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Tabubruch

Alles schaut auf Südthüringen: Die AfD hat im Landkreis Sonneberg ihr erstes Landratsamt gewonnen.

Wahlplakate von AfD-Mann Sesselmann im Landkreis Sonneberg
Foto: IMAGO / Jacob Schröter

Kurz nach 18.40 Uhr stand fest: Die AfD hat in Deutschland erstmals ein kommunales Spitzenamt gewonnen. Am vergangenen Sonntag setzte sich der AfD-Landtagsabgeordnete Robert Sesselmann bei der Stichwahl in Sonneberg klar gegen den CDU-Amtsinhaber Jürgen Köpper durch. Mit 54,1 Prozent zu 45,9 Prozent übernahm Sesselmann das Landratsamt. „Das Tabu ist jetzt gebrochen“, sagte Bodo Ramelow (Die Linke). Der thüringische Ministerpräsident schob gleich bei t-online nach, dass er weitere kommunale Erfolge der AfD erwartet.

AfD will Schwung für kommende Wahlen nutzen

Auf diese Möglichkeit setzt auch Björn Höcke und sprach von einem „politischen Wetterleuchten“. Diesen Schwung wolle die Partei für die kommenden Landratswahlen nutzen, so der AfD-Landesfraktionsvorsitzende und Landeschef. „Und dann bereiten wir uns für die Landtagswahlen im Osten vor, wo wir dann wirklich ein politisches Erdbeben erzeugen können“. Keine andere Aussage hat David Begrich erwartet, Rechtsextremismus-Experte bei Miteinander e.V. In den vergangenen Monaten konnten die demokratischen Parteien bei kommunalen Wahlen noch Amtserfolge der AfD verhindern. Dass dieser Erfolg aber zustande kommen dürfte, hob Begrich schon vor dem Sonntag hervor und warnte ebenso vor einem „Dominoeffekt“. Wenn die AfD in Sonneberg erfolgreich gewählt werden könne, warum sollten dann nicht auch Erfolge in anderen Gemeinden und Städten möglich sein. Je länger die Partei besteht, desto stärker erfolgt eine Normalisierung. Dass legale Positionen nicht legitim sein müssen, scheint in einzelnen Regionen mehr und mehr irrelevant. Und dass gerade die AfD Thüringen den Tabubruch mit ihrer rechtsextremen Ausrichtung schaffte, dürfte den Kurs der Bundespartei beeinflussen.

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Klarer rechts, als sie je waren

In einem Video des „Kanal Schnellroda“ um Götz Kubitschek und Ellen Kositza führt Maximilian Krah, Bundesvorstandsmitglied und Europaabgeordneter der AfD, aus: „Es wird ja allen Rechtsparteien europaweit erzählt: Wenn ihr steigen wollt, müsst ihr euch inhaltlich verwässern. Die AfD ist meines Erachtens zur Zeit die spannendste Rechtspartei ganz Europas, weil sie das widerlegt. Bislang galt ja das Mantra: Ihr wollt aus der zehn Prozent Hardcore-Wählerschicht herauskommen und wollt wirklich was bewegen, gebt Positionen auf, die nicht anschlussfähig sind“. Und zwei Tage vor der Wahl sagte Krah, ihnen würde „ja ständig wohlmeinend gesagt: Ihr müsst mindestens den Landesverband Thüringen aufgeben“ dann „könnte man ja mit euch reden. Und wir haben nichts davon gemacht und ich glaube, wir sind heute inhaltlich geeinter und auch klarer rechts, als wir das je waren, und wir steigen“ so Krah bei dem Videokanal des „Institut für Staatspolitik“, das das Bundesamt für Verfassungsschutz als rechtsextrem einstuft.

Symbolischer Wert des Wahlergebnis ist hoch für die AfD

„Die strategische Kommunikation der AfD wird versuchen aus dem Ergebnis mehr zu machen, als es ist“, betont Rechtsextremismus-Experte Begrich. Dabei sei der symbolische Wert des Erfolges für die AfD „ebenso wichtig wie sein Fakt“. Dieser Fakt sei auch dem geschuldet, dass alleine auf die AfD geschaut werde, doch „das ganze mehrdimensionale Ökosystem rechter Hegemonie“ gerade in Ostdeutschland müsste angeschaut und verstanden werden, meint Begrich.

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Ein Blick, der fehlt und auch durch einen weiteren Blick zur Verengung der Wahrnehmung führt. In einzelnen Analysen spiegelt sich denn auch Relativierung wider: begrenztes Amt und kleiner Wahlkreis. Der Protest als Motiv wird nicht minder bemüht. Bemühungen, die eint, die eigene politische Verantwortung zu ignorieren als auch das radikale Verhalten zu relativieren. „Ich bin entsetzt über die mangelnde Selbstkritik in der Debatte über den AfD-Anstieg“, fasst der Kommunikationswissenschaftler Johannes Hillje im taz-Interview die Debatte mancher Parteien zusammen. Schon die strategischen Momente der AfD, nicht nur von Wahl zu Wahl zu denken und den kommunalen Raum für eine politische Emotionalisierung zu nutzen, wird seit Jahren erklärt, so Begrich, doch reale Gegenpolitik folge kaum. Eine doppelte Emotionalisierung, bei der gegen die „alltagsfremden Politiker*innen“ gehetzt und sich selbst als „alltagswissender Kümmernde“ geriert wird. Der Clou: Alleine zusammen die gleiche Emotion zu teilen verbindet, eine realpolitische Umsetzung scheint nicht so bedeutend zu sein.

Nach Sonneberg: Wie lässt sich die AfD entzaubern?

Eine alte Idee wird derweil neu verhandelt: die Entzauberung der AfD durch die Übernahme von Entscheidungsfunktionen oder Einbindung in den Politikbetrieb. Bisher scheiterten Parteien wie die AfD aber nicht an dieser Gegenstrategie. Die Wähler*innenschaft scheint gerade diese Erwartung einer Realpolitik nicht in Gänze zu teilen, und sie wählt bei der Hinwendung zu den Positionen eher das Original. Hillje betont, dass der CDU-Bundestagsfraktions– und Bundesvorsitzende Friedrich Merz „wenn er die populistische Grundannahme vom Konflikt zwischen ‚normalen Bürgern‘ und der ‚engstirnigen Meinungselite‘“ aufgreift „und eine sehr kreative Rechtsruckformel aufstellt: ARD plus Gendern sorge für eine starke AfD“, die AfD eben nicht schwäche. Mit den Erzählungen der AfD würden sie nicht eingedämmt, sondern weitererzählt, popularisiert und legitimiert. Diese Kritik richtet Hillje ebenso an Markus Söder. Zwar sagte der Bayrische Ministerpräsident der CSU aus Fehlern im letzten Wahlkampf gelernt zu haben, wo er sich zum Asylthema einen Überbietungswettbewerb am rechten Rand geliefert hat. Doch mache er jetzt wieder „den gleichen Fehler bei kulturellen und gesellschaftspolitischen Themen, indem er den sogenannten ‚Woke-Wahn‘ als Bedrohungsszenario skizziert, von einer vermeintlichen ‚Gender-Pflicht‘ spricht oder die Grünen wortwörtlich als ‚Feind‘ bezeichnet“, so Hillje. Schon das Wording, dass aus „Gegnern“ nun „Feinde“ würden, erinnert an die AfD.

Andreas Speit ist Journalist und Autor und schreibt im Campact-Blog über Rechtsextremismus. Lies hier alle seine Beiträge.

Diese kulturell-politische Verunsicherung geht allerdings auch mit sozio-ökonomischer Verunsicherung einher. Die Regierung aus SPD, Grünen und FDP hat nicht erst mit der Debatte um das Heizungsgesetz soziale Aspekte vernachlässigt. Durch eine Inflation steigen eben nicht bloß die Preise, sondern auch die Abstiegsängste. Die Migration wird nicht minder als Verdrängung aus dem Billiglohn- und Billigwohnsektor befürchtet. Kaum Themen, bei denen die Kommunalpolitik die Regelungen beeinflusst. Mit diesen Themen führte Sesselmann jedoch seinen Wahlkampf – weil sie eben vor Ort Thema sind. Der 50-jährige Rechtsanwalt aus Sonneberg sagte nach dem Erfolg: „Jetzt sind wir auf dem Weg zur Volkspartei“ und rief die politischen Gegner*innen zur Zusammenarbeit auf. Der AfD gehe es um Sachpolitik, man wolle einen Kassensturz machen und den Landkreis erhalten. Der FAZ gab er sich zuvor nicht so demokratisch. Bundes- und Landesgesetze, die er für falsch halte, will er als Landrat nicht durchsetzen, auch wenn er von Amts wegen dazu verpflichtet sei. Kürzer kann kaum eine antiparlamentarische und antidemokratische Position formuliert werden. Die Bürger*innen würden erwarteten, dass er sich für ihre Interessen einsetze, sagte Sesselmann, dass deshalb Bußgeld oder gar die Absetzung drohen könnte, weiß er. „Ich habe auch noch andere Wege, mein Geld zu verdienen“.

AfD sucht fraktionsübergreifende Zusammenarbeit

Die Inszenierung läuft weiter. In der neu-rechten Zeitung Junge Freiheit greift er ein weiteres Narrativ auf, sie stünden in der Tradition des Widerstandes von 1989 und er nennt das nächste Ziel: „Der Erfolg auf kommunaler Ebene ist der Schlüssel, der uns die Tür zur fraktionsübergreifenden Zusammenarbeit zum Wohle der Bürger öffnen wird“. Die AfD will in Thüringen mit der CDU Politik gestalten. Je mehr gemeinsame Erfahrungen auf kommunaler Ebene gemacht werden, um so weniger wird eine Abgrenzung auf landespolitischer Ebene mehr möglich sein. Habituell sind sich AfD und CDU schon näher. Das Verunsicherungsphänomen, sagt Hillje, sei auch „ein manifestes Demokratieproblem, wenn Menschen sich aus Unzufriedenheit mit den anderen Parteien für eine in ziemlich weiten Teilen rechtsextreme Anti-System-Partei entscheiden“. Um Missverständnisse zu vermeiden: Ja, nicht alle AfD-Wählenden in Sonneberg sind rechtsextrem, sie wählen aber rechtsextrem.

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Autor*innen

Andreas Speit ist Journalist und Autor und schreibt regelmäßig für die taz (tageszeitung). Seit 2005 ist er Autor der Kolumne "Der rechte Rand" in der taz-nord, für die er 2012 mit dem Journalisten-Sonderpreis "Ton Angeben. Rechtsextremismus im Spiegel der Medien" ausgezeichnet wurde. Regelmäßig arbeitete er für Deutschlandfunk Kultur und WDR. Er veröffentlichte zuletzt die Werke  "Verqueres Denken – Gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus" (2021) "Rechte Egoshooter" (Hg. mit Jean-Philipp Baeck, 2020), "Völkische Landnahme" (mit Andrea Röpke, 2019), "Die Entkultivierung des Bürgertums" (2019). Alle Beiträge

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