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Talk, Talk, Talk – mit Interviews in die rechte Normalität

AfD-Mann Björn Höcke schockierte kürzlich beim MDR-Sommerinterview mit menschenverachtenden Aussagen zum Thema Inklusion. Überraschend kam das nicht: Extrem Rechte tun, was extrem Rechte immer tun, wenn sie vor Mikrofonen sitzen – sie führen extrem rechte Ressentiments aus.

Zwei leere, rote Sessel am Set des ARD-Sommerinterviews in Berlin
Mit Rechten reden? Im Fall der AfD sollten die Stühle beim Sommerinterview lieber leer bleiben. Foto: IMAGO / Political-Moments

Die Sommerinterviews laufen. Zur besten Sendezeit können Politiker*innen ihre Positionen darlegen. Im schönen Ambiente stellen sie sich im Fernsehen den Fragen der Journalist*innen. Ein mediales Ritual, bei dem sich nach den letzten Wahlerfolgen auch die AfD-Prominenz einem größeren Publikum präsentieren kann. Ein publikumswirksamer Event, das stehts auch eine öffentliche Diskussion auslöst: Sollen diese Politiker*innen eingeladen und müssen mit ihnen Interviews geführt werden? Denn die Auftritte vor den Kameras offenbaren immer wieder: Extreme Rechte machen, was extreme Rechte immer machen, wenn sie vor Mikrofonen sitzen oder stehen. Sie führen extrem rechte Ressentiments aus. Mal freundlich recht smart, mal kämpferisch recht radikal. Sie wissen um die Macht der Bilder und die Wirkung der Worte. Sie nutzen das mediale Podium für die persönliche Inszenierung – oszillierend zwischen Normalitätshabitus und Provokationscharakter. 

Ein Björn Höcke weiß um die Macht seiner Aussagen, wenn er im MDR-Interview am 9. August darlegt, dass die schulische Inklusion ein „Ideologieprojekt“ sei, von dem das Bildungssystem „befreit“ werden müsste, genau wie vom „Gendermainstream-Ansatz“. „Alles das sind Projekte, die unsere Schüler nicht weiterbringen, die unsere Kinder nicht leistungsfähiger machen und die nicht dazu führen, dass wir aus unseren Kindern und Jugendlichen die Fachkräfte der Zukunft machen,“ so der AfD-Landtagsfraktionsvorsitzender in Thüringen.

Höckes Angriff auf behinderte Menschen – ein kalkulierter Tabubruch

Der kalkulierte Tabubruch lag weniger im Angriff auf Gender-Befürwortende, sondern vielmehr in der Attacke auf behinderte Menschen. Den vermeintlichen „Genderwahn“ greifen Rechte aller Couleur seit Jahren an. Die gesellschaftliche Situation von Menschen mit besonderen Bedürfnissen thematisieren sie jedoch weniger. Der Schatten der Euthanasie-Verbrechen im Nationalsozialismus löste eher Schweigen aus.

Im Nationalsozialismus ermordeten die Euthanasie-Täter*innen zwischen 200.000 bis 300.000 Menschen in Europa. An die 400.000 behinderten Menschen oder „sozial Auffälligen“ wurden zwangssterilisiert. Diese Historie klingt an, wenn Höcke von „befreien“ spricht. Der Geschichtslehrer Höcke dürfte von der Diskussion um „Ballastexistenzen“ und/oder „unnützen Lebens“ für die „Volksgemeinschaft“ wissen, die in wissenschaftlichen Kreisen schon lange vor der Machtübergabe an die Nationalsozialisten lief. Bereits 1920 rechneten der Jurist Karl Binding und der Psychiater Alfred Hoch in „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“ die volkswirtschaftliche Belastung vor – sie prägten die entmenschlichende Bezeichnung. 

Ulf Berner fordert auf WeAct: Der Faschist Björn Höcke darf kein Beamter sein!

Ein Faschist als Lehrer? Das kann nicht sein, findet Ulf Berner. Er fordert mit seiner Petition auf WeAct: Das Beamtenverhältnis von Björn Höcke muss beendet werden.

Ein Höcke könnte bei seiner Aussage auch bedacht haben, dass solche menschenverachtenden Denkmuster bis heute verfangen. Es gebe „wertvolles und unwertes Leben“, sagten 2022 etwas über 6 Prozent der Befragten der „Leipziger Autoritarismus“-Studie – 5,1 Prozent im Westen, 10 Prozent im Osten.

Sagen, was andere denken: Das gehört zur Selbstinszenierung aller selbsternannten Vertretenden des „Volkes“, der „einfachen Leuten“ oder der „ganz normalen Deutschen“. „Wir gegen sie“, „das Volk gegen des Establishment“, „Die Normalen gegen die Gutmenschen“ – zur besten Sendezeit im Fernsehen. Der MDR verbreitete schon vor dem Sommerinterview eine Rechtfertigung. Ein Ausschluss der drittstärksten Fraktion im Landtag vertrage sich nicht „mit unserem journalistischen Auftrag“. Der Sender müsse die Positionen aller Parteien „für die Menschen im Freistaat transparent machen und einordnen“. Kurz kommentiert Ralf Pauli in der taz am 10. August: „Nun, zumindest Ersteres hat der MDR eingehalten“. Eine Einordung gelang dem Moderator der Sendung nicht. Eine Entlarvung noch weniger: Er ließ zu, dass Höcke unbequemen Fragen auswich, seine Antworten nannte er oft „spannend“. „Eine Vollkatastrophe mit Ansage“ meint Sebastian Leber im Tagespiegel am 18. August.

Schon der Anspruch, etwas sichtbar werden zu lassen, impliziert, dass etwas unsichtbar sei, das unbedingt gezeigt werden müsste. Doch muss ein Höcke noch gezeigt, vorgestellt werden – ein Höcke, den selbst der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz Thomas Haldenwang bereits 2020 als „Rechtsextremist“ klassifizierte? Die gern genannte Intention im Interview zu entlarven, was die Parteigranden der AfD wirklich denken würden, nimmt an, dass die Interviewten sich nicht zurückhalten könnten. Ganz so, als ob eine Alice Weidel oder ein Tino Chrupalla ohne gezielte Vorbereitung oder eigene Vorstellungen vor die Kameras und Mikrophone gehen würden.

AfD gewinnt nicht trotz, sondern wegen ihrer Positionen 

Die Intention einer Entlarvung bedingt aber auch einer Annahme. Sie setzt voraus, dass die Zuschauenden über Aussagen entsetzt sein könnten. Die AfD erhält jedoch nicht trotz, sondern wegen ihrer Positionen wachsende Akzeptanz. So sehr die von der AfD-Angefeindeten über die auf dem Bildschirm laufenden Positionen entsetzt sein dürften, so sehr werden die AfD-Interessierten erfreut sein. Die erhoffte Entzauberung der „falschen Propheten“ (Leo Löwenthal) geht über in eine betriebene „Verzauberung“ der Fan-Community. Sie feiert, dass ihre Vertreter*innen in der „Systempresse“, den „Lügenmedien“ Paroli bieten. Die Fernsehtermine der AfD werden so allerdings normal. Sagbar, dank öffentlichem Talk. Die AfD spielt mit, um nicht mitzuspielen. In den Parlamenten findet ebenso keine Entzauberung der AfD statt, weil sie eben nicht parlamentarisch mitwirkt. Die Feinde der parlamentarischen Demokratie wollen mit dem Mittel der parlamentarischen Demokratie die parlamentarische Demokratie delegitimieren. Sie bedienen in der Show und im Parlamentarismus ihre Fan-Base. 

Eine Demokratie muss das aushalten können, folgt aus einigen Feuilletons souverän demokratietheoretisch. Wer das nichts aushalten könne, Sommerinterviews ablehne, sei selbst demokratiefeindlich, suggeriert manch Publizist*in. Sie selbst müssen im Alltag vielleicht aber gar nicht die massiven Anfeindungen aushalten: Überlegen, welchen Nachhauseweg man nimmt, um nicht angegriffen zu werden, Schutzmaßnahmen für die Familie ergreifen, Fensterscheiben neu bestellen, weil sie eingeschmissen wurden. Die markierten Feinde der autoritären Revolte wissen, dass sie bei jedem tödlichen Schuss und geworfenen Brandsatz mit gemeint sind. Diese Opfer werden oft im Diskurs vergessen, wenn sich extrem Rechte mit den Gestus des Opfers, dass nach dem Gesagten Konsequenzen befürchten müsse, redebereit inszenieren. Wollen diese selbsternannten Opfer aber ihre Positionen ergebnisoffen diskutieren? Nein, in den vergangenen Jahren haben nicht bloß AfD-Politiker*innen eines stetig bestätigt: Sie wollen vor allem Recht bekommen und andere Meinungen nicht gelten lassen.

“Man kann über alles, aber nicht mit allen reden”

Diese Erfahrungen sollten – endlich – ein Umdenken einleiten. Vor 30 Jahren bewegten bereits die ersten Diskurs-Erfolge der „Neuen Rechten“ liberale Philosoph*nnen und linke Publizist*nnen in Frankreich zum „Appell an die Wachsamkeit“. Sie warnten damals, dass alleine die „Neue Rechte“ von einem grenzenlosen Dialog unter dem Deckmantel des Pluralismus profitieren würden. Maurice Olender, der Initiator des Appells, formulierte, was heute geboten scheint: „Man kann über alles, aber nicht mit allen reden“. Ein Umdenken ist dringend geboten – auch um großen Erfolge, wie die des „Rassemblement National“ um Marine Le Pen entgegen zu wirken.

„Leute wacht endlich auf“, betonte Gerhart Baum am 20. August gegenüber dpa. Dieses Denken scheitert gegenwärtig oft schon beim Benennen. Der ehemalige Bundesinnenminister von der FDP wirft so auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vor, mit der Benennung der AfD als „Schlechte-Laune-Partei“ eine Verharmlosung mit zu betreiben. Beim Sommerinterview stelle der Moderator die AfD als „autoritär-national-radikale Partei“ vor. Kürzer und klaren wäre „rechtsextrem“ gewesen. Dieses Signum – vielleicht durch den Verfassungsschutz – könnte neue Handlungsspielräume eröffnen: ohne Sommerinterviews, aber mit Verbotsinterventionen.

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Autor*innen

Andreas Speit ist Journalist und Autor und schreibt regelmäßig für die taz (tageszeitung). Seit 2005 ist er Autor der Kolumne "Der rechte Rand" in der taz-nord, für die er 2012 mit dem Journalisten-Sonderpreis "Ton Angeben. Rechtsextremismus im Spiegel der Medien" ausgezeichnet wurde. Regelmäßig arbeitete er für Deutschlandfunk Kultur und WDR. Er veröffentlichte zuletzt die Werke  "Verqueres Denken – Gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus" (2021) "Rechte Egoshooter" (Hg. mit Jean-Philipp Baeck, 2020), "Völkische Landnahme" (mit Andrea Röpke, 2019), "Die Entkultivierung des Bürgertums" (2019). Alle Beiträge

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