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Bund der Steuerzahler zu Unrecht gemeinnützig

Das Urteil, zu dem die renommierte Gemeinnützigkeit-Kanzlei Winheller über den Bund der Steuerzahler kommt, ist eindeutig: Der Verein bricht mit den Regeln des Gemeinnützigkeitsrecht. Damit belegt das von Campact in Auftrag gegebene Rechtsgutachten die Zwei-Klassen-Zivilgesellschaft, in der linke progressive Vereine stärker unter den Folgen der Attac-Rechtsprechung leiden als konservative.

Das Bild zeigt ein Ungleich-Symbol, das in einer Menschenmenge hochgehalten wird
Rechtsgutachten im Auftrag von Campact belegt: Gemeinnützigkeitsrecht wird einseitig ausgelegt / Foto: Bulat Silvia, iStock

Am 13. Dezember 2021 veröffentlicht der Bund der Steuerzahler (BdSt) auf seiner Homepage ein Statement, in dem er die Haushaltspolitik der frisch gestarteten Ampel-Koalition hart angeht. In der Pressemitteilung wird BdSt-Präsident Reiner Holznagel mit folgenden Worten zitiert: „Es darf nicht sein, dass die gesellschaftlichen Herausforderungen vor allem in der Klimapolitik gegen eine solide Haushaltspolitik ausgespielt werden.“ Beides, Klimaschutz und Staatsfinanzen, seien politische Kernbereiche, um „Freiraum und Gestaltungsmöglichkeiten für kommende Generationen“ zu sichern, so Holznagel. Dann aber kommt der Präsident des Bundes der Steuerzahler zu einer eindeutigen politischen Forderung: Statt die Staatsverschuldung immer weiter in die Höhe zu treiben, solle die Ampel zuerst ihre im Koalitionsvertrag angekündigten Einsparungen und Ausgabenkürzungen auf den Tisch legen. Und das geht so Holznagel durch einen konkreten, politischen Schritt: „Die Regierung sollte den Nachtragshaushalt zurückziehen und eine vernünftige Finanzierung ihrer Wunschprojekte im Zuge des regulären Haushaltentwurfs für 2022 präsentieren!“

Einen „Fehlstart“ nennt Holznagel den Nachtragshaushalt der Bundesregierung dann noch und bewertet ihn als „verfassungsrechtlich bedenklich“. Klare Haltung, klare politische Forderungen: So ist der Bund der Steuerzahler in Deutschland oft medial präsent. Er tritt gegen eine Vermögensteuer ein, kämpft für die Abschaffung des Solidaritätszuschlags – und verfolgt oftmals politische Anliegen, die eher den Besserverdienenden in Deutschland zugutekommen.

Der Bund der Steuerzahler genießt Steuerprivilegien – und mischt sich politisch ein

All das wäre kein Problem, wenn er nicht gleichzeitig gemeinnützig wäre – und deswegen viele Privilegien genießt: Er darf Spendenquittung ausstellen, ist von Steuern befreit und für staatliche Leistungen berechtigt. Aber während viele progressive und linke Organisationen seit dem Attac-Urteil um ihre Gemeinnützigkeit fürchten, wenn sie sich politisch für ihre Zwecke stark machen, zeigt der Bund der Steuerzahler in seiner öffentlichen Kommunikation bisher keine erkennbare Zurückhaltung.

Zivilgesellschaft ist gemeinnützig!

Unsere Demokratie braucht eine starke Zivilgesellschaft – und ein modernes Gemeinnützigkeitsrecht! Gemeinnützige Organisationen müssen sich an der politischen Debatte beteiligen dürfen, ohne den Verlust ihrer Gemeinnützigkeit zu riskieren.

Nachdem erst Attac und dann auch Campact im Jahr 2019 die Gemeinnützigkeit verloren haben, leiden immer mehr Organisationen, die sich für Menschenrechte, Demokratie, Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit einsetzen unter der rigiden, entpolitisierten Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs – und darunter, dass diese Regeln gegen sie strikt ausgelegt werden, während die Arbeit von konservativen und neoliberalen Vereinen von den Finanzämtern kaum beanstandet wird. Die Naturfreunde Thüringen, die Amadeu Antonio Stiftung, das Demokratische Zentrum Ludwigsburg – sie sind oder waren vom Verlust der Gemeinnützigkeit bedroht.

Rechtsgutachten belegt: Bund der Steuerzahler ist nicht gemeinnützig

Auch der Bund der Steuerzahler müsste seine Gemeinnützigkeit verlieren, wenn das zuständige Finanzamt in Berlin an dessen Arbeit die gleichen Maßstäbe ansetzen würde, wie an Attac oder Campact. Zu diesem Schluss kommt ein Rechtsgutachten, das Campact bei der Kanzlei Winheller, einer der renommiertesten Kanzleien zum Gemeinnützigkeitsrecht in Deutschland, in Auftrag gegeben hat. Im Untersuchungszeitraum rund um die Bundestagswahl 2021 hat der BdSt vielfach die Regeln des Bundesfinanzhofs gebrochen, indem er nicht objektiv und neutral, nicht geistig offen und nicht parteipolitisch neutral in seinem politischen Engagement war – und versucht hat, seine eigenen Auffassungen politisch durchzusetzen. Untersucht wurden seine öffentlich zugänglichen Pressemitteilungen und Facebook-Posts.

Nicht objektiv, neutral und geistig offen

Dabei ist wichtig zu wissen: Für den Bund der Steuerzahler gelten sogar noch strengere Regeln, wenn er sich politisch engagieren will, als für andere gemeinnützige Vereine. Denn der BdSt hat als einzigen Satzungszweck „die allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens“ – also einen der zwei Zwecke, die von der Attac-Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs besonders eingeschränkt wurden. Während sich also ein Umweltschutzverein polemisch und einseitig zum Autobahnbau oder zum Kohlebergbau äußern darf, darf dies ein Verein, der die allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens oder die politische Bildung als Zweck hat, nicht. Er muss laut Attac-Urteil immer objektiv, neutral und geistig offen sein und darf nicht versuchen, politischen Einfluss im Sinne eigener Auffassungen zu nehmen.

Und damit hat der BFH gerade jenen Organisationen, die sich für Demokratie engagieren, enge Fesseln angelegt. Denn auf die Spitze getrieben könnte die Rechtsprechung bedeuten: Selbst bei einem harten Angriff auf Demokratieprinzipien – beispielsweise durch einen AfD-Finanzminister, der das Attac-Urteil gezielt gegen demokratiefreundliche Organisationen instrumentalisiert – dürfte eine Organisation mit nur diesem ein Satzungszweck keine harte, einseitige Kritik üben.

Gemeinnützigkeitsrecht wird einseitig ausgelegt

Hinzu kommt – und damit belegt das Gutachten, was wir aus eigener Beobachtung längst wussten – bei der Prüfung der Gemeinnützigkeit messen die Finanzämter mit zweierlei Maß. Während linke und progressive Vereine immer öfter Probleme mit dem Finanzamt kommen, sind aus dem konservativen und neoliberalen Spektrum solche Fälle nicht bekannt. Die Folge: Während sich neoliberale und konservative Vereine so politisch engagieren als hätte es das Attac-Urteil nie gegeben, haben linke und progressive Vereine die Wahl – entweder, sie gehen in die Selbstzensur oder sie riskieren den finanziellen Ruin durch den Verlust der Gemeinnützigkeit. Was entsteht, ist eine Zwei-Klassen-Zivilgesellschaft, in der konservative und neoliberale Stimmen lauter sein können, während linke und progressive zunehmend verstummen.

Dass in einem Rechtsstaat eine derartige Ungleichbehandlung der politisch aktiven Zivilgesellschaft geschieht, ist nicht hinnehmbar. Deshalb haben wir das Gutachten dem zuständigen Berliner Finanzamt für Körperschaften sowie der Senatsverwaltung für Finanzen zugestellt und diese aufgefordert, für eine einheitliche Rechtsanwendung Sorge zu tragen.

Vereine brauchen Rechtssicherheit

Das Winheller-Gutachten zeigt, dass die Rechtsunsicherheit, die durch das Attac-Urteil entstanden ist, viel mehr Vereine betrifft als weithin angenommen. Mit dieser Erkenntnis wollen wir den politischen Handlungsdruck erhöhen: Denn obwohl eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts klar und deutlich im Koalitionsvertrag der Ampel steht, ist bisher nichts passiert. Während sich die ehemalige Finanzpolitikerin und heutige Familienministerin Lisa Paus (Grüne) im letzten Jahr immer wieder für eine Reform der Abgabenordnung ausgesprochen hat, kommt vom zuständigen Finanzminister Christian Lindner (FDP) nichts: nicht im Jahressteuergesetz 2022, nicht im Wachstumschancengesetz – und auch für das Jahressteuergesetz 2023 gibt es keine Anzeichen für einen Reformvorschlag.

Nur eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts kann Schieflage beseitigen

Derweil spitzt sich die Lage zu: Laut der einzigen repräsentativen Befragung der gesamten Zivilgesellschaft, dem ZiviZ-Survey des Stifterverbandes, schrauben fünf Prozent aller gemeinnützigen Organisationen ihr Engagement aus Angst um die Gemeinnützigkeit bereits zurück – 30.000 an der Zahl. Und auch hier wird die Schieflage deutlich, denn in den Bereichen Umweltschutz und internationale Solidarität sind sogar 10 Prozent der gemeinnützigen Organisationen von der Selbstzensur betroffen.

In die Gemeinnützigkeitsreform, die das Engagement für Menschenrechte, Demokratie und soziale Gerechtigkeit und gegen Rassismus und Diskriminierung stärkt, gehören vor allem drei Zutaten:

  • Politisches Engagement für die eigenen Satzungszwecke darf nicht weiter eingeschränkt werden und braucht einen Platz im Gemeinnützigkeitsrecht: Sozialverbände sollten mit Abgeordneten zu sprechen dürfen, um zu erläutern, warum der Regelsatz des Bürger*innengeldes zu niedrig ist. Genauso soll sich aber auch in Umweltschutzverein ausschließlich dafür einsetzen dürfen, dass es besseren ÖPNV und mehr Fahrradwege gibt – mit Demos, Petitionen Gesprächen mit Politiker*innen.
  • Demokratisches Engagement muss abgesichert werden, auch über den eigenen Satzungszweck hinaus: Ein Fußballverein sollte nicht zweimal überlegen, in seiner Stadt zu einer Demo gegen Rechts mit aufzurufen. Und ein Karnevalsverein soll nicht zögern müssen, wenn er den Opfern einer Naturkatastrophe spontan helfen will.
  • Eins muss ganz klar werden: Menschenrechtsarbeit, Demokratieförderung, Anti-Rechts-Initiativen und Antidiskriminierungsarbeit sind gemeinnützig. Und dafür brauchen sie eigene, gemeinnützige Zwecke in der Abgabenordnung.

Denn wenn die Interessenvertretung der Vermögenden als gemeinnützig gilt, ein Verein, der sich für eine gerechtere Asylpolitik oder Kinderrechte im Zuge der Klimakrise einsetzt aber nicht, dann herrscht ein gravierendes Missverhältnis, das die öffentliche Debatte verzerrt und letztlich der Demokratie in Deutschland schadet. Um hier mal ganz konkret zu werden: In dem Moment, wo Bund-der-Steuerzahler-Präsident Holznagel im Kern fordert, wichtige Klima-Investitionen zugunsten von Sparsamkeit beim Steuergeld zu streichen, muss es Organisationen geben, die genau das Gegenteil fordern – und zwar laut, deutlich und ohne Angst.


Anmerkung der Redaktion: Bis zur Veröffentlichung dieses Blogartikels hat sich der Bund der Steuerzahler nicht öffentlich zum Rechtsgutachten geäußert.

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