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Pay it no mind

Die Welt ist voll von queeren Held*innen. Marsha P. Johnson ist eine von ihnen. Sie erlebte erst die Stonewall-Unruhen, danach Diskriminierung und Rassismus durch die queere Bewegung – und starb schließlich eines ungeklärten Todes. Heute wird sie für ihren Aktivismus, ihren Mut und ihr Engagement gefeiert.

Die Welt ist voll von queeren Heldinnen. Marsha P. Johnson ist eine von ihnen.
Das Bild zeigt einen Ausschnitt der Dokumentation "The Death and Life of Marsha P. Johnson", Foto: IMAGO / Everett Collection

Der Marsha P. Johnson State Park am East River, eine Bronzebüste – die Stadt New York hält die Erinnerung an eine ihrer berühmtesten queeren Bewohner*innen lebendig. 1992, als die damals 46-Jährige tot im Hudson River trieb, sah das anders aus. Die Medien berichteten kaum und das Urteil der Polizei stand schnell fest: Selbstmord. 

Eine Erklärung, die Freunde und Bekannte nicht akzeptierten; sie protestierten. Sie vermuteten ein Verbrechen – schließlich war Johnson mit einer großen Wunde am Hinterkopf aufgefunden worden. Gewalt gegen die LGBTQ*-Community war alltäglich, 1992 das schlimmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen durch das NYC Anti-Violence Project. Dennoch dauerte es bis 2012, bis die Polizei den Fall wieder öffnete – bislang ohne große Fortschritte.  

Von New Jersey nach New York

Aktivistin, Sexarbeiterin, Warhol-Model: Das Leben von Marsha P. Johnson ist so facettenreich, dass es fast schon ausgedacht wirken könnte. Gleichzeitig ist es – zumindest phasenweise – erstaunlich gut dokumentiert, wie etwa die Originalaufnahmen in der Netflix-Doku „The Death and Life of Marsha P. Johnson“ zeigen.

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Marsha kommt im August 1945 in New Jersey zur Welt, ihr wird nach der Geburt das männliche Geschlecht zugewiesen. Sie wächst als fünftes von sieben Kindern in einer religiös geprägten Familie auf. 1963, direkt nach der Highschool, zieht sie mit 17 Jahren nach New York.

Hier, auf der anderen Seite des Hudson River, ist für Marsha ein neues Leben möglich. Kein einfaches, denn auch in New York verfolgen und diskriminieren die Behörden queere Personen wie Marsha. Doch gleichzeitig ist die Stadt ein Anlaufpunkt für all die Menschen, die in der Mehrheitsgesellschaft keinen Platz finden, mit einer für die damalige Zeit ausgeprägten Subkultur. 

Pay it no mind – beachte es nicht

Schon als Kind fühlt sich Marsha in Frauenkleidung wohl und beginnt nun, diese wieder zu tragen. Mit ihrem Make-up, viel Schmuck und bunten Stoffen fällt sie auf. Ihren Namen ändert sie in Marsha P. Johnson. Das P steht dabei für „Pay it no mind“, also „Beachte es nicht“. Sich selbst sieht Marsha nicht als trans Frau (der Begriff fand erst später weiter Verbreitung), sondern als schwule Person, Transvestit und Drag Queen – und nutzt weibliche Pronomen.

Da sie keinen Job findet, hält sich Marsha mit Sexarbeit über Wasser. Sie lebt auf der Straße, wird von Männern misshandelt und hat Ärger mit der Polizei. Aber sie schlägt sich durch und beginnt, in Drag-Shows aufzutreten. Später sagt sie über sich selbst: „I was no one, nobody, from Nowheresville until I became a drag queen.“

An vorderster Front

1968 dann die nächste entscheidende Wendung in ihrem Leben: In der Nacht vom 27. auf den 28. Juni findet eine Polizeirazzia in der Szenebar Stonewall Inn statt – keine Seltenheit in der damaligen Zeit. Die Polizei will die Anwesenden verhaften. Das Lokal wird vor allem von Schwarzen und Latinos, Drag Queens und Sexarbeiter*innen besucht, die Polizeiaktion ist rassistisch motiviert. Doch dieses Mal schlagen die Gäste zurück. Anwohner*innen und Besucher*innen anderer Bars unterstützen sie dabei – am Ende stehen sich 2.000 Protestierende und 400 Polizisten gegenüber. Mittendrin: Marsha P. Johnson. Sie hatte sich in der Nähe des Lokals aufgehalten, stößt gegen 2 Uhr dazu – und kämpft mit.

Die tagelangen Stonewall-Unruhen sind ein Wendepunkt im Kampf der queeren Community gegen die Unterdrückung und für mehr Rechte – und der Beginn von Marsha P. Johnsons aktivistischem Engagement. Sie organisiert Protestmärsche und engagiert sich in der Gay Liberation Front und der Gay Activist Alliance. Schnell merkt sie, dass hier vor allem weiße Männer und Frauen das Sagen haben; Schwarze oder trans Menschen werden an den Rand gedrängt. Rassismus und Transphobie sind auch in der queeren Community ein Problem.

Aktivistin und Sexarbeiterin

Gemeinsam mit ihrer Freundin Sylvia Rivera gründet sie deshalb 1970 die Organisation Street Transvestite Action Revolutionaries, kurz STAR genannt. Gemeinsam kümmern sie sich um obdachlose Transgender-Jugendliche – ein Schicksal, das Marsha und Sylvia selbst nur zu gut kennen. 

In den 1970er Jahren entwickelt sich Marsha zu einer lokalen Berühmtheit im Greenwich Village. Sie tritt mit der Drag-Gruppe „Hot Peaches“ auf und wird 1975 von Andy Warhol für seine Serie „Ladies and Gentlemen“ fotografiert, eine Reihe über Drag Queens und trans Frauen. Einfach ist ihr Leben dennoch nicht: Sie hat ein Reihe psychischer Zusammenbrüche, wird immer wieder verhaftet und geht weiter der Sexarbeit nach.

1980 darf sie im ersten Wagen der New Yorker Gay Pride Parade mitfahren. Eine späte Genugtuung – 1973 hatten die Organisator*innen Drag Queens die Teilnahme verboten. Marsha und ihre Freundin Sylvia umgingen damals das Verbot und marschierten der Parade voraus.

Weg von der Straße

Im selben Jahr zieht Marsha, die große Teile ihres Lebens auf der Straße verbracht hat, in das Haus eines guten Freundes ein. Fortan kümmert sie sich um dessen Partner, der an HIV erkrankt ist. In den folgenden Jahren entwickelt sie sich zur AIDS-Aktivistin und wird Teil der New Yorker Act-Up-Bewegung. Doch auch Marsha bleibt nicht verschont: 1992 macht sie in einem Interview ihre HIV-Erkrankung öffentlich. Wenige Tage später wird ihr toter Körper im Hudson River gefunden.

Das Vermächtnis von Marsha P. Johnson

Jahrzehntelang wurde die Geschichte von Stonewall und der Schwulen- und Lesbenbewegung fast ausschließlich aus einer weißen, meist cis-männlichen Perspektive erzählt. Marshas Geschichte zeigt, was wir den Drag Queens, trans Menschen und People of Colour zu verdanken haben. Es war ihr Mut, der die moderne LGBTQ*-Bewegung entstehen ließ. Es war ihre Entschlossenheit, Rassismus und Transphobie zu bekämpfen, der der queeren Community immer wieder einen Spiegel vorhält – bis heute. Dafür können wir Marsha P. Johnson und ihren Mitstreiter*innen dankbar sein.

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Autor*innen

Henrik Düker ist Politikwissenschaftler und Soziologe. Bei Campact arbeitet er als Redakteur, im Blog beschäftigt er sich vor allem mit LGBTQIA+-Themen. Alle Beiträge

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