen – und umdenken. Frauen* sind ebenso kompetent und führungsfähig wie Männer, das ist längst bewiesen. Und genauso, wie Männer, haben Frauen* politischen Erfolg und mitunter machen sie Fehler. Sie werden das auch künftig tun: falsche Entscheidungen treffen, etwas Ungeschicktes sagen oder Wissenslücken aufweisen. Doch Fehler machen und weiter regieren – das dürfen bislang fast nur Männer. Hier zeigt sich der echte Doppelstandard.

Wirkliche Gleichberechtigung – und auch ich wünsche mir das anders – wird es erst dann geben, wenn es auch ein paar inkompetente, ungeschickte, kantige und robuste Frauen in Führungspositionen gibt. Das ist natürlich kein Freifahrtschein. Veruntreuung von Geldern, Korruption und Lügen: Das kann und sollte nach wie vor zu politischen Rücktritten führen. Statt aber auf die Unfehlbarkeit von Frauen* in hohen politischen Ämtern zu setzen, die dann auch noch als Beleg für gelungene Parität herhalten muss, sollten wir einen normalen Umgang mit den Fehlern von Frauen* finden. Wir müssen lernen, mit öffentlichen Pannen genderneutral umzugehen: einfach menschlich.

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Autor*innen

Inken Behrmann ist für Klimaschutz und Feminismus unterwegs. Nachdem sie als Campaignerin bei Campact und in der Klimabewegung Kampagnen für Klimaschutz organisiert hat, promoviert sie aktuell an der Universität Bremen. Für den Campact-Blog schreibt sie Texte gegen das Patriarchat. Alle Beiträge

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