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Nicht alles ist gut in NGOs

Unter den Mitarbeitenden vor allem Frauen*, in der Führung hauptsächlich Männer – so sieht die Arbeitsverteilung in den meisten NGOs und Stiftungen aus. Der aktuelle Fair Share Monitor zeigt: Für Gleichberechtigung bleibt auch in der Zivilgesellschaft noch viel zu tun.

Der aktuelle Fair Share Monitor zeigt: Für Gleichberechtigung bleibt auch in der Zivilgesellschaft noch viel zu tun.
Die Ergebnisse des aktuellen Fair Share Monitors sind ernüchternd. Braucht es einen verpflichtenden Fair Share in der Zivilgesellschaft? Foto: IMAGO, Westend61

70 zu 40: Das Verhältnis von Frauen* unter den Mitarbeitenden und in der Führung von zivilgesellschaftlichen Organisationen ist auch in diesem Jahr ungerecht. Denn durchschnittlich arbeiten im zivilgesellschaftlichen Sektor – also in Nichtregierungsorganisationen wie Umweltverbänden, in Stiftungen, Gewerkschaften oder Wohlfahrtsverbänden – zu 69 Prozent Frauen*. In der Führung dieser Organisationen sind sie jedoch nur zu 39 Prozent vertreten.

Fair Share Monitor

Das sind die Ergebnisse des diesjährigen Fair Share Monitors. Die feministische NGO Fair Share of Women Leaders erhebt seit 2020 die Daten zum Verhältnis von Frauen* unter den Mitarbeitenden und Führungskräften in der Zivilgesellschaft. Ein gerechter Anteil von Frauen* in der Leitung der Organisationen bleibt mit 16 Prozent der Organisationen auch in diesem Jahr die Ausnahme. Ein Drittel der Organisationen beschäftigt sogar gar keine Frau* in ihrer Geschäftsführung. 

Männer entwickeln, Frauen setzen um 

Feminist Leadership

Die Kraft aller nutzen – mit der richtigen (feministischen) Führung ist das möglich. Campact-Vorständin Daphne Heinsen hat darüber mit Campact-Redakteurin Tina Hayessen einen Blogbeitrag für Fair Share geschrieben.

Die Männer in den Geschäftsführungen entwickeln – die Mitarbeiterinnen setzen um: Obwohl es kaum jemand offen sagt, schlagen sich hier geschlechtsspezifische Vorurteile nieder, die wir aus anderen gesellschaftlichen Bereichen kennen. Implizit lautet die Einschätzung, dass Frauen* schlechter in der strategischen Ausrichtung von Organisationen wären. Ihnen wird nachgesagt, dass sie aufgrund von Kindern weniger leistungsfähig und einsatzbereit wären oder einfach „gute Macherinnen“ seien. Aber eben nicht die strategischen und kreativen Tonangeberinnen mit genug Durchsetzungsvermögen und Entscheidungsfreude.

Diese Vorurteile sind vielfach widerlegt, finden aber dennoch immer wieder ihren Weg in Stellenvergaben. Das Ergebnis: Bei Beförderungen werden in den meisten NGOs, Stiftungen und Verbänden noch immer Männer bevorzugt – sie haben eine 3,5 Mal höhere Chance als Frauen*, in eine Führungsposition im zivilgesellschaftlichen Sektor aufzusteigen.

Wider die eigenen Werte

Inken Behrmann schreibt im Campact-Blog Texte gegen das Patriarchat. Lies hier ihr Plädoyer für die Meldestelle Antifeminismus:

Diese Zahlen mögen überraschen. Schließlich setzen sich viele der untersuchten Organisationen genau für die Werte ein, die sie gegenüber ihren Mitarbeiterinnen verletzen: soziale Gleichheit, eine progressive Gesellschaft und gegen Diskriminierung. Die Arbeitsrealität sieht jedoch häufig anders aus. Fast ausnahmslos berichten Kolleginnen aus Organisationen im zivilgesellschaftlichen Bereich über Fälle genderspezifischer Diskriminierung: Es gibt Frauen, denen nach der Geburt ihrer Kinder keine Projekte mehr zugetraut wurden, oder andere, die bei der Vergabe von Führungspositionen übergangen wurden. Immer wieder erarbeiten sich Kolleginnen eine angesehene Expertise in ihrem Bereich, steigen aber innerhalb ihrer Organisation nicht weiter auf. In anderen NGOs und Stiftungen wird Gehalt individuell verhandelt; Frauen* finden bei informellen Gesprächen heraus, dass die Kolleginnen fast durchgängig deutlich weniger verdienen und kleinere Gehaltssprünge machen als die männlichen Kollegen. Vieles, was das Arbeitsleben für Frauen ungerecht macht, findet nicht nur in der freien Wirtschaft und kapitalistischen Großkonzernen statt, sondern auch in unseren wertgetriebenen Organisationen.

Ein strategischer Fehler

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Einige Leser*innen werden nun vielleicht einwenden, dass es doch nicht so wichtig ist, ob eine NGO oder Stiftung von einem Mann, einer Frau oder einer nicht-binären Person geleitet wird. Eine Umweltorganisation beispielsweise soll doch Moore schützen oder eine Menschenrechtsorganisation sich um Seenotrettung kümmern. Doch die Gleichberechtigung zu vernachlässigen, ist auch ein polit-strategischer Fehler. Die Schwarze US-amerikanische Feministin Audre Lorde sagte einmal – hier übersetzt: „Es gibt keine einzelnen Themen-Kämpfe und Auseinandersetzungen, weil wir kein Ein-Themen-Leben führen.“ Wir erleben in einer Welt, die von immer komplexeren Lebenszusammenhängen geprägt ist, dass auch viele Krisen und Probleme miteinander verbunden sind: Die Vulnerabilität für Klimawandelfolgen beispielsweise hängt stark vom Geschlecht und der sozialen Situation von Menschen ab; oder die Kämpfe im Landwirtschaftssektor davon, wie Sozialstruktur und Eigentumsverhältnisse in den jeweiligen Gebieten in Ost und West sind. 

Um für verschränkte Probleme gute Lösungen zu erarbeiten, hilft es, wenn die Entscheider*innen in Organisationen diese Perspektiven repräsentieren. Führung von Organisationen intersektional aufzustellen, ist also einerseits politisch wichtig, um Krisen in ihren Ursachen und Auswirkungen richtig einzuschätzen – und andererseits auch für Organisationen, um in einer diverser werdenden Gesellschaft anschlussfähig zu bleiben. 

Selbstverpflichtung: Fairer Frauenanteil in der Leitungsebene

Campact als Arbeitgeber

In Kooperation mit FAIR SHARE of Women Leaders e.V. achtet Campact auf einen fairen Frauenanteil in der Leitungsebene.

Einige Organisationen haben das Problem erkannt und Veränderungen eingeleitet: Greenpeace hat einen sichtbaren Generationen- und Geschlechterwandel in der politischen Geschäftsführung eingeleitet. Campact und der BUND beispielsweise haben sich zu einem gerechten Frauen*-Anteil in der Führung verpflichtet und schon Schritte dahin unternommen. Insgesamt zeigt jedoch der Fair Share Monitor aus diesem Jahr, dass die Entwicklung innerhalb des zivilgesellschaftlichen Sektors stagniert. Während sich rund 15 Prozent der Organisationen in der Repräsentation von Frauen* in ihrer Führung deutlich verbessert haben, verschlechterten sich ebenso viele. 

Fair Share bietet für eine klare interne Zielsetzung der Organisationen ein Fair Share Commitment an: Sie können sich – wie in der freien Wirtschaft – selbst verpflichten, bis 2030 einen „fairen“ Anteil an weiblichen Führungskräften entsprechend ihres Anteils in der Belegschaft zu erreichen. Doch reicht das angesichts der stagnierenden Zahlen und Rückschläge in zu vielen Organisationen? 

Für einen verpflichtenden Fair Share in der Zivilgesellschaft

Wenn wir über verpflichtende Frauenquoten diskutieren, dann geht es oft entweder um Parteien oder um DAX-Vorstände. Selten stehen zivilgesellschaftliche Organisationen zur Debatte, gehen wir doch bei wertgeleiteten Organisationen davon aus, dass hier keine Regulierung notwendig ist. Doch die Daten von Fair Share beweisen das Gegenteil. Und deshalb müssen wir auch hier die Diskussion anstoßen: Wenn freiwillige Selbstverpflichtungen nicht greifen, dann müssen wir den Fair Share nicht nur freiwillig, sondern verpflichtend einführen.

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Autor*innen

Inken Behrmann ist für Klimaschutz und Feminismus unterwegs. Nachdem sie als Campaignerin bei Campact und in der Klimabewegung Kampagnen für Klimaschutz organisiert hat, promoviert sie aktuell an der Universität Bremen. Für den Campact-Blog schreibt sie Texte gegen das Patriarchat. Alle Beiträge

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