Alltagsrassismus Antisemitismus
Ohne Wenn und Aber
Der Fall Gil Ofarim darf nicht für mehr Antisemitismus instrumentalisiert werden.
Der Musiker Gil Ofarim hat vor dem Landgericht Leipzig gestanden, dass die in einem Video aus dem Jahr 2021 erhobenen Vorwürfe, er sei in einem Hotel in Leipzig von einem Angestellten antisemitisch beleidigt worden, nicht zutreffen. Ofarim hatte darin behauptet, ein Angestellter habe ihn aufgefordert, seine Halskette mit dem Davidstern abzulegen. Vergangenen Dienstag wurde das Verfahren eingestellt, Ofarim muss zugunsten der Jüdischen Gemeinde zu Leipzig und des Trägervereins des Hauses der Wannseekonferenz 10.000 Euro zahlen.
Kurz später wurde #Ofarim zum „trending Topic“ auf X, ehemals Twitter – auf jener Plattform, die seit Elon Musks Übernahme so weit nach rechts gerutscht ist, dass viele Nutzer*innen sie verlassen. So verkündete beispielsweise Anne Hidalgo, die Bürgermeisterin von Paris, X zu verlassen, weil die Plattform eine „globale Kanalisation“ sei. Trifft zu – auch wenn man sich die antisemitischen Reaktionen zum Urteil Gil Ofarim ansieht.
Antisemitismus ist eines der größten Probleme Deutschlands
Deutschland hat eine historische und politische Verantwortung, Betroffenen von Diskriminierung mit einem Vertrauensvorschuss zu begegnen. Gerade weil Deutschland das Täterland des Nationalsozialismus ist und weil die Deutschen nach ihrer Niederlage behaupteten, von nichts gewusst zu haben. Der Nationalsozialismus liegt noch nicht sehr lange zurück. Damit meine ich nicht unbedingt die Anzahl der Jahre, die vergangen sind – es stimmt, es ist noch nicht viel Zeit vergangen. Viel wichtiger ist, dass Antisemitismus und rechte Straftaten heute eines der größten politischen Probleme in Deutschland sind. Die Umfragewerte faschistischer Parteien steigen kontinuierlich. Angesichts der deutschen Geschichte und Gegenwart ist es nicht nur eine normale und menschliche, sondern auch eine verantwortungsvolle Reaktion, den Betroffenen zu glauben. Dem muss folgen, dass wir alles in unserer Macht Stehende tun, um sie zu schützen und die Demokratie zu stärken.
Fall von Gil Ofarim wird instrumentalisiert
Der Fall von Gil Ofarim wird schon jetzt instrumentalisiert, um das Antisemitismusproblem in Deutschland zu verleugnen, und das wird leider auch in der Zukunft so sein. Das Problem bei Gil Ofarim war aber nicht, dass ihm viele Menschen geglaubt haben: Wenn wir uns die Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung anschauen, sehen wir, dass Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft erschreckend weit verbreitet ist, Tendenz steigend. Rein statistisch gesehen ist es wahrscheinlicher, dass eine betroffene Person die Wahrheit sagt, als dass sie lügt. Denn die Hemmschwelle, über eigene Diskriminierungserfahrungen zu sprechen, ist ohnehin sehr hoch.
Um diese Hemmschwelle zu senken und Gerechtigkeit herzustellen, brauchen wir eine Atmosphäre, in der sich die Betroffenen sicher genug fühlen, um über ihre Erfahrungen sprechen zu können. Das können wir nur durch Vertrauen gewährleisten. Das Vertrauen in die Betroffenen und ihre Sicherheit scheint jedoch keine Priorität zu haben: Allein in Berlin blieben in den vergangenen drei Jahren wohl 364 rechte Straftaten liegen. Wie viele sind es bundesweit? Kleine Feuer, überall.
Fall Gil Ofarim wird vorgeschoben
Seit Wochen diskutiert Deutschland als Täterland des Nationalismus über einen vermeintlich aus dem Ausland importierten Antisemitismus, ohne sich zu schämen. Ohne zu bedenken, dass Deutschland der wichtigste Handelspartner Teherans ist und Teheran nicht nur iranische Frauen unterdrückt, sondern die Hamas finanziert. Jetzt will Deutschland mit reinem Gewissen behaupten, dass die Betroffenen sowieso lügen und den Fall Gil Ofarim als Beweis anführen. Verantwortung übernehmen sieht anders aus.
„Eine Gesellschaft, die sich selbst die Staatsform einer Demokratie auf die Fahne schreibt, darf zu keinem Zeitpunkt akzeptieren, dass religiöse oder anderweitig als anders markierte Teile der Bevölkerung ausgeschlossen, angegriffen oder vertrieben werden“, schreibt Max Czollek in seinem Buch „Gegenwartsbewältigung“. Was leisten wir als Gesellschaft, damit sich jüdische Menschen und andere marginalisierte Gruppen hier sicher fühlen, außer die Verantwortung für ihre Sicherheit von uns zu weisen? Es lohnt sich, dieser Frage nachzugehen – ohne Wenn und Aber.