Klimakrise Umwelt
Schuldenbremse
Die Folgen des Karlsruher Urteils zum Bundeshaushalt sind dramatisch. Zumindest auf den ersten Blick ist das Klima der große Verlierer. Doch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist auch eine Chance für uns als Klimabewegung: Wir müssen Finanz- und Verteilungsfragen viel enger mit dem Klimaschutz zusammendenken. Campact-Vorstand Christoph Bautz analysiert die Lage und schlägt vor, wo jetzt unser Fokus liegen könnte.
Eine Woche ist seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Bundeshaushalt und Schuldenbremse vergangen – und dieses hält die Republik immer noch in Atem. Mit ihrer Entscheidung entziehen die Richter*innen dem Klima- und Transformationsfonds 60 Milliarden Euro. Geld, mit dem die Regierung unsere Wirtschaft klimagerecht umbauen wollte. Mehr noch: Karlsruhe hat die Schuldenbremse im Grundgesetz so eng ausgelegt, dass wahrscheinlich auch die 200 Milliarden schwere Strom- und Gaspreisbremse verfassungswidrig ist. Seitdem klaffen in den Finanzen des Bundes riesige Löcher und eine Haushaltssperre lähmt das Land – auch wenn Finanzminister Christian Lindner (FDP) heute immerhin verkündet hat, die Schuldenbremse für dieses Jahr auszusetzen.
So katastrophal das Urteil für die konkrete Finanzierung von Klimaschutz ist – in ihm liegt auch eine Chance. Vielen Menschen wird gerade bewusst: Klimaschutz ist auch eine Frage von Finanzpolitik und Verteilungsgerechtigkeit. Das könnte uns als Klimabewegung ein neues Ziel geben. Nur wenn wir weit mehr Geld in die Hand nehmen, können wir unser Land als führenden Industriestandort bewahren und Millionen Arbeitsplätze sichern. Nur so werden die Menschen in diesem Land den sozialverträglichen Umbau zu einer klimagerechten Gesellschaft akzeptieren.
Unsere Aufgabe: Wir müssen herausarbeiten, warum mehr Geld so zentral ist für den sozial-ökologischen Umbau unseres Landes – und woher dieses Geld kommen soll. Darüber habe ich in den letzten Tagen mit vielen Expert*innen gesprochen. Auf diese Fragen wollte ich Antworten finden:
Warum brauchen wir für den Klimaschutz so viel Geld?
Wieso gerät unser Industriestandort ohne staatliche Investitionen in Gefahr?
Wie bekommen wir all das finanziert?
Was bedeutet all dies für die Klimabewegung?
Warum brauchen wir für den Klimaschutz so viel Geld?
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Unser Land und unsere Wirtschaft innerhalb von zwei Jahrzehnten klimaneutral machen – das ist das Ziel der Regierung. Und eine gigantische Herausforderung. Millionen Heizungen müssen ausgetauscht, Gebäude gedämmt und zehntausende Windräder und Solaranlagen errichtet werden. Die Industrie wird viele Fertigungsprozesse auf grünen Wasserstoff umstellen, im ganzen Land braucht es Ladesäulen für E-Autos, das Schienennetz der Bahn gehört grundsaniert.
Dabei hat uns spätestens die Debatte um das Heizungsgesetz gezeigt: Die Mehrheit wird eine solch grundlegende Veränderung nur akzeptieren, wenn sie den Eindruck hat, dass die Regierung sie mit den Kosten nicht alleine lässt. Sonst erzeugt Klimaschutz noch mehr Widerstände, von denen die AfD dann an den Wahlurnen profitiert.
Nur wenn die Bundesregierung großzügige Förderprogramme anbietet, werden Menschen ihre Öl- oder Gasheizung gegen eine Wärmepumpe tauschen. Nur wenn sie Bäuer*innen den Umbau ihres Betriebs finanziert, werden sie die Zahl ihrer Nutztiere halbieren oder ehemalige Moorstandorte wieder vernässen. Nur wenn die Regierung den Nahverkehr massiv ausbaut, werden Pendler*innen das Auto stehen lassen.
Mit dem Urteil aus Karlsruhe fehlen jetzt 60 Milliarden Euro im Klima- und Transformationsfonds der Ampel. Insgesamt war er mit 212 Milliarden für den Zeitraum bis 2027 gefüllt. Das hat schon vor dem Richterspruch nicht gereicht: Allein die Sanierung der Bahn kostet bis 2027 ganze 90 Milliarden Euro. Es ist Zeit, dass wir uns ganz ehrlich fragen: Wie viel ist uns die sozial gerechte Rettung des Klimas – und damit unsere Zukunft – wert?
Wieso gerät unser Industriestandort ohne staatliche Investitionen in Gefahr?
Der klimagerechte Umbau unseres Wirtschaftssystems ist eine riesige Aufgabe für die Industrie. Windrad- und Autobauer, Stahl- und Chemieindustrie: Viele Unternehmen wissen, dass sie dringend umsteuern müssen – hin zu einer klimaneutralen Industrieproduktion. Was ihnen fehlt, ist Planungssicherheit. Nur wenn der Staat sie ausreichend und zuverlässig mit Fördermitteln oder Bürgschaften unterstützt, sind sie bereit, eigenes Kapital zu investieren. Geht der Staat voran, ziehen Unternehmen mit.
Wie eine aktive Industriepolitik aussieht, zeigen uns die USA. Mit dem Inflation Reduction Act hat die Regierung von Joe Biden einen regelrechten Investitionsboom ausgelöst. Mit 400 Milliarden US-Dollar baut sie klimafreundliche Industriezweige auf und saniert die öffentliche Infrastruktur. Allein in der Fertigung sind so rund 30.000 neue Jobs entstanden. Die Produktion von Solarmodulen stieg auf das Neunfache, die von Batteriespeichern gar um das Fünfzehnfache. In China passiert gerade Ähnliches: Immense staatliche Investitionen führen dazu, dass das Land mittlerweile führend bei der Herstellung von Batterien, E-Autos, Wind– und Solaranlagen ist.
Die EU jedoch könnte im globalen Wettbewerb abgehängt werden – samt ihrer größten Volkswirtschaft, Deutschland. Viele Unternehmen überlegen, angesichts der üppigen Förderungen Teile ihrer Produktion in die USA zu verlagern. Bereits vor zehn Jahren gingen viele Solarunternehmen pleite oder investierten im Ausland, weil die Förderung wegbrach. Von 110.000 Arbeitsplätzen gingen über 70.000 verloren. Jetzt droht eine weit größere Abwanderung.
Das können wir verhindern. Dafür müssen wir den Umbau zu einer klimafreundlichen Produktionsweise als gigantische Chance begreifen – die Millionen gut bezahlte Jobs in der Industrie sichert sowie neue schafft und uns unabhängig von einseitigen globalen Lieferketten macht. Doch dafür braucht es eine Investitionsoffensive der öffentlichen Hand, die dazu führt, dass Unternehmen auch viel privates Eigenkapital einsetzen.
Wie bekommen wir all das finanziert?
Warum aber fällt es uns so schwer, mit voller Kraft in mehr Klimaschutz, den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Zukunft des Industriestandortes Deutschland zu investieren? Ein zentrales Hemmnis ist die Schuldenbremse – vor allem nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts.
Die Schuldenbremse schreibt der Regierung vor, sich jährlich höchstens um 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts neu zu verschulden. Nur im Fall von Notlagen und Naturkatastrophen sind Ausnahmen möglich. Katastrophen, die durch die eskalierende Klimakrise entstehen, fallen jedoch nicht darunter; sie ermöglichen keine Aufnahmen von Krediten. Die Ampel hat versucht, dieses Hindernis durch die Einrichtung von Sondervermögen zu umgehen – das haben die Richter*innen in Karlsruhe nun untersagt. Damit wird die Schuldenbremse zur Wohlstands- und Investitionsbremse.
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Dabei ist die Regelung längst überholt. 2009 durch Union und SPD im Grundgesetz verankert, atmet sie noch den damaligen neoliberalen Zeitgeist: deregulieren, privatisieren, Steuern senken und sparen, so viel es geht. Dabei brauchen wir in der heutigen Zeit einen Staat, der bei Finanz- und Wirtschaftskrisen gegensteuert, die Klimakrise eindämmt und in die öffentliche Infrastruktur investiert.
All das lässt nur einen Schluss zu: Die Schuldenbremse gehört grundlegend reformiert. Sie darf nicht länger die dringend benötigten Investitionen in Zukunftstechnologien oder in die Infrastruktur unseres Landes verhindern. Diese Gelder machen unser Land weniger anfällig für Krisen und stabilisieren den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Häufig refinanzieren sich die Investitionen sogar: Jeder Euro, der etwa in die Gebäudesanierung fließt, stärkt die Kaufkraft derjenigen, die die Gebäudehülle dämmen oder neue Fenster einbauen. Das führt wiederum zu höheren Steuereinnahmen.
Darüber hinaus brauchen wir weitere Instrumente, um die Kosten eines sozial-ökologischen Umbaus unseres Landes zu schultern:
- Höhere Steuern für Superreiche: Eine Oxfam-Studie hat gerade erst wieder belegt: Das reichste Prozent der Menschheit ist für 16 Prozent der Emissionen verantwortlich – durch Privatjets und Yachten, Luxuskarossen und Swimmingpools. Ihren Reichtum beziehen diese Menschen vor allem aus fossilen Renditen; ihre Einkommen, Vermögen und Erbschaften müssen deshalb endlich höher besteuert werden.
- Einen höheren CO2-Preis: Die Einnahmen könnten direkt dem Klima- und Transformationsfonds zugute kommen, dem die Karlsruher Richter*innen gerade 60 Milliarden Euro genommen haben. Damit dies sozialverträglich erfolgt, muss aber ein Teil der Einnahmen über ein Klimageld an die Bevölkerung zurückfließen.
- Klimaschädliche Subventionen abbauen: Sie kosten uns jedes Jahr 65 Milliarden Euro. Hier gäbe es schnell viel Geld zu holen, das wir in den Klimaschutz investieren könnten. So zum Beispiel 8,4 Milliarden bei der Energiesteuerbefreiung auf Kerosin, 8,2 Milliarden bei der Steuervergünstigung für Diesel und 4 Milliarden bei der Mehrwertsteuerbefreiung für internationale Flüge. Der Abbau der Subventionen steht sogar im Koalitionsvertrag der Ampel.
Was hingegen nicht passieren darf: Kürzungen bei Sozialleistungen, wie FDP und Union es bereits fordern, um Klima-Investitionen zu finanzieren. Die Kindergrundsicherung streichen? Das Bafög reduzieren? Das Bürgergeld unter das Existenzminimum kürzen? Das wäre schlimm für die Betroffenen – und Gift für die öffentliche Unterstützung bei mehr Klimaschutz.
Was bedeutet all dies für die Klimabewegung?
Das Karlsruher Urteil ist ein Weckruf für die Klimabewegung – es zeigt uns, wie wichtig Fragen der Finanzpolitik und Verteilungsgerechtigkeit sind. Ich denke, wir müssen selbstkritisch feststellen: Diesen Themen haben wir uns zu wenig gewidmet. Viele Campact-Unterstützer*innen sind sehr engagiert, wenn wir für den Kohleausstieg und die Verkehrswende eintreten. Wenn es aber um die Schuldenbremse oder Fiskalpolitik geht, sind viele unsicher, ob sie sich dafür einsetzen wollen. Aus gutem Grund: Die Fragen sind komplex.
Bis zur Bundestagswahl sollten wir das ändern. Die Schuldenbremse und höhere Reichensteuern werden zentrale Themen des nächsten Wahlkampfs sein. Ohne CDU/CSU wird es bei den Themen nicht vorangehen. Für 2023 will Lindner jetzt immerhin die Schuldenbremse aussetzen und auch für 2024 kann die Regierung noch einmal eine Notlage erklären – begründet durch hohe Energiepreise und die harte internationale Wettbewerbssituation.
Doch das wird auf Dauer nicht helfen. Es braucht eine grundlegende Reform der Schuldenbremse. Dies geht nur mit einer Grundgesetzänderung – und dafür sind auch die Stimmen von CDU und CSU in Bundestag und Bundesrat nötig. Noch blockieren Merz, Spahn und Co., aber es rumort. Berlins CDU-Bürgermeister Kai Wegner etwa forderte heute bereits eine sofortige Reform der Schuldenbremse. Vor allem aber sind Grüne und SPD gefragt – ohne eine der beiden Parteien erscheint eine Regierungsmehrheit in der nächsten Legislatur derzeit kaum möglich. Sie müssen eine veränderte Schuldenbremse und hohe Steuern für Superreiche zur Koalitionsbedingung machen.
Damit das klappt, haben wir als Klimabewegung eine wichtige Aufgabe vor uns: Wir müssen die Menschen für eine Reform der Schuldenbremse gewinnen. Dafür müssen wir Finanzpolitik und Verteilungsgerechtigkeit mit dem Klimaschutz zusammendenken – und daraus zugespitzte politische Forderungen und Kampagnen entwickeln.
Das Karlsruher Urteil hat den Klimaschutz in eine Krise gestürzt – und es kann der Klimabewegung ein neues Ziel geben. Wäre es nicht großartig, wenn wir die Frage, wie der sozial-ökologische Umbau unseres Landes zu schaffen und gerecht zu finanzieren ist, zum großen Thema der Bundestagswahl machen?
Wir alle müssen anfangen, über dieses komplexe Thema nachzudenken. Wenn Dir meine Analyse hierbei geholfen hat, teile sie doch Deinen sozialen Netzwerken. Je mehr Menschen sich mit dem Thema beschäftigen, desto besser.