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Union im Kulturkampf   

Die Thüringer CDU hat in Erfurt nicht nur die Grunderwerbssteuer durchgesetzt, sondern auch den anhaltenden Kulturkampf vorangetrieben. Ein Kampf, den auch die rechtsextreme Höcke-Fraktion führt.

Friedrich Merz und Mario Voigt beim CDU Thüringen Jahresempfang im Club Central. Erfurt, 15.07.2021
Friedrich Merz und Mario Voigt. Foto: IMAGO / Future Image

Von 6,5 auf 5 Prozent. Die Thüringer CDU feiert die Durchsetzung der Grunderwerbssteuersenkung von 1,5 Prozent als großen Erfolg für künftige Häuschen-Bauende. Für „die Familien“, für „die Leute“ hätte die Fraktion um Mario Voigt eine finanzielle Erleichterung errungen. Zuspruch kam auch aus der Bundes-CDU. In der Union wird versucht zu verharmlosen, dass mit der AfD-Fraktion von Björn Höcke die nötige Mehrheit gegen die rot-rot-grüne Landesregierung erst möglich wurde. Das Credo der Bagatellisierung: Die CDU kann doch nicht wegen der AfD ihre politischen Anliegen liegen lassen. Die CDU müsse „ihr Ding machen“, betonte Karin Prien, stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende und schleswig-holsteinische Bildungsministerin. Im Erfurter Landtag hat Voigt aber nicht bloß das „Ding“ der CDU bei der Grunderwerbsteuer durchgesetzt, sondern auch den anhaltenden Kulturkampf weiter vorangetrieben. Ein Kampf, den auch die rechtsextreme Höcke-Fraktion führt.

War die Abstimmung abgestimmt?

Bei den Tagesthemen blieb Voigt im Interview prompt nicht bei der ökonomischen Dimension des Themas: „Ich will deutlich sagen, die Leute haben die Schnauze voll von diesen parteitaktischen Spielen“. Ja, da ist sie, die „Stimme des Volkes“. Nicht nur, dass der CDU-Politiker weiß, was die Leute meinen, er erhebt sich zu ihrem Sprecher. „Wir gegen die Parteitaktiker*innen“ – „Ich für euch“. Dass die Senkung, auch dank der FDP, voraussichtlich vor allem Immobilienkonzernen und Geldhabenden, die sich Immobilienerwerb leisten können, entgegenkommt, bleibt unerwähnt. Nicht groß erwähnen möchte die CDU in Erfurt, was die AfD selbst versichert. Die Abstimmung der beiden Fraktionen wäre abgestimmt gewesen, so der parlamentarische AfD-Geschäftsführer Torben Braga gegenüber der „Thüringer Allgemeinen“. Dass Voigt anscheinend selbst das beklagte „parteitaktische Spielen“ betrieb, soll ebenso unerwähnt bleiben. Dieser Sound „die gegen uns“ gehört zum Kanon dieses Kulturkampfs. 

Schon 1948 wies Leo Löwenthal in „Falsche Propheten“ auf das Phänomen hin, dass die Kritiker*innen des Establishments in Politik und Medien selbst Personen des Establishments sind – doch die, die sich als „ewig Betrogene“ sehen, fühlen sich von diesen „Agitatoren“ nicht betrogen, sondern angesprochen und abgeholt.  

Der Kulturkampf der Union ist längst ein Identitätskampf

In den Feuilletons und in der Literatur befeuern ein Poschardt, ein Tellkamp, eine Kelle oder eine Schröder jene Kritik an der vermeintlichen Vorherrschaft eines „Gutmenschen“-Bürger*innentums, eines woken Akademiker*innentums oder einer Klimawahnsinns-Clique. Sie alle hätten eines gemein: Diese exklusive Elite, diese kleine Minderheit will dem ganzen Volk vorschreiben, was es zu denken, zu sagen, zu fahren, zu essen und zu wählen habe. Kultur ist hier eben nicht bloß Kultur. Die Lebensweise würde angegriffen und sie gelte es zu verteidigen. Der Kulturkampf ist längst ein Identitätskampf. 

Die sich betrogen oder gegängelt Fühlenden sprach jüngst Hubert Aiwanger an. Der stellvertretende bayrische Ministerpräsident und Vorsitzende der Freien Wähler holte sie auch zu sich, als er wegen eines antisemitischen Flugblattes in die Kritik gerät. Denn ganz dem Sound „die gegen uns“ folgend suggerierte er, dass Medien eine Kampagne führten, um ihn „politisch und persönlich fertig“ zu machen. Sein inszeniertes Image, immer einer „von den Leuten zu sein“ – bodenständig und hemdsärmlig –, genügt für den politischen Vergemeinschaftungseffekt. Das Gerede von einer Jugendsünde spielt dem Effekt zu. Wer ist schon frei davon, wer hat nicht mit 17 Jahren Blödsinn gemacht? Vielen dürfte vieles einfallen. Vielleicht fällt aber auch auf, diese Jugendsünden sind offensichtlich Jungensünden. 

Leben und leben lassen?

In diesem Diskurs gelang Aiwanger zu nivellieren, dass in dem Flugblatt als zu gewinnender Preis die Wiederöffnung eines Konzentrationslagers propagiert und ein „Freiflug durch den Schornstein“ angeboten wurde. Er entschuldigte sich für das „abscheuliche“ Schriftstück, nicht ohne aber die Medien zu erwähnen und dass es eben „36 Jahre“ her ist. Genug ist genug, so wurde er eins mit all jenen „Leuten“, die mal eine „Jugendsünde“ begangen haben und denen auch diese Erinnerung an den Nationalsozialismus ein wenig zu viel ist. Dieser Sound klang schon zuvor bei seinem „Appell“ durch, dass die „schweigende Mehrheit“ sich die „Demokratie zurückholen“ müsse.  In letzter Konsequenz unterstützte Markus Söder diesen Kulturkampf. Nicht nur, weil der Bayrische Ministerpräsident Aiwanger in Amt und Würden ließ, sondern auch, weil er selbst jüngst dem „Merkur“ erklärte: „die Grünen haben kein Bayern-Gen“. Denn „die Grünen wollen Umerziehung, Vorgaben und Verbote – das passt nicht zum bayrischen ‚Leben und leben lassen‘“. 

„Nicht Kreuzberg ist Deutschland“

Im Bierzelt stellte Friedrich Merz – by the way – klar, welche Kultur er wohl als deutsche Leitkultur verstehen könnte. „Nicht Kreuzberg ist Deutschland, Gillamoos ist Deutschland“, verkündete der CDU-Vorsitzende auf dem Gillamoos, einem 700 Jahre alten Volksfest im bayrischen Abensberg. Nicht zum ersten Mal stellte Merz eine vermeintliche Kultur gegen eine andere vermeintliche Kultur. Eine Brandmauer gegen Rechtsextremismus zieht so ein Konservatismus nicht. Merz, der noch um Juli versicherte, eine „Zusammenarbeit der CDU“ mit der AfD würde unterbleiben, stimmte jetzt im September in das Credo zu der Abstimmung von CDU und AfD ein: „Wir richten uns nicht danach, wer zustimmt, sondern danach, was wir in der Sache für richtig halten – und dabei bleibt es“, sagte er zur Kritik an Thüringens CDU. In der „Welt“ griff er zugleich Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther an. Der CDU-Politiker hatte betont, dass die „zunehmende Radikalisierung der AfD“ gerade von einer „konservativen Partei“ eine „noch konsequentere Haltung“ erfordern müsse. Ein Vorgehen wie in Thüringen widerspräche genau dieser Haltung, so Günther. Eine „Einzelmeinung“ meinte Merz. In der CDU warnt aber nicht bloß Günther. Eine klare Ansage, die ihn aber nicht abhielt, zuvor auf der Kieler Woche im Bayernzelt auf der Bühne unter anderem den Partysong „Layla“ zu singen. Er führt jedoch keinen Kultur- und Identitätskampf. 

Union ohne Kompass

Die Konflikte in Thüringen und Bayern offenbaren, was schon lange offensichtlich ist: Die Union weiß nicht, wie sie sich als Partei rechts von der Mitte positionieren und profilieren kann. Den Konservativen fehlt der Kompass. In der FAZ hat Claudius Seidel vor einer „autoritären Rhetorik“ gegen das Establishment, gegen die Eliten in Politik und Medien gewarnt. Diesen Kulturkampf wohnt die Verteidigung „unserer Kultur“ und „unserer Identität“ inne. Eine rechte Allianz, die auch im Habituellem liegt – der Liebe zum Volksfest und Schützenverein, zum Herrenwitz und Schlüpfrigen, zu Befehl und Gehorsam. Die Verteidigung triggert das Gefühl, persönlich in der eigenen Lebensweise hinterfragt zu werden und befeuert all den Hass und all die Hetze gegen Fridays for Future und LBTQ, Geflüchtete und Gutmenschen – gegen uns. Eine CDU ohne Kompass ist nicht nur eine Gefahr für die CDU. In Erfurt konnte im Februar 2020 Thomas Kemmerich (FDP) mit Stimmen von AfD, CDU und FDP Ministerpräsident werden. Im September 2023 folgte ein zusammen beschlossenes Gesetz. Und im September 2024? Eine CDU-Regierung getragen von einer rechtsextremen Partei? 

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Autor*innen

Andreas Speit ist Journalist und Autor und schreibt regelmäßig für die taz (tageszeitung). Seit 2005 ist er Autor der Kolumne "Der rechte Rand" in der taz-nord, für die er 2012 mit dem Journalisten-Sonderpreis "Ton Angeben. Rechtsextremismus im Spiegel der Medien" ausgezeichnet wurde. Regelmäßig arbeitete er für Deutschlandfunk Kultur und WDR. Er veröffentlichte zuletzt die Werke  "Verqueres Denken – Gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus" (2021) "Rechte Egoshooter" (Hg. mit Jean-Philipp Baeck, 2020), "Völkische Landnahme" (mit Andrea Röpke, 2019), "Die Entkultivierung des Bürgertums" (2019). Alle Beiträge

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